Die Traditionsrennstrecke in der ehemaligen DDR
Die Ursprünge für das erste Rennen auf dem anfänglichen Kurs auf einer 8,71 km langen Strecke gehen auf das Jahr 1927 zurück. Gefahren wurde auf öffentlichen Straßen, welche auch durch die Kreisstadt Hohenstein-Ernstthal und Hermsdorf in Sachsen führten. Am 26. Mai, dem Himmelfahrtstag sollen über 140’000 Zuschauer dem sogenannten Badberg-Vierecksrennen beigewohnt haben. Der Straßenkurs führte gegen den Uhrzeigersinn durch Hohenstein-Ernstthal nach Norden und verlief in westlicher Richtung parallel zur heutigen A4 Chemnitz–Gera. Auf der heutigen Bundesstraße 180 ging es nach einem Linksknick nach Süden, um danach in der sogenannten Queckenberg-Kurve auf die Zielgerade einzumünden. Nach nur gerade zwei Austragungen musste die Veranstaltung aufgrund von Protesten der Anwohnerschaft zunächst ausgesetzt werden. Ins Feld geführt wurden damals als Begründung vor allem zahlreiche Unfälle.
Die 30-er Jahre
Die zwischen Zwickau und Chemnitz gelegene Rennstrecke wurde in den 1930-er Jahren nach einer Zwangspause letztlich fester Bestandteil des internationalen Rennkalenders. Im Jahr 1934 wurde erstmals der Große Preis von Deutschland für Motorräder auf dem Sachsenring ausgetragen. Leider gab es dabei drei Todesopfer zu beklagen. Darunter war auch der 500 cm³ Europameister des Vorjahres, Karl Gunnar Kalén aus Schweden, sowie der aktuelle 500er-Europameister Pol Demeuter aus Belgien. Im Jahr 1936 wurden im Rahmen des Grand Prix die Europameister ermittelt. Erst 1937 erhielt der Kurs den Namen Sachsenring. Davor wurden auf dem bis dahin als Sachsenring bezeichneten Grillenburger Dreieck im Tharandter Wald die Rennaktivitäten eingestellt. Ein ursprünglich geplanter Neubau dieses vorherigen „Sachsenrings“ am Pöhlberg bei Annaberg für 1933–1934 war gescheitert. Aus diesem Grund erhielt die Strecke in Hohenstein-Ernstthal seine Namensänderung.
Die Todesopfer der Vorkriegszeit
Der Unfall von Karl Gunnar Kalén
Kaléns tödlicher Unfall wurde viele Jahre später von einem anderen Teilnehmer aus einem südlichen Land (nachfolgend seine Schilderung auf Deutsch übersetzt) folgendermaßen beschrieben: „Es war ein schreckliches Rennen, auf einer engen Strecke und mit sehr schlechtem Straßenbelag. Die deutschen Veranstalter verwendeten Draht zur Absperrung der Strecke, um zu verhindern, dass Zuschauer sich auf die Fahrbahn begeben. Plötzlich der Pilot hinter mir beim Bremsen. Dabei prallte er auf mich und mein Motorrad, wodurch auch ich abgeworfen wurde. Dabei verlor er einige Finger, nachdem seine Finger in die Speichen meines Fahrzeugs geraten waren. Ich zog mir durch den Unfall an meinem rechten Bein schwere Verletzungen zu. Noch schlimmer aber traf es den Schweden Kalén, er verlor die Kontrolle über sein Motorrad und stürzte ebenfalls, wodurch er sich aufgrund des Drahts enthauptete. Auch die beiden Belgier Erik, genannt Noir und Demeuter verloren ihr Leben. Es war ein regelrechtes Massaker!“
Die ersten Nachkriegsjahre
Es dauerte nach dem Zweiten Weltkrieg 4 Jahre, bis im Jahr 1949 das erste Rennen stattfand. In den Nachkriegsjahren waren derartige Motorsport-Veranstaltungen eine sehr gefragte Abwechslung vom meist tristen Alltag, geprägt von immer noch vielen Entbehrungen. So besuchten 1950 angeblich rund 400’000 Zuschauer den Lauf auf dem Sachsenring zur damals noch gesamtdeutschen Motorradmeisterschaft. Ein weiterer Höhepunkt waren die auf dem immer noch 8,71 km langen Kurs ausgetragene Straßenrennen der Straßen-Radweltmeisterschaft 1960. Am 13. August 1961 begann der Bau der Berliner Mauer und die damalige DDR schottete sich vom Westen ab. In erster Linie ging es dabei eher um Fluchtmöglichkeiten der eigenen Bevölkerung, die man damit unterbinden wollte.
Das erste Todesopfer der Nachkriegszeit – Helmut Arnold
Interessantes steht im Protokoll zum Rennen 1952. An der 8,731 km langen Strecke wurden 1500 Strohballen ausgelegt. Dies war eine Ladung von 15 Eisenbahnwaggons. Helmut Arnold kam mit seinem Gespann zu Sturz und war trotz dieses enormen Aufwands zur Streckensicherung damit das erste Todesopfer seit dem 2. Weltkrieg. Sechs Fußgängerbrücken verbanden Innen – und Außenraum. Eine Holztribüne von 240 m Länge wurde am Ziel erbaut, mit 14’000 Sitzplätzen. Insgesamt 56 Großlautsprecher und weitere 35 in die Bäume verlegte Lautsprecher waren in Betrieb. Rund 800 Agitatoren der SED – Kreisleitung wurden während der Veranstaltung „zum Zweck der politischen Aufklärungsarbeit“ eingesetzt. Der am 22. Februar 1909 geborene und aus Erfurt stammende Helmut Arnold fuhr in seiner Karriere auch Autorennen. Er verlor sein Leben im Alter von 43 Jahren.
Todesopfer auf dem alten Sachsenring nach dem Krieg
Der Motorrad GP der DDR und der Skandal von 1971
Der ostdeutsche Motorrad-Grand Prix fand von 1961 bis 1971 statt. Die lokalen Zweitakt-Renner von MZ aus dem nahegelegenen Zschopau waren in dieser Zeit durchaus wettbewerbsfähig. In dieser Zeit erlebte der „alte“ Sachsenring eine wahre Blütezeit. Doch immer wieder wurde die Veranstaltung von tragischen Ereignissen überschattet. So fand 1969 der junge britische Weltmeister und Publikumsliebling Bill Ivy bei einem Sturz im Zentrum von Hohenstein-Ernstthal den Tod.
Der Skandal von 1971 und das Ende des GP der DDR
Im Jahr 1971 gewann der westdeutsche Publikumsliebling Dieter Braun auf Yamaha in der 250 cm³ Klasse. Nach dem Sieg des sympathischen Schwaben aus dem Land des „Klassenfeinds“ wurde die westdeutsche Nationalhymne abgespielt. Da dies den in erdrückender Zahl anwesenden ostdeutschen Staatsfunktionären ein Dorn im Auge war, wurden absichtlich mit Ausnahme des Start-Ziel Bereichs sämtliche Lautsprecher abgestellt. Doch die ostdeutschen Fans sangen die westdeutsche Hymne voller Inbrunst einfach mit. Dies war der Anfang vom Ende der internationalen Veranstaltung. Nach dem GP der DDR 1972 beschränkte sich die Austragung aus politischen Gründen auf ein Rennen, welches auf osteuropäische Teilnehmer beschränkt wurde.
Die alte Streckenführung des Sachsenring Rennens
Nachfolgend die Streckenskizze aus einer Zeichnung in einem DDR-Magazin. Oben im Bild befindet sich die heutige Autobahn A4 Chemnitz–Gera. Unten in der Mitte befindet sich der heutige Sachsenring, auf einem Kurs des Verkehrs-Sicherheitszentrums. Rechts eingezeichnet ist die Ortsdurchfahrt durch die Kreisstadt Hohenstein-Ernstthal.
Die letzten Jahre vor dem Neubau
Das Ende der GP-Ära zu Beginn der 70-er Jahre
Die schnellste Rennrunde auf dem Sachsenring fuhr der 15-fache Rekord-Weltmeister Giacomo Agostini aus Italien. Mit seiner 500 cm³ MV Agusta legte „Ago nazionale“ die fliegende Runde mit einer Durchschnitts-Geschwindigkeit von beinahe 180 km/h zurück. Doch nach 1972 war Schluss mit GP-Sport und es wurden nur noch Läufe zur DDR-Meisterschaft ausgetragen. Für die Fans aus dem sogenannten „Ostblock“ ein riesiger Dämpfer. Ihnen blieb seither nur noch die Reise nach Brünn, wollten sie die Idole aus dem Westen fahren sehen. Die Königsklasse bis 500 cm³ war dort jedoch nur von 1972 bis 1977 am Start, sowie vor 1970.
Die GP-Sieger auf dem alten Sachsenring von 1961 bis 1972
DDR-Staatsmeisterschaftsrennen, Rallyes und das Ende vom alten Ring
Ab 1973 tauchte der Sachsenring fast nur noch im Zusammenhang mit Rennen zur DDR-Staatsmeisterschaft und der internationalen Rallye Sachsenring in nationalen Berichterstattungen auf. Die Läufe zur DDR-Meisterschaft und zum Pokal der sozialistischen Länder sowie Touren- und Autorennen mit rein osteuropäischen Teilnehmern zogen nach wie vor zahlreiches Publikum an. Die Zuschauerzahlen lagen laut offiziellen Angaben weiterhin im Bereich zwischen 200’000 und 300’000 Besuchern. Das Sachsenring-Rennen hatte damals bereits Volksfestcharakter. Der Sachsenring wurde nicht wie vergleichbare Naturrennstrecken im Westen komplett umgebaut. Lediglich am Ende der Start- und Zielgeraden, vor der Einfahrt in die Stadt, wurde eine Schikane eingebaut. Das Ende der DDR zum Jahr 1990 mit dem Zusammenbruch und der Wiedervereinigung gab auch dem alten Sachsenring den Todesstoß.
Der Neustart mit permanenter Rundstrecke
Im Jahr 1995 wurde das am Start-Ziel-Bereich der alten Rennstrecke gelegene Verkehrssicherheitszentrum eröffnet. Es war eine Anlage mit zu diesem Zeitpunkt noch nicht permanent verfügbarer Rennstrecke. Doch ab nun bot sich wieder die Möglichkeit, Rennsport vor Ort zu betreiben. Das erste Event 1996 war die internationale Deutsche Motorradmeisterschaft (IDM) und im Autorennsport der ADAC Super Tourenwagen Cup. Zwei Jahre später kehrte der Motorrad Grand Prix auf den Sachsenring zurück. Ab dann schnellten die an anderen Veranstaltungsorten wie Hockenheim und Nürburgring bescheidenen Zuschauerzahlen für deutsche GP’s sofort wieder in die Höhe. Von 2003 bis zum Jahr 2019 gab es nur noch 3 Jahre, in welchen die Zuschauerzahl auf unter 200’000 sank.
Streckencharakteristik des neuen Sachsenrings
Ursprünglich wurde der im Vergleich zu anderen GP-Strecken sehr kurze Rundkurs als untauglich für Weltmeisterschaftsläufe eingestuft. Durch zahlreiche Verbesserungen nach der Neueröffnung gelang es jedoch, den nur 3,671 Kilometer langen Sachsenring im Kalender zu etablieren. Mit 3 Rechts- und 10 Linkskurven ist es eine sehr enge Rennstrecke von 12 Metern Breite. Längste Gerade ist Start-Ziel mit nur gerade 700 Metern Länge. Für die Saison 2001 wurde die Boxenanlage verbessert. Dank der Tatsache, dass der Kurs in Hohenstein-Ernstthal der kürzeste der MotoGP ist, sehen die Zuschauer mehr Rennrunden als überall sonst. In der Königsklasse wird über 30 Runden gefahren, bei der Moto2 sind es 28 und der Moto3 noch deren 27. Der absolute Rundenrekord wird seit 2018 von Marc Marquez gehalten, mit 1:20,270 Minuten und einer Durchschnitts-Geschwindigkeit von 164,6 Km/h. Damit ist der Sachsenring eine der langsamsten Strecken nach Valencia mit nur 161,2 Km/h bei Jorge Lorenzos Rundenrekord von 2016.
Sachsenring Zuschauerstatistik
In Kursivschrift die Zahlen für Regenrennen und in Fettschrift ist der Besucherrekord, im Vergleich zu den anderen GP-Strecken von 2010 bis 2019. Der Sachsenring ist eine der wenigen Strecken mit konstant über 200-Tausend Zuschauern. Sämtliche Zahlen sind jeweils über alle 3 Tage am GP-Wochenende kumuliert gerechnet.
Die GP-Sieger auf dem neuen Sachsenring
Seit er in der MotoGP antritt, gewann der Spanier Marc Marquez auf Repsol Honda jedes der 7 seither ausgetragenen Rennen. Publikumsliebling Valentino Rossi (einmal auf Honda und dreimal mit Yamaha) und der Ende 2018 zurückgetretene Dani Pedrosa (Repsol Honda) teilen sich Platz 2 mit je 4 Siegen. Alle 3 genannten Fahrer gewannen auch bereits in tieferen Klassen auf dem Sachsenring, bevor sie in die MotoGP aufstiegen.
Die Magie des Sachsenrings
Selbstverständlich hat der Sachsenring gegenüber einigen anderen Rennstrecken einige Nachteile. Da wäre die Begehbarkeit rund um die Strecke, welche leider nicht gegeben ist. Und teilweise herrscht an einigen Stellen wie rund um das Omega ein ziemliches Gedränge. Es kann auch sein, dass man keinen Platz findet, um sich als Käufer eines Stehplatz-Tickets irgendwo kurz hinzusetzen. Aber wer schon einmal einen GP in Hohenstein-Ernstthal besucht hat und ein echter Rennsport-Fan ist, weiß um die Magie dieser Strecke. Zudem fühlt er sich im Vergleich zu den meisten anderen Strecken bezüglich Verpflegungsmöglichkeiten wie im Schlaraffenland. Diese Vielfalt sahen wir noch weltweit an keiner anderen Strecke. Selbst in Pausen ist es manchenorts dank der Vielzahl an Ständen kein Problem, sich kurz etwas zu holen.
Die Freundlichkeit der Bevölkerung
Als wir am Rennsonntag 2017 wie unzählige anderen Besucher nach dem MotoGP Rennen, damals auch noch für ein sogenanntes „Rahmenrennen“ blieben, waren wir echt erstaunt. In Italien oder Spanien beginnt die endlose „Abmarsch-Karawane“ meist bereits mitten im letzten Rennen, was meist sogar der Lauf der Königsklasse ist. Nicht so auf dem Sachsenring, wo vor allem viele Menschen aus der Region noch lange bis nach den Rennen bleiben. Das ist der viel beschworene Volksfest-Charakter. Etwas, das die wenigsten Rennsport-Events heute noch bieten können. Dazu die Offenheit und Freundlichkeit eines Großteils der Bevölkerung, sowohl am Ring wie auch in ganz Sachsen. Der Autor dieses Artikels spricht sehr gut italienisch und war schon unzählige Male im Land mit der Form eines Stiefels. Aber die den Italienern zugeschriebene Gastfreundlichkeit wird von den Sachsen meiner Ansicht nach noch in den Schatten gestellt. Und wenn wir auf der KTM Superduke GT dann am frühen Sonntagabend 2017 durch das Städtchen Hohenstein-Ernstthal wegfährt und einem die Bevölkerung vor den Häusern stehend zuwinkt, dann weiß man ganz bestimmt: Wir kommen wieder!