Die offenen Worte des WM-Leaders nach seinem achtem Sieg
Nach seinem überragenden Sieg im Sprintrennen gab Toprak Razgatlioglu am Sonntagmorgen dem zweifachen WSBK Weltmeister James Toseland (2004 auf Ducati und 2007 für Honda) ein denkwürdiges Interview. Der Türke wies, angesprochen vom Engländer auf den großen Abstand zum Zweitplatzierten, auf die schwierigen Jahre ab 2019 hin. Als Alvaro Bautista auf der MotoGP Replica von Ducati auf den Geraden mit meist 15 bis 20 km/h höherem Topspeed an seinen Konkurrenten förmlich vorbeiflog, seien Jonathan Rea und er absolut chancenlos gewesen und hätten mit riesigem Rückstand damals ihre Rennen verloren. Nun sei endlich Ducati in der Situation, selbst erleben zu müssen, wie eine derartig vernichtende Niederlage sich anfühle. Der BMW Pilot machte damit ganz offen darauf aufmerksam, wie unterlegen er und alle anderen Kontrahenten (mit besonderer Erwähnung von Johnny Rea) der Roten, sich die letzten fünf Jahre trotz höchstem Einsatz und Risiko fühlten. Bautistas Motor-Vorteile waren aus deren Sicht viel zu oft so deutlich, dass nur selten ein wirklich hohes Risiko auf sich nehmen musste. Aber nun hat Toprak mit seiner BMW M-1000R nur noch 600 U/Min weniger Höchstdrehzahl zur Verfügung als die Ducati Panigale V4R. Mit der Yamaha R1 waren es noch deren 900, was wesentlich weniger Leistung und ein deutlich schmaleres Drehzahlband als vor allem bei der Ducati bedeutet.
Die Wende in der 37. WorldSBK Saison
Nach Runde 5 in Donington sieht alles danach aus, als reiche sein wesentlich geringeres Handicap nun, zusammen mit dem, erst auf die Saison 2024 auf Druck der Ducati Konkurrenz endlich eingeführten Minimalgewicht, um als schnellster Pilot den Unterschied zu machen. Während Bautista die Mehrzahl seiner Siege laut Mehrzahl der Stimmen im Paddock vor allem der Reglements-Auslegung fragwürdiger FIM Funktionäre zu verdanken hatte, reicht für Razgatlioglu ein Motorrad, an welchem noch bis letztes Jahr selbst alle Experten zweifelten. Nachdem er auf dem Circuito de Cataluña in diesem Jahr mit zwei Siegen und einem dritten Rang den Gesamtsieg trotz der langen Start-Zielgeraden holte, begannen seine und alle neutralen WSBK-Fans auf eine offene Meisterschaft zu hoffen. Einem leichten Rückschlag beim Sprintrennen von Assen hatte „El Turco“ danach einige verpasste Punkte zu verdanken. All dies konnte Toprak nicht daran hindern, den Ducati Werkspiloten Bautista und Bulega ausgerechnet in Misano die erste vernichtende Niederlage der Saison durch seinen Dreifach-Sieg zuzufügen. Nach dieser Demütigung auf der Heimstrecke von Ducati folgte in England nun die Wiederholung, womit die Wende bezüglich der Kräfteverhältnisse in der WSBK als vollzogen bezeichnet werden darf. Spätestens seit der fünften Runde in England ist BMW dank Toprak klarer Titelfavorit. Ohne technisch bedingte Ausfälle und Stürze dürfte dies im ersten Titel des Werks aus Bayern münden.
Stürze und FIM-Fehlentscheidung überschatten das WSSP Finalrennen
Leider gab es nach zuerst einer Kollision von Marcel Schrötter (MV Agusta) mit dem Australier Tom Edwards (Ducati) einen Massensturz, welcher zu einer roten Flagge und dem Abbruch nach 2 Runden führte. Dabei beteiligt waren in Turn 10 Toms, Fuligni, Keankum und McPhee. Davor war auch in der elften Kurve noch Glen van Straalen gestürzt, was den Niederländer nach dem Restart aber nicht von einem Top Ten Resultat abhielt. Auch Marcel Schrötter schaffte es rechtzeitig in die Box und seine Mechaniker zudem noch knapp eine Reparatur seiner MV, wodurch der Deutsche mit Rang 11 immerhin einige wichtige Punkte sammeln konnte. Im Titelkampf hat der ehemalige Moto2 GP Sieger aber womöglich kaum mehr ein ernsthaftes Wörtchen mitzureden. Ganz anders Adrian Huertas, der trotz zwei Nullern in den ersten beiden Runden bereits deutlich in Führung im Zwischenklassement der Weltmeisterschaft liegt. Viele im Paddock sind allerdings der Ansicht, dass der Spanier dies sehr stark der FIM zu verdanken hat. Einerseits sieht es immer mehr danach aus, als werde Ducati von diesen Leuten durch deren Auslegung des WSSP Reglements bevorteilt, was ein Blick auf die letzten Resultate unterstreicht. Auf der anderen Seite wurde der eigentliche Sieger Montella in Lauf zwei von Doningtondurch die FIM Kommissare kurz nach dem Zieleinlauf auf P2 zurückversetzt. Die Zeitlupen-Aufnahmen lassen jedoch erhebliche Zweifel an seinem laut FIM Stewards angeblichen Track-Limit Vergehen aufkommen. So auch die spontane Reaktion von Live-Kommentatoren nach Sicht der betreffenden Szene.
Wer kann Toprak noch den Titel streitig machen?
Den besten WorldSBK Piloten aller Zeiten kann man in diesem Zusammenhang definitiv nicht nennen. Mit der Yamaha, auf welcher Razgatlioglu zahlreiche Siege eingefahren hatte, kämpft Johnny Rea leider noch immer mit stumpfen Waffen. Mit Ausnahme des Tissot Sprint-Race in Donington blieben für ihn bisher sogar Podestplätze ein Wunschtraum und er liegt nur auf dem aussichtslosen elften Zwischenrang der WM. Weil Titelverteidiger Alvaro Bautista deutlich schwächelt und viel zu oft im Schatten seines Ducati Werksteam-Kollegen und Rookies Niccolo Bulega steht, trauen auch dem spanischen Rennzwerg nur noch die aller wenigsten einen weiteren Titel zu. Der Marktwert des zweifachen Weltmeisters reduziert sich mit jeder Runde drastisch und mittlerweile sind sich auch die letzten Beobachter sicher, dass seine unzähligen Erfolge der letzten Jahre in erster Linie dem überlegenen Material von Ducati zu verdanken waren. Sonst hätte er in seinen zwei Jahren auf der Werks-Honda eine bessere Figur abgegeben. Weil Bulega noch viel Erfahrung mit der Ducati Panigale V4R fehlt, dürfte auch der Italiener kaum in der Lage sein, Toprak am zweiten Titel nach 2021 zu hindern. Bliebe noch Alex Lowes, der über sehr viele Jahre als Bruchpilot vom Dienst galt. Aber wahrscheinlich erst, wenn er sein Team im kommenden Jahr mit der Bimota-Kawasaki noch eine Schippe drauflegen kann, verfügt der Engländer über ausreichend konkurrenzfähiges Material für den Titelkampf. Mit aktuell 1000 U/Min weniger Maximaldrehzahl gegenüber der Ducati Panigale V4R kämpft der Mann aus Lincoln immer noch mit demselben Handicap wie in den letzten Jahren Jonathan Rea auf der Kawasaki ZX-10RR.
Eine Aussage von Toprak gibt der Konkurrenz zu denken
Ähnlich wie 2019 Jonathan Rea, als dieser im strömenden Regen von Donington innert drei Runden fast 9 Sekunden Vorsprung herausgefahren hatte, dominierte 5 Jahre später sein ehemaliger Markenkollege, nun aber für BMW unterwegs. Wir trauten damals am Samstag unseren Augen kaum, wie riesig der Abstand der Verfolger des Nord-Iren war, angeführt von Regenspezialist Tom Sykes, der bei ähnlichen Verhältnissen auf dem Nürburgring 2011 seinen ersten Sieg eingefahren hatte. An der Paddock Show musste dieser von Rea nach dem ersten Lauf von Donington Park anhören, wie er ab dem dritten Umgang das Risiko zurückschraubte, um nur noch auf sicher fahrend ins Ziel zu kommen. Verblüffend ähnlich tönte es 2024 nach dem ersten und völlig überlegenen Sieg von Razgatlioglu an selber Städte. Er gab zu Protokoll, auch selbst von seinem stets wachsenden Vorsprung überrascht gewesen zu sein. Danach habe er eigentlich nur noch darauf geachtet, keinen unnötigen Fehler zu begehen und darauf zu hoffen, dass ihn kein technischer Defekt einbremsen würde. Auf sicher ins Ziel zu kommen blieb damit sein Motto, ganz wie damals Jonathan Rea und die letzten beiden Jahre Alvaro Bautista. Letzterer hatte dies allerdings im Gegensatz zu Johnny und Toprak, trotz haushoher Überlegenheit bei Topspeed und Beschleunigung, auf Anfrage stets vehement bestritten .
Wo nicht anders erwähnt gilt bei allen Bildern (© WorldSBK).
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