Team Kiefer vor dem Aus – WSSP mehr als fraglich

Die Enttäuschung von Teamchef Jochen Kiefer ist nachvollziehbar, als er am Wochenende des Spielberg GP vom bevorstehenden Rauswurf aus der Moto2 erfuhr. Im Jahr davor hatte er bereits nach dem überraschenden Tod seines Bruders Stefan kurz vor Saisonbeginn den zweiten Tiefschlag zu verkraften. Die Partnerschaft mit einem in Wien lebenden Prahlhans und angeblicher Investoren aus Russland erwies sich als Luftschloss und aus dem mit Sandro Cortese und Dominique Aegerter geplanten Zweimann-Team wurde nichts. Immerhin konnte der Schweizer mithilfe einer Crowdfunding Aktion die Mittel für eine Saison mit KTM Motorrädern auftreiben. Doch die Saison 2018 war von zahlreichen Enttäuschungen und einer gravierenden Verletzung beim Motocross-Training Aegerters geprägt. Mit Lukas Tulovic als Nachfolger war danach erst recht fraglich, ob sich der ersehnte Erfolg wieder einstellen würde. Und es kam, wie von vielen Skeptikern befürchtet, nur im von zahlreichen Ausfällen geprägten GP von Assen holte der junge Deutsche 3 WM-Punkte. Insgesamt waren 9 der vor ihm gestarteten Fahrer im Rennen gestürzt, womit es für Platz 13 reichte. Nicht überraschend war dieses Resultat nicht ausreichend, um sich als Ein-Fahrer Team die Daseinsberechtigung aus Sicht der Dorna zu sichern.

Lukas Tulovic (Kiefer Racing KTM) in der Zielkurve auf dem Circuito de Jerez 2019.

Zu lange gewartet und kostbare Zeit verloren

Statt sich gleich ab Anfang August nach Erhalt der Hiobsbotschaft über den Verlust der Startberechtigung in der Moto2 für 2020 um eine Lösung zu kümmern, ließ Jochen Kiefer Monate verstreichen, bevor er sich nach einem neuen Betätigungsfeld für sein Team umschaute. Zuerst zog er sogar den Rücktritt vom Spitzenrennsport in Erwägung und erklärte, WSSP oder WSBK käme für ihn und sein Team nicht infrage. Viel zu spät kam dann die Erkenntnis zum von uns bereits am 6. August 2019 publizierten Vorschlag zu einem Wechsel in die seriennahe WM. Zuerst probierte es Kiefer vergeblich mit einem Versuch, einen WSBK Platz zu ergattern und hoffte dazu sogar auf Unterstützung eines Werkes wie BMW, Yamaha oder Ducati. Nachdem klar wurde, dass daraus nichts wird, entstand dann endlich ein Plan für einen Wechsel in die WSSP. Die Motorräder waren bereits bestellt und zwei Fahrer mit Lukas Tulovic und dem wesentlich hoffnungsvolleren Österreicher Thomas Gradinger wurden vorgestellt und unter Vertrag genommen. Doch nun sickerte durch, dass das Budget für dieses Vorhaben bei weitem nicht gesichert ist. Zuerst ließ man nutzlos viele Monate verstreichen. Wonach Kiefer viel zu spät das mit der WSSP 600 von Beginn an logischste Paket zu schnüren begann. Und nun fehlen auch noch 30 Prozent des Budgets!

Kiefer Racing WSSP Präsentation vor der Yamaha R6 mit von links Lukas Tulovic, Jochen Kiefer und Thomas Gradinger (Copyright Kiefer Racing).

Nun sind Lösungen gefragt – die Zeit wird knapp

Tatsache ist, diverse Verträge wurden offensichtlich zu früh abgeschlossen, insbesondere mit den beiden Fahrern. Während Lukas Tulovic in der sogenannten „Staubsaugerklasse“ MotoE einen Vertrag für die spärliche Anzahl deren Rennen in der Tasche hat, könnte Gradinger nun mit abgesägten Hosen dastehen. Innert weniger Wochen per Crowdfunding als Team nun um die 300’000 Euro aufzutreiben, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit werden. Wer bereit ist, mindestens 10’000 EUR beizusteuern, melde sich bitte umgehend bei Jochen Kiefer per E-Mail an:
jochenkiefer@icloud.com
Mögliche Lösung – nur 1 Fahrer
Mit Thomas Gradinger hat Kiefer Racing zumindest einen arrivierten Fahrer unter Vertrag, insofern müsste notfalls eine Lösung analog 2019 gefunden werden. Mit nur einem Fahrer reduzieren sich Material- und Transportkosten, dazu ist Gradinger wie er letzte Saison bereits bewies, ein klarer Podiumskandidat.

Thomas Gradinger (Kallio Yamaha) nach dem WM-Lauf von Assen 2019 auf dem Weg zum Podium.

WSSP Weltmeister von 2018 – Chance für beide Seiten wohl verpasst
Eine Lösung mit Sandro Cortese als Fahrer anstelle von Lukas Tulovic könnte eine weitere Lösung sein. Nachdem aber die Verträge mit den Fahrern bereits abgeschlossen wurde, dürfte dies ein Wunschtraum für die Fans des Italo-Schwaben bleiben. Die Sponsorensuche wäre mit ihm jedoch um Welten leichter als mit Tulovic gewesen, doch diese Chance wurde auf beiden Seiten wohl bereits verpasst. Womöglich wirft man bei Kiefer jedoch auch ganz hin, sollte es mit der Rettung des Budget-Lochs nicht noch kurzfristig klappen. Cortese fand bei Ten Kate Yamaha keinen Platz, weil das Budget dafür nicht gesichert wurde. Nun muss er sich fühlen, als wäre er auf dem Abstellgleis gelandet, nachdem er eine Vertragsverlängerung bei seinem letztjährigen Team GRT Yamaha im Herbst 2019 abgelehnt hatte.

Sandro Cortese – in Jerez 2019 auf GRT Yamaha. Seine hervorragenden Test- und Qualifyingzeiten konnte er in den Rennen leider nie bestätigen. Nachdem bei Ten Kate kein 2. Platz für ihn geschaffen werden konnte, muss er für 2020 auf eine Last-Minute Chance warten.

Yamaha Unterstützung für anderes WSSP Team

Wie sich Mitte Dezember herausstellte, entschied sich Yamaha letztlich sogar für ein Förderprogramm. Doch es sind die beiden Fahrer Galang Hendra Pratama (Indonesien) und Andy Verdoia (Frankreich) aus dem bLUcRU-Förderprogramm der japanischen Marke mit den gekreuzten Stimmgabeln. Mithilfe von Yamaha steigen die beiden auf nächste Saison von der WSSP 300 in die Supersport-WM 600 auf. Und mit MS Racing wurde ein Team gewählt, das 2019 mit Beatriz Neila und Verdoia in der 300er-Klasse engagiert war. In der 600-ccm-Kategorie sammelte MS Racing in der Saison 2019 bereits Erfahrungen mit der Spanierin Maria Herrera, welche für die letzten 4 Rennen durch ihren Landsmann Dani Valle ersetzt wurde. Im Gegensatz zu Kiefer Racing funktioniert bei MS-Racing auch deren Homepage und vieles wirkt dort wesentlich professioneller. Wer sich an Dominique Aegerters höchst erfolgreiches Crowdfunding von Anfang 2018 erinnert, hat vielleicht damals mitbekommen, dass die professionelle Abwicklung über deren Internetseite ein wichtiger Stützpfeiler des Erfolgs war.

Der Franzose Andy Verdoia – er darf für 2020 auf Unterstützung durch Yamaha Europa rechnen und tritt für MS Racing Yamaha neu in der WSSP 600 an (Bildquelle MS Racing).

Katastrophe für den Motorsport in Deutschland

Was sich nach Reitis Rauswurf bei BMW und Sandros fehlgeschlagenem Poker für 2020 nun auch noch bei Kiefer Racing anbahnt, ist für den Motorsport in Deutschland schlicht eine Katastrophe. Dabei können einem auch die Veranstalter des Motorpark Oschersleben leidtun, nachdem kaum mehr eine Chance auf einen Deutschen im WSBK Feld besteht. Sollten nun auch noch die Pläne für den Einstieg von Kiefer Racing schiefgehen, fehlt auch noch das vermeintlich einzige Deutsche Team im WSSP 600 Paddock. Immerhin ist mit Freudenberg Racing wenigstens in der WSSP 300 eine solide Basis vorhanden. Dazu haben einige Fahrer aus Deutschland hoffentlich auch in der mittleren Klasse einen Platz gefunden, die offizielle Nennliste der Dorna ist derzeit allerdings noch ausstehend.

Geringe Werbewirksamkeit der WSSP in Deutschland

Gerade weil Servus TV komplett auf die Live-Übertragung der WSSP Rennen verzichtet, ist die Serie nur auf Eurosport zu sehen. Dort ist jedoch keine Garantie gegeben, ob jeweils sogar alle WSBK-Läufe live gezeigt werden. Umso mehr gilt dies dann für die World Supersport 600 WM, die von Servus TV trotz erfolgreichem Fahrer aus Österreich, sogar komplett im Stich gelassen wird. Bei Eurosport und dem Red Bull Sender Servus TV haben oft andere Sendungen vor WSBK Priorität, dazu weicht Eurosport für die live-Übertragung oft auf Kanal 2 aus. Nachdem dieser nur per Pay-TV und nicht überall in Deutschland verfügbar ist, fristet die Serie erst recht ein Schattendasein. Aus diesem Grund ist in Deutschland und Österreich die Sponsorensuche deutlich schwieriger als vergleichsweise in Frankreich oder Italien. Mit einem ehemaligen Weltmeister wie Sandro Cortese wäre diese Aufgabe vermutlich wesentlich leichter gefallen.
Nur noch wenig Hoffnung
Sofern nicht noch ein kleines Wunder passiert, muss nun aber damit gerechnet werden, dass 2020 kein deutsches Team in der WSSP 600 mit dabei sein wird. Die Suche nach Sponsorengeld mit der Veröffentlichung des befürchteten Rücktritts zu verknüpfen (in diversen Medien war beides im selben Artikel zu lesen) ist wenig zielführend. Letztlich hätte das realistischste und dadurch konkrete Ziel von August 2019 an die World Supersport sein müssen. Dass diese Erkenntnis zu spät kam, verzögerte den gesamten Zeitplan. Wenn dadurch dann auch die Startplatz-Zusage der Dorna entsprechend spät kam, kann man es nicht ihnen anlasten. Viel wichtiger noch ist die Tatsache, dass Sponsorensuche kurz vor dem Jahresende praktisch ein Ding der Unmöglichkeit ist. Fast alle Firmen haben ihre Budgets zu diesem Zeitpunkt schon lange festgelegt und danach kaum mehr Freiraum für zusätzliche Summen. Ein Neueinstieg lässt sich eben, auch wenn man Kiefer heisst, nicht innert 2 bis 3 Monaten planen und abwickeln. Wir drücken mit den österreichischen und deutschen Fans trotzdem die Daumen, dass es letztlich doch noch ein Happy End gibt und Kiefer Racing im Paddock vertreten sein wird.