Eine frühe Aufnahme aus der DDR mit Ernst Degner anfangs zweite Hälfte der 1950-er Jahre.

Die Skandal-umwitterte Karriere des Rennfahrers aus der DDR

Für die Saison 1958 hatte sich Teamchef Kaaden für MZ und seine Fahrer einiges vorgenommen. Mit Fügner und Degner nahm die kleine Truppe aus der DDR zum ersten Mal an einer kompletten WM-Saison teil. Nebst der 125 cm³ Maschine wurde auch eine 250-er aufgebaut und die beiden Werksfahrer waren für beide Klassen vorgesehen. Bei Rennen zur West- und Ostdeutschen Meisterschaft hatten sie bereits einige Duftmarken hinterlassen. Die Zweitakt-Renner vom genialen Tüftler und Ingenieur Walter Kaaden hatten trotz einfachsten Mitteln und bescheidenem Budget durchaus Potenzial. Nachdem Team und Fahrer aus der DDR im Westen Deutschlands (siehe Teil 1 der Story über Ernst Degner) im Jahr davor kräftig verschaukelt worden war, strebte man in Zschopau nach internationalem Erfolg. Die Partei-Oberen hatten dies abgesegnet, schließlich galt es auch, im Ausland mit guten Leistungen Eindruck zu schinden.

Die 250 cm³ MZ von 1958 basierte auf zwei aneinandergekoppelten 125-er Zylindern.

Die Werksteams der Saison 1958

Nebst Rückkehrer Ducati gehörte vor allem MV Agusta zu den aussichtsreichsten Konkurrenten um den Titelkampf in den kleineren Klassen. Die beiden Fabrikate MZ und CZ aus dem östlichen Teil Europas von hinter dem „Eisernen Vorhang“ gingen als krasse Außenseiter an den Start. Mit je 3 WM-Punkten aus dem Vorjahr durften sie sich nicht allzu große Hoffnungen machen, mit ihren Fahrern die etablierten Stars und Marken der 50-er Jahre ernsthaft herausfordern zu wollen. Niemand konnte vor Saisonbeginn 1958 ahnen, dass die Mannschaft aus Ostdeutschland in diesem Jahr durchaus glänzen sollte. Um die Attraktivität der Weltmeisterschaft zu erhöhen, verbot die FIM als oberste Motorsportbehörde die Vollverkleidungen an den Maschinen. Aus heutiger Sicht sahen sie damit wesentlich weniger kurios aus, als bis im Jahr davor. Die 1957 noch erzielten Höchstgeschwindigkeiten konnten damit vorerst nicht mehr erzielt werden.

MZ-Werbung (siehe rechte Spalte) in der US-amerikanischen Motorradzeitschrift „Cycle“ von 1958. Mit günstigen Preisen und robuster Technik wurde die deutsche Wertarbeit aus Sachsen hier angepriesen. Erfolge im Motorsport sollten dazu beitragen, die Marke weltweit populärer zu machen. Westliche Devisen waren in der DDR damals sehr gefragt und es gab sehr wenige Exportgüter aus der Republik, die sich im Westen erfolgreich verkaufen ließen.

Saisonstart mit der Tourist Trophy
Der erste Grand Prix auf der Isle of Man war dabei für alle Beteiligten aus der DDR genauso Neuland, wie die anderen Austragungsorte. Zum GP von Deutschland war man im Vorjahr auf dem Hockenheimring angetreten und 1958 war der Nürburgring an der Reihe. Bei den 250-ern war die neue 2-Zylinder Zweitaktmaschine zu diesem Zeitpunkt noch nicht einsatzfähig, weshalb es die 125 cm³ Klasse richten sollte. Und tatsächlich schaffte Ernst Degner auf dem brandgefährlichen und für ihn neuen Straßenkurs mit dem damaligen „Clypse Course“ Layout einen tollen 5. Platz vor Horst Fügner und einem gewissen Mike Hailwood. Gleich beim ersten von 7 WM-Läufen hatte die kleine Truppe aus Ostdeutschland das Resultat aus dem Vorjahr egalisiert!

Luigi Taveri auf Ducati – der Schweizer holten in Assen Platz 2 in der 125 cm³ Klasse.

Dutch TT Assen und GP Belgien mit WM-Runde 2 und 3
Zwei Wochen nach dem Rennen auf der Isle of Man ging es in den Niederlanden mit dem 125 cm³ GP weiter. Ernst Degner konnte sein gutes Resultat aus England mit einem sauberen 6. Platz bestätigen, während Horst Fügner leer ausging. Die 250-er war auch hier noch nicht einsatzbereit und den MZ-Leuten kam daher entgegen, dass diese Klasse beim nächsten GP pausierte. Nur eine Woche nach der Dutch TT ging es bereits nach Spa weiter, der GP von Belgien auf dem schnellen Kurs in den Ardennen wartete auf den GP Zirkus. Die Geschichte des Rennens von Spa-Francorchamps ist aus der Optik der kleinen Truppe aus der DDR schnell erzählt. Degner ging diesmal leer aus und Horst Fügner verpasste mit Rang 7 den letzten WM Punkt nur knapp. Nun hatte man 2 Wochen Zeit zur Vorbereitung auf den GP von Deutschland in der Eifel.

Carlo Ubbiali – der Italiener hatte die ersten 2 Rennen der 125 cm³ Saison auf seiner MV dominiert. In Spa reichte es hingegen nur für Platz 5.

Saisonmitte mit dem GP von Deutschland
Nach den respektablen, aber im Vergleich zu den Stars aus Italien und England mit den italienischen Fabrikaten doch eher bescheidenen Resultaten, waren die Erwartungen gedämpft. Niemand hatte die bescheidene, aber hoch motivierte Mannschaft aus der DDR noch richtig auf der Rechnung. Interessanterweise las man in Westdeutschland nur wenig Positives über MZ und ihre Zweitakt-Renner, im Gegenteil wurden diese sogar den Viertaktern von MV und Ducati gegenüber als deutlich unterlegen bezeichnet. Doch ausgerechnet im Nachbarland Frankreich widmete sich deren Zeitschrift MotoRevue in den Jahren 1957 und 1958 respektvoll und sehr ausführlich über die ersten Gehversuche in der WM von der Marke aus der DDR.

Der Durchbruch für MZ kam auf dem Nürburgring
Und prompt gelang in Westdeutschland der erhoffte Durchbruch. Ernst Degner musste in der 125 cm³ Klasse nur Carlo Ubbiali und Tarquinio Provini auf ihren MV Agustas den Vortritt lassen. Es war das erste Podium für Degner und MZ in der kleinen Kategorie. Der erste Höhepunkt war geschafft und es sollte noch besser kommen. Mit Horst Fügner schaffte man es mit der brandneuen 250-er auf den sensationellen 2. Platz. Noch dazu auf feuchter Strecke, dies war auf dem schwierig zu lernenden Kurs eine wahre Glanzleistung. Damit hatte niemand gerechnet, nur gerade Tarquinio Provini auf der MV war schneller als Fügner. Der Italiener gewann beim GP von Deutschland bereits sein drittes Rennen in der 3. Runde der Weltmeisterschaft. Die Freude bei MZ und in der Heimat war riesig. Mit diesem Podiumsplatz hatte sich Fügner in nur einem GP auf Rang 4 im WM-Zwischenklassement katapultiert, den er zusammen mit dem Westdeutschen Falk auf Ariel nun innehatte.

Dieter Falk aus Freudenberg – zusammen mit Horst
Fügner nach der 3. Runde WM-Vierter in der 250 cm³
Klasse.

GP von Schweden – die drittletzte WM-Runde
Wer gedacht hatte, das fantastische Resultat mit je einem Nürburgring-Podium in den beiden Klassen 125 cm³ mit Degner und bis 250 cm³ mit Fügner sei nur ein Zufallstreffer gewesen, wurde schnell eines Besseren belehrt. Am 27. Juli ging es in Hedemora mit dem GP von Schweden weiter und dieser Tag sollte in die Geschichtsbücher des Deutschen Rennsports eingehen. Mit DKW und NSU war bis dahin seit dem 2. Weltkrieg erst zwei deutschen Herstellern ein GP Sieg auf Solo-Motorrädern gelungen.

Tarquinio Provini (MV Agusta) – der Italiener kam nach drei 250 cm³ GP Siegen als WM-Leader zum GP von Schweden. Die Führung behielt er trotz einem Ausfall im Rennen.

Der erste Sieg für MZ!
Es war Horst Fügner auf der 250 cm³ Zweizylinder MZ, der dieses Kunststück trotz bescheidenster Mittel dieses Werkes fertigbrachte. Er gewann vor Mike Hailwood (NSU) und Geoff Monty (GMS) den ersten GP seiner Karriere für die DDR. Hinter Ernst Degner kam in der 125 cm³ Klasse für Fügner sogar noch ein sechster Platz dazu. Degner lag damit nach 5 von 7 Runden bereits auf WM-Zwischenrang 6, den er zusammen mit dem Engländer Dave Chadwick auf Ducati teilte. Dass einige Zeitungen berichteten, der Sieg Fügners sei nur durch die Ausfälle von Provini und Ubbiali möglich geworden, konnte MZ und seinem Fahrer letztlich egal sein. Als erst dritter Hersteller aus Deutschland schaffte MZ einen Grand Prix Sieg auf Solo-Motorrädern.

Horst Fügner auf der MZ vor dem Start zum 250 cm³ GP von Schweden – mit entschlossenem Blick wollte er es diesmal wissen. Es sollte das Rennen seines Lebens werden.

Ulster GP – die zweitletzte WM-Runde
Auf der Strecke von Dundrod, wenige Kilometer westlich der Nord-Irischen Stadt Belfast ging es in die zweitletzte WM-Runde. Diesmal holte Horst Fügner mit Platz 5 die Kohlen in der 125 cm³ Klasse für MZ aus dem Feuer. Ernst Degner leistete sich einen Nuller, schlug aber in der 250-er Kategorie zurück. Zum ersten Mal fuhr er vor Fügner auf Rang 4 durchs Ziel, der mit dem 5. Platz das gute Ergebnis für die kleine Truppe aus der DDR abrundete. Zeitweise hatte Degner im Rennen sogar auf Rang 3 gelegen. Man hatte bereits sämtliche Erwartungen übertroffen und durfte stolz und zufrieden wieder in die Heimat zurückkehren.

Horst Fügner (links) und Ernst Degner (rechts) waren die Sieger der kleineren Klassen auf dem ersten GP der DDR auf
dem Sachsenring 1958. Von 1961 bis 1972 zählte dieses Rennen auch zur Weltmeisterschaft.

Viele weitere Erfolge 1958
Fügner gewann in diesem Jahr auch noch das Halle-Saale-Schleifen–Rennen mit der 125 cm³ MZ und auf dem Sachsenring den damals noch nicht zur Weltmeisterschaft zählenden Großen Preis der DDR auf dem Sachsenring bei den 250-ern. Der Sieg von Ernst Degner in der 125 cm³ Klasse rundete den Triumph beim ersten Sachsenring GP von 1958 ab. Die Veranstaltung wurde bereits zu dieser Zeit mit internationaler Beteiligung ausgetragen. Bei den 350-er gewann Luigi Taveri (Schweiz, Norton), bei den 500-ern Dickie Dale (England, BMW) und bei den Gespannen die Westdeutschen Schneider-Strauss auf BMW. Dazu wiederholte Ernst Degner auf dem Masaryk Ring bei Brünn im damals ebenfalls noch nicht zur WM zählenden GP der Tschechoslowakei seinen 125 cm³ Vorjahressieg. Horst Fügner wurde in diesem Rennen Zweiter und führte zuerst auch im Lauf der 250-er, bevor er kurz vor dem Ziel mit technischem Defekt ausschied. Dasselbe Leid ereilte auch den Trainings schnellsten Degner, womit Lokalmatador František Bartoš auf ČZ gewann.

František Bartoš – 250 cm³ Brünn Sieger von 1958. Das Wochenende wurde vom tragischen Tod von Inge Stoll und Jacques Drion im Gespannrennen überschattet.

Verzicht auf das WM-Finale in Monza und WM-Endstand
Die Weltmeister aller Klassen standen bereits fest, womit der Große Preis der Nationen in Monza deutlich an Spannung verlor. In Abwesenheit der MZ-Delegation gewann in der 125 cm³ Klasse nach dem Ausfall von Ubbiali sein Landsmann Bruno Spaggiari. Wie dieser waren auch die folgenden 4 Piloten auf Ducati unterwegs. Der Titel war Carlo Ubbiali (MV Agusta) in diesem Rennen bereits nicht mehr zu nehmen. Ernst Degner wurde WM-Siebter und Horst Fügner belegte in der Endabrechnung Rang 9 für MZ. Bei den 250-ern sah es noch besser aus, hier wurde Horst Fügner im ersten Jahr der WM-Teilnahme auf Anhieb Vizeweltmeister hinter Tarquinio Provini (MV). Degner belegte im Schlussklassement der WM immerhin Rang 14, zusammen mit Bob Brown (AUS, NSU). Den Lauf in Monza gewann nach dem Ausfall von Provini aufgrund eines Motorschadens an der MV sein Landsmann Emilio Mendogni vor Giampiero Zubani (beide Morini) und Carlo Ubbiali (Ducati).

Alberto Gandossi (Ducati) – zweifacher 125 cm³ Saisonsieger und Zweiter am GP der Nationen in Monza. Der Italiener holte für Ducati vor Teamkollege Luigi Taveri den Vizeweltmeistertitel.

Sämtliche Ziele übertroffen
Im ersten Jahr mit der Beteiligung an mehr als nur einem Weltmeisterschaftslauf hatte die kleine Truppe sämtliche Erwartungen und Ziele bereits übertroffen. Man bereitete sich bei MZ auf eine Saison vor, die voller neuer Herausforderungen war. Mit Morini zeigte ein weiterer italienischer Hersteller bereits beim WM-Finale in Monza sein Potenzial. Zusammen mit Benelli verdoppelte sich mit ihnen die Zahl der italienischen Werke für 1959, welche sich in der Weltmeisterschaft engagierten. Für MZ bedeutete die Vorbereitung auf die nächste Saison einen neuen Meilenstein. Man einigte sich mit dem Schweizer Luigi Taveri als zusätzlichem Werksfahrer und lieferte auch an weitere Piloten aus Westeuropa Maschinen für den privaten Einsatz in der WM.

Luigi Taveri – der Schweizer wurde erster von MZ verpflichteter Fahrer, der nicht aus der DDR stammte.

125 cm³ Fahrer-Weltmeisterschaft 1958

Es wurden von den 7 Rennen im Jahr 1958 nur die besten 4 Resultate gewertet, weshalb 4 Piloten in der WM-Tabelle Streichresultate erhielten. Nachdem damals nur die ersten 6 Fahrer eines Rennens WM-Punkte gewinnen konnten, hier zur Vollständigkeit auch die Fahrer, welche bei einem GP auf Rang 7 bis 10 ins Ziel gekommen waren (mit den damals üblichen Ländercodes):
Douglas Allen (GB, FB-Mondial), Mike Hailwood (GB, Paton, Ducati), Karl Kronmüller (D, Ducati),Hubert Luttenberger (D, FP-Mondial), Billy Nicklasson (S, Ducati), Bill Peden (GB, Montesa), Fron Purslow (GB, Ducati), S. Rinaldi (I, Paton), Willi Scheidhauer (D, Ducati), Leif Smedh (S, Montesa),Werner Spinnler (CH, Ducati), Len Tinker (AUS, MV Agusta), Bill Webster (GB, MV Agusta), Dietmar Zimpel (DDR,MZ).

125 cm³ Hersteller-Wertung 1958

250 cm³ Fahrer-Weltmeisterschaft 1958

Es wurden von den 6 Rennen im Jahr 1958 nur die besten 4 Resultate gewertet, bei den 250-ern gab es in dieser Saison keine Streichresultate. Hier zur Vollständigkeit auch die Fahrer, welche bei einem GP auf Rang 7 bis 10 ins Ziel gekommen waren (mit den damals üblichen Ländercodes):
David Andrews (N.Irl., NSU), G. Henderson (GB, NSU), Eric Hinton (AUS, NSU), Sammy Hodgins (N.Irl., Velocette), Karl-Julius Holthaus (D, NSU), Fritz Kläger (D, NSU), Siegfried Lohmann (D, Adler), Hubert Luttenberger (D, Adler), Ludwig Malchus (D, NSU), Adelmo Mandolini (I, Moto-Guzzi),Bill Peden (GB, NSU), Fron Purslow (GB, NSU), Michael Schneider (D, NSU), Rudi Thalhammer (A, NSU).

250 cm³ Hersteller-Wertung 1958

In memoriam – die Motorrad-Rennsport-Opfer 1958

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier die uns bekannten Opfer des Motorrad-Rennsports im Jahr 1958. Gegenüber den mindestens 9 Toten (laut unserer Statistik) im Vorjahr war es eine dramatische Steigerung. Allein der brandgefährliche Straßenkurs auf der Isle of Man kostete in dieser Saison vier Fahrern ihr Leben. Jeder einzelne der mindestens 16 Fahrer, die 1958 bei Rennen den Tod fand, ist einer zu viel.

Inge Stroll und Jaques Drion – im Vorjahr wollten sie nach einem dchrecklichen Unfall des Gespanns von Fritz Hillebrand – Manfred Grünwald in Bilbao/Spanien noch freiwillig Blut spenden. Letzterer war seit Mai 1958 Ehemann von Inge und überlebte das Drama von Bilbao mit diversen Verletzungen. Seine Frau Inge wollte 1958 ihre letzte Saison fahren, doch das Rennen von Brünn beendete ihr Leben und dasjenige von Drion.

Weiter geht es in Kürze mit Teil 3 über das Leben von Ernst Degner und seiner zweiten vollen GP-Saison..