Ein Bild aus glücklicheren Yamaha Tagen von 2020 mit von links Garrett Gerloff, Toprak Razgatlioglu einem Teammitglied, Federico Caricasulo und Michael van der Mark im gemeinsamen Austausch. In der Regel hält sich der wortkarge Türke dabei meist kurz, auch weil sein Englisch sich nach wie vor auf einige wenige Worte beschränkt.

Eine Lanze für Garrett Gerloff – den Sündenbock vom 2. Assen-Lauf

Es war erstaunlich für uns, wie schnell nach dem Sturz von Toprak Razgatlioglu die Kommentatoren dafür nicht den Gestürzten, sondern dessen Markenkollegen als Schuldigen ausmachten. Wir hingegen hatten eher dabei den Eindruck, als hätte Toprak von aussen Turn 1 anbremsend, eine etwas spitze Linie in die Kurve gewählt. Zugegeben, sein Vorderrad war einen Tick weiter vorne als das von Gerloff. Aber wer schon einmal eine Kurve im Grenzbereich anbremste, kennt das Gefühl und was in einem solchen winzig kurzen Augenblick abläuft. Es ist innerhalb weniger Hundertstel keine Zeit für lange Überlegungen, der Fahrer versucht wie all seine Kontrahenten, in der ersten Kurve möglichst die Nase weit vorne zu halten.

Der Moment als die Wogen in den Boxen und Kommentatoren-Kabinen hochgingen – ganz weit innen vorne Garrett Gerloff und sein nach einer Berührung zwischen den beiden bereits stürzender Yamaha Markenkollege Toprak, der dabei die Kontrolle über sein Bike verlor.

Die Schuld nach einem Crash von sich zu weisen ist eine übliche Reaktion – wie Sykes in Frankreich
Ähnlich wie in Assen diese Saison war es bei Gerloff bereits 2020 in Magny-Cours im ersten Rennen und er war dabei sogar auf einer engeren Linie unterwegs, als der vor ihm an der Spitze liegende Jonathan Rea. Trotzdem wurde der US-Amerikaner von zahlreichen Medien, dazu vor allem auch von Tom Sykes und BMW nachher als Schuldiger dargestellt, als der Mann aus Huddersfield ihn von aussen kommend touchierte und abflog. Dabei sogar seinen Teamkollegen Eugene Laverty abräumte, der danach nicht zu Unrecht auch die Schuld alleine bei Sykes sah. Um nicht selbst als Tölpel dazustehen, nachdem er die Kontrolle über seine Yamaha nach der Berührung mit dem Texaner verloren hatte, wählte Toprak ein probates Mittel und beschuldigte sofort Gerloff. Diesmal gab ihm die Rennleitung recht, nicht aber in Magny-Cours bei einem sehr ähnlichen Vorfall, womit BMW und zahlreiche Schreiberlinge in Nevers blöd dastanden.

Kurve eins auf dem Circuit de Nevers Magny-Cours mit vorne Jonathan Rea (Kawasaki), dahinter auf einer sehr engen Linie Garrett Gerloff (Yamaha) und der soeben nach einer Berührung mit ihm stürzende Tom Sykes, welcher sogleich seinen Teamkollegen Eugene Laverty mit abräumen wird. Trotzdem BMW und viele voreiligen Schreiberlinge danach dem Texaner dafür die Schuld zuschoben, sah dies die Rennleitung anders und sah darin einen normalen Rennunfall. Wir standen 2020 exakt so, dass wir es genau wie die Kommissare sahen und dies sogar mit eigenen Augen. Für uns hatte damals einzig und allein Sykes die Schuld am Doppelausfall mit dem Nord-Iren.

Der Vorfall im ersten Rennen von Portugal 2019

Es gab im Jahr 2019 sogar eine sehr ähnliche Situation wie im zweiten Rennen von Assen. Zwischen den beiden Aruba.it Ducati Teamkollegen Chaz Davies und Alvaro Bautista bestand die normale Konkurrenz, wie sie im Rennsport alltäglich ist. Im Prinzip sollte jeder zuerst den eigenen Teamkollegen schlagen. Zu Saisonbeginn 2019 legte der kleine Spanier jedoch eine Serie hin, dass dem Waliser Hören und Sehen verging. Mit der wie auf ihn zugeschnittenen MotoGP Replica Ducati Panigale V4R gewann der MotoGP Umsteiger die ersten elf Rennen des Jahres und liess dabei jedes Mal nicht nur Davies, sondern auch den amtierenden Weltmeister Jonathan Rea hinter sich. Dieser hatte auf der in die Jahre gekommenen Kawasaki ZX-10RR damals in Beschleunigung und Topspeed nicht den Hauch einer Chance gegen Bautista. Erst ab der Fahrerstrecke von Imola konnte der Nord-Ire zurückschlagen und auch Davies besiegte auf dem Autodromo Dino e Enzo Ferrari seinen Mannschaftskollegen zum ersten Mal. Für diesen war der gefährliche Kurs absolut neu, aber er hielt sich tapfer. Doch dann kamen die ersten Stürze von Alvaro und als es nach Portugal ging, kam es zur Team-internen beinahe-Katastrophe im 1. Rennen.

Die Anfahrt zur ersten Kurve im ersten Rennen von Portimão im September 2019 mit in Bildmitte Michael van der Mark, Alex Lowes (beide Yamaha), Alvaro Bautista und dahinter sein von ganz innen hinein stechender Teamkollege Chaz Davies. Damit steuerten vier Fahrer nebeneinander Turn 1 an.
In der ersten Kurve blieb, Sekundenbruchteile später für Bautista kein Platz mehr, auch weil er vom Waliser nach aussen gedrängt wurde. Der Spanier musste „aufmachen“ und schoss dabei um ein Haar den vor ihm aussen fahrenden Alex Lowes ab und verpasste dadurch natürlich auch die Kurve. Chaz Davies wurde für sein rücksichtsloses Verhalten (wie es Toprak in Assen bei Gerloff nannte) danach nicht bestraft.
Ein Bild aus früheren Jahren, das durchaus beweist, wie hart Chaz Davies besonders im Kampf mit seinem langjährigen Erzrivalen Jonathan Rea umgehen konnte. Der Zusammenprall von Gerloff mit dem von aussen kommenden Toprak in Assen 2021 wirkt im Vergleich dazu harmlos und vor allem eher zufällig, als was man hier sieht.

Ein interessantes Beispiel für ein vorschnelles und zu hartes Urteil

Zum angeblichen Fehlverhalten von Garrett Gerloff im zweiten Rennen von Assen gibt es eine Pointe, die nur mitbekam, wer das Rennen bei Servus TV verfolgte oder sich später aus deren Archiv anschaute. Für den zum Red Bull Konzern gehörenden Sender wurde auf die Saison 2021 der als Fahrer zurückgetretene Sandro Cortese als Co-Kommentator verpflichtet. Ausgerechnet er verurteilte den Texaner nach dem Vorfall mit Toprak sofort aufs Schärfste. Zumindest uns verwunderte dieses vorschnelle und harte Urteil sehr. Wir waren nicht ganz zufällig jedoch in Phillip Island (Australien) vor Ort, als Garrett Gerloff sein erstes WorldSBK Wochenende bestritt. Am Sonntag fehlte der US-Boy jedoch, weil er im Spital zur Untersuchung nach einem Crash war. Schuld daran war ausgerechnet der damals mit der Nummer 11 angetretene Kawasaki Pilot Cortese, welcher in eine nicht vorhandene Lücke stoßen wollte. Die geschah nicht etwa im Rennen, sondern im Warm-Up am Sonntagmorgen, bei welchem es um absolut nichts ging.

Der unverschuldete Sturz von Garrett Gerloff, dem Sandro Cortese davor in die Ideallinie gefahren war, wonach der Texaner keine Chance hatte, nachdem er mit dem Deutschen kollidiert war und heftig gestürzt war. Der Mann mit der Nummer 31 wurde danach mit dem Hubschrauber ins Spital geflogen und verpasste die beiden Rennen vom Sonntag. Dass Cortese danach seine Schuld an diesem Zwischenfall zugab, nützte ihm nichts.

Die Kollision in Assen passierte definitiv ohne Absicht
Beim Vorfall mit Razgatlioglu in Assen ging es hingegen um die Führung im Rennen und es war definitiv nicht die Absicht des US-Amerikaners, seinen Markenkollegen zu torpedieren, was man auch in der Aufzeichnung des Vorfalls gut sehen konnte. Er drehte sich sogar danach um und sah nach dem Türken, was ihn mehrere Plätze kostete. Es war weder brutaler noch schlimmer, als was Davies in Portugal 2019 machte und trotzdem wurde Gerloff im Gegensatz zu damals sogar von der Rennleitung danach mit einer Durchfahrts-Strafe um jede Chance für eine gute Platzierung gebracht. Er hatte vor seinem Sturz bei der Aufholjagd die beste Pace aller Fahrer im Rennen und war für ein Podium gut gewesen. Deshalb plädieren wir dafür, mit ihm nicht zu hart ins Gericht zu gehen. Dies auch, weil Tom Sykes in Aragon 2020 beispielsweise Leandro Mercado nach der sogenannten „Cork-Screw“ absolut rücksichtslos voll in die Linie gefahren war, wodurch der Argentinier böse stürzte und sich Knochenbrüche dabei zuzog. Der Argentinier fiel für einige Zeit danach verletzt aus. Sykes aber wurde von den Kommissaren damals nicht einmal für sein Vergehen bestraft.

Wo nicht anders erwähnt gilt bei allen Bildern (© WorldSBK).