Die Skandal-umwitterte Karriere des Rennfahrers aus der DDR
Seine Karriere war absolut einzigartig und Skandal-umwittert. Degner wurde zum DDR Republik-Flüchtling und die Hauptfigur in einem regelrechten Krimi der Industriespionage. Doch beginnen wir zuerst von vorne. Im ersten Teil unseres Berichts über den ehemaligen MZ- und Suzuki-Werksfahrer widmen wir uns den Anfängen in der Karriere des jungen Ernst Degner.
Geburt und schwere Jugendjahre
Ernst Eugen Wotzlawek, wie er bei seiner Geburt noch hieß, erblickte am 22. September 1931 in Gleiwitz in Oberschlesien das Licht der Welt. Sein Vater starb kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Mit seiner älteren Schwester und der Mutter flohen sie aus ihrem Haus in Gleiwitz, dem heutigen Gliwice in Polen. Es galt dabei, der vorrückenden russischen Armee zu entweichen. Am Ende des Krieges strandeten sie in der Deutschen Demokratischen Republik in Luckau, rund 50 km westlich von Cottbus in der Lausitz. Kurz darauf starb Degners Mutter und die beiden Kinder wuchsen als Vollwaisen auf. Ernst besuchte das technische Gymnasium in Potsdam und erhielt 1950 ein Diplom in Entwicklungstechnik. Darauf fand er eine Anstellung als KFZ-Lehrling in Potsdam.
Die ersten Schritte im Rennsport
1950 trat Degner dem Potsdamer Motorradclub bei, wo er Daniel Zimmermann kennenlernte. Dieser hatte ein außergewöhnlich schnelles 125-cm3-Rennmotorrad auf Basis einer DKW RT125 gebaut. Zu Ehren des Designers und Ingenieurs und seiner damaligen Fahrer Bernhard Petruschke und Diethart Henkel wurde es ZPH getauft, mit den ersten Buchstaben derer Nachnamen. Die ZPH erwies sich als schneller als die ostdeutschen Werks-IFAs. Diese Firma wurde später in MZ umgetauft, als Abkürzung für Motorradwerke Zschopau. Deren Maschinen basierten ebenfalls auf der DKW RT125. Degner startete 1952 selbst im Rennsport und erzielte in der Saison 1953 seine ersten Siege im Leipziger Stadtpark und in Bernau. In diesem Jahr hatte er bereits eine Lizenz für die sogenannte Ausweisklasse und beendete die Saison als Zweiter in der 125 cm³ Ausweisklasse. Zimmermann stellte ihm einen ZPH-Motor zur Verfügung, mit dem Degner 1955 in der DDR 125-er Meisterschaft den zweiten Platz hinter Horst Fügner (IFA) belegte.
Die Verpflichtung Degners durch MZ und der erste nationale Titel
Seine Rennerfolge auf der ZPH wurden vom Ingenieur und MZ-Teammanager Walter Kaaden aufmerksam verfolgt. Dieser nahm Degner als Ingenieur und Fahrer für das MZ Werk in Zschopau unter Vertrag. Ab 1956 war der Firmenname auf IFA-MZ geändert worden. Hier fand gleichzeitig auch die Freundin von Ernst, Gerda Bastian eine Anstellung. Degner begann bei MZ am 1. März 1956 und war für den ostdeutschen Hersteller sofort erfolgreich. Die Zweitaktmotoren, für die der geniale Kaaden verantwortlich zeichnete, wurden immer schneller und konkurrenzfähiger. Er hatte ein Prinzip entdeckt, womit Schallwellen und Expansionskammern das Motortuning für Zweitakter durch die Auspuffgestaltung beeinflussten.
Degners nationale Erfolge 1957
In der Saison 1957 gewann Degner 11 von 14 Rennen der 125 cm³ Klasse, die er für das Werk bestritt. Damit beendete er das Jahr 1957 als ostdeutscher 125er-Straßenmeister. Beim weit über die Region hinaus bekannten Rennen auf dem Schleizer Dreieck stellte mit einem Durchschnitt von 115,33 km/h in diesem Jahr einen Rundenrekord auf, der noch für einige Zeit bestand halten sollte.
Die Rennen in Westdeutschland
Mit der damals IFA-MZ genannten 125 cm³ Zweitaktmaschine wollte das Team aus der DDR natürlich auch im Westen um Erfolge kämpfen. Daher nahmen sie mit ihren Fahrern Fügner und Degner auch an westlichen Rennen teil, und dies sogar durchaus erfolgreich. Die IFA-MZ war mehr als nur konkurrenzfähig im Vergleich mit den veralteten DKW von Fahrern wie Karl Lottes aus Westdeutschland. Nachdem sich DKW nach 1956 aufgrund sinkender Umsatzzahlen nicht mehr werksseitig im GP-Rennsport engagiert hatte, gab es natürlich keine Weiterentwicklung mehr. Somit kämpfte Ernst Degner mit dem westdeutschen Piloten Karl Lottes und seiner DKW auf Augenhöhe um den Titel der Deutschen Motorrad-Straßenmeisterschaft 1957.
Die Schandtat der OMK
Aber der „Klassenfeind“ hatte auf die Saison 1957 offenbar mitten in der Saison aus dem Nichts heraus keine Lust auf einen Sieger aus dem Osten Deutschlands. Plötzlich hieß es daher, die Fahrer aus der DDR müssten über eine westliche Lizenz verfügen. Selbst in der französischen MotoRevue Ausgabe von 1957 tauchte hierzu ein kritischer Kommentar auf, mit der Frage: Wann und weshalb hat die Westdeutsche Motorsportkommission überhaupt diese Maßnahme ergriffen? Die halbe Antwort darauf lieferten die Franzosen gleich selbst mit dem Übertitel „Politische Auswirkungen auf den Sport“.
Fragwürdiges Vorgehen der Sportfunktionäre sorgte für falschen Meister
Damit hatte sich die OMK (Oberste Motorsportbehörde Westdeutschland) wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert, im Vorjahr war die DDR-Lizenz nämlich noch anerkannt gewesen. Die Franzosen deckten in Ihrer Ausgabe Nr. 1356 von 1957 auf, dass es tatsächlich nur darum ging, den Titel der 125-er hinter der Demarkationslinie zu halten. Man darf festhalten, dass Degner anstelle von Karl Lottes (DKW) 1957 eigentlich deutscher 125 cm³ Meister geworden wäre und nur von der OMK seines Titels beraubt wurde. Die Fahrer aus der DDR fuhren damals mit, um kurz vor Saisonende zu erfahren, dass ihre Resultate gar nicht zur Meisterschaft gewertet wurden. Ein veritabler Schandfleck für den Deutschen Sport der 1950-er Jahre!
Der erste Grand Prix in Westdeutschland
Ab 1957 trat MZ zudem auch werksseitig beim ersten Rennen zur Weltmeisterschaft mit Fügner und Degner an. Es resultierten ein vierter Rang von Fügner und Platz 6 für Degner beim GP von Deutschland am Regenrennen von Hockenheim als respektable Ergebnisse. Die Mannschaft und ihre Fahrer hatten damit erste Erfahrungen sammeln können und dies sollte sich in der folgenden Saison auszahlen. In dieser Zeit muss man auch berücksichtigen, dass jeweils nur die ersten 6 klassierten Fahrer Weltmeisterschaftspunkte erhielten. Und die Konkurrenz war mit FB-Mondial, MV Agusta (beide Italien) und CZ aus der damaligen Tschechoslowakei auch nicht von Pappe. Im Vorjahr waren noch DKW, Gilera, LEF, Montesa und Ducati mit am Start. Für die Saison 1958 kehrte letztgenannte Marke aus Borgo Panigale nahe bei Bologna wieder in die WM zurück.
125 cm³ Fahrer-Weltmeisterschaft 1957
Es wurden von den 6 Rennen im Jahr 1957 nur die besten 4 Resultate gewertet, weshalb 2 Piloten in der WM-Tabelle Streichresultate erhielten. Nachdem damals nur die ersten 6 Fahrer eines Rennens WM-Punkte gewinnen konnten, hier zur Vollständigkeit auch die Fahrer, welche bei einem GP auf Rang 7 bis 10 ins Ziel gekommen waren (mit den damals üblichen Ländercodes):
Douglas Allen (GB, FB-Mondial), Frank Cope (GB, MV Agusta), Dudley Edlin (GB, MV Agusta), Wilhelm Lecke (D, Ducati), Karl Lottes (D, DKW), Werner Musiol (DDR, MZ), Mike O’Rourke (GB, MV Agusta), Roberto Piovana (I, Ducati), Willi Scheidhauer (D, Ducati), Len Tinker (AUS, MV Agusta), Gé van Bockel (NL, Ducati).
125 cm³ Hersteller-Weltmeisterschaft 1957
Die Entscheidung über den Herstellertitel fiel erst zum Saisonende am grünen Tisch. Bei identischer Punktzahl auch nach Abzug der Streichresultate und der Anzahl an Siegen kam dieselbe Formel wie bereits 1953 zur Anwendung. Hierzu wurde ein Vergleich der jeweiligen Zeiten in sämtlichen Rennen herangezogen.
In diesem kleinen Glücks-Spiel gewann FB-Mondial die Herstellerwertung von 1957 und MV Agusta blieb nur Platz 2. MZ und die tschechoslowakische Firma ČZ teilten sich Platz 3 mit je 3 Punkten.
In memoriam – die Motorrad-Rennsport-Opfer 1957
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier die uns bekannten Opfer des Motorrad-Rennsports im Jahr 1957. Gegenüber den 14 Toten (laut unserer Statistik) im Vorjahr war es ein Rückgang, doch jeder einzelne davon war einer zu viel. Und auch im Folgejahr 1958 waren es mit mindestens 13 Toten wieder viel zu viele, die das Leben aufgrund ihrer Motorsport-Leidenschaft opferten.
Weiter geht es in Kürze mit Teil 2 über das Leben von Ernst Degner und seiner ersten vollen GP-Saison..
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