November 1963 – die Katastrophe von Suzuka
Der 1961 aus der DDR geflohene erlebte ein Jahr nach seinem Weltmeister-Titel von 1962 in der 50 cm³ Klasse eine Saison voller Aufs und Abs. Mit Hugh Anderson hatte sein Suzuki-Teamkollege 1963 alles abgeräumt und war in den beiden kleineren Kategorien 2-facher Weltmeister geworden. Immerhin gewann Degner in diesem Jahr je ein Rennen in der 50-er und 125-er Klasse und stand insgesamt 6 Mal auf dem Podium. So auch zum Saisonende im 125 cm³ Rennen, wo er nach seinem Pech im 50-er Lauf (siehe Kapitel 7) nochmals einen 3. Platz herausfuhr. Für seine sportlichen Erfolge war Ernst am 7. September 1963 sogar mit dem silbernen Lorbeerblatt geehrt worden. Eine Auszeichnung, die nur wenigen Sportlern in ihrer Karriere zuteil wurde. Für ihn als ehemaligen DDR-Flüchtling eine ganz besondere Ehre. Doch in Suzuka ereilte Degner nach den Rennen der kleineren Klassen grauenhaftes Pech. Aufgrund seiner Verdienste durfte er mit der brandneuen 250 cm³ Suzuki für die Firma aus Hamamatsu an den Start gehen. Dieses Bike war für die Saison 1964 vorgesehen, um auch in der mittleren Klasse im Kampf um die Weltmeisterschaft einzugreifen.
Kein Renn-Abbruch nach schwerem Unfall in der 1. Runde
Beim Start zum 250 cm³ Rennen waren die beiden Suzuki Werksfahrer Ernst Degner und Frank Perris schlecht weggekommen. Bei der Aufholjagd kam der Deutsche zu Sturz und seine Suzuki ging in Flammen auf, während er bewusstlos daneben lag. Was heute absolut undenkbar ist, war in dieser Zeit offenbar völlig normal. Ein brennendes Wrack lag mitten auf der Strecke und daneben ein bewusstloser Fahrer mit schwersten Verbrennungen – doch das Rennen wurde nicht gestoppt! Der nachfolgende Perris hielt sofort an und barg den in Lebensgefahr schwebenden Degner. Dabei ging auch sein Teamkollege ein hohes Risiko aufgrund der Flammen und der Bedrohung ein, von herannahenden Piloten getroffen zu werden. Seinem kanadischen Retter hatte Ernst sein Leben zu verdanken. Frank Perris, der kurz davor noch das 125 cm³ Rennen gewonnen hatte, war ein Held und verdient für sein selbstloses Vorgehen höchsten Respekt. Wer das 250-er Rennen gewonnen hatte, wurde eigentlich zur Nebensächlichkeit. Aber selbst in deutschen Zeitschriften von damals fanden wir kein einziges Word der Kritik darüber, dass kein Renn-Abbruch stattfand.
Die Werksteams der Saison 1964
Mit insgesamt 14 Werksteams war die Saison 1964 von Superlativen geprägt. Neu war auch Yamaha als dritter japanischer Hersteller nach einigen Wildcard-Einsätzen im Vorjahr voll in die WM eingestiegen. In den beiden kleinsten Klassen war Suzuki mit Hugh Anderson Titelverteidiger und stellte auch mit 6 Fahrern die größte Werksmannschaft vor Honda mit deren fünf. Doch bei Suzuki war mit Degner ein Fahrer darunter, der nach diversen Haut-Transplantationen noch lange pausieren musste und erst im letzten Viertel der Saison wieder einsteigen sollte. Viele hätten an seiner Stelle wohl aufgegeben, nicht aber der Kämpfer aus Gleiwitz in Oberschlesien (heutiges Gliwice in Polen). Der ab früher Kindheit als Vollwaise in der DDR aufgewachsene Ernst war ein Kämpfer. Er wollte zurück auf seine Suzuki und nochmals zeigen, was in ihm steckt.
Die WM-Saison 1964
Den größten Teil der Saison 1964 musste Degner aus der Ferne betrachten und die Resultate aus den Zeitungen entnehmen. Ihm blieb nichts anderes, als die Zeit der Rekonvaleszenz zu erdulden. In der 50 cm³ Klasse sollte Ernst gar nicht wieder antreten. Hugh Anderson verteidigte seinen Titel aus dem Vorjahr und hatte dabei insbesondere Konkurrenz durch Hans Georg Anscheidt und Ralph Bryans auf Honda. Der Deutsche Kreidler Pilot wäre nach heutiger Wertung aufgrund seiner Konstanz Weltmeister geworden. Aufgrund der damals üblichen Streichresultate und da Siege viermal so viel zählten wie ein fünfter Platz, lag am Ende Anderson vor Bryans und Anscheidt an der Spitze.
50 cm³ Fahrer-Weltmeisterschaft 1964
50 cm³ Hersteller-Wertung 1964
Harte Gegnerschaft für Suzuki in der 125 cm³ Weltmeisterschaft
Die Zeitschrift „Motorrad“ hatte bereits in der Februar-Ausgabe darüber berichtet, dass bei Ernsts Genesung immer wieder Komplikationen aufgetreten waren. Es war eine mehrmonatige Leidenszeit mit unsäglichen Schmerzen, welche der DDR-Flüchtling von 1961 damals durchmachen musste. Immer wieder musste er dabei in ärztliche Behandlung. In der 125 cm³ Weltmeisterschaft hatte es zwischenzeitlich eine Machtverschiebung gegeben. Honda war mit einer neuen 4-Zylinder Maschine in den WM-Kampf eingestiegen. Diese war für Taveri, Redman und Bryans nun eine wesentlich wirkungsvollere Waffe als die veraltete RC145, welche von 1962 bis 1963 im Einsatz war. Den Saisonauftakt in Daytona/USA hatte Anderson noch gewonnen. Doch womöglich nur, weil Honda gegen die aus ihrer Sicht viel zu frühe Austragung am 2. Februar 1964 protestierte und diese daher boykottierte. Doch danach legte Luigi Taveri eine Serie von 3 Siegen in Folge hin und machte sich damit zum WM-Favoriten.
Der Wiedereinstieg Degners nach langer Rekonvaleszenz
Hugh Anderson hatte nach seinem Auftaktsieg eine Durststrecke mit nur 2 fünften Plätzen in den 5 WM-Runden von Spanien bis zum GP von Deutschland zu erdulden. Aber nach einem Sieg auf dem Sachsenring und beim Ulster GP konnte der Neuseeländer nochmals Hoffnung schöpfen. Doch beim GP von Finnland siegte er nur bei den 50-ern, blieb jedoch in der 125 cm³ Klasse punktelos. Damit war der 2. WM-Titel für den Schweizer Taveri und Honda in trockenen Tüchern. In Monza kletterte Degner wieder auf seine Suzuki und holte beim 125 cm³ GP der Nationen auf Anhieb Platz 3 hinter Taveri und Anderson. Direkt nach der langen Pause wieder auf dem Podium, was für ein Comeback! Beim GP von Japan setzte der Deutsche gleich noch das Ausrufezeichen dahinter und gewann den 125-er GP in Suzuka vor Weltmeister Taveri (Honda) und dem Japaner Yoshimi Katayama (Suzuki). Mit diesem Resultat wurde Ernst sogar noch WM-sechster von 1964.
125 cm³ Fahrer-Weltmeisterschaft 1964
Es wurden von den 11 Rennen im Jahr 1964 nur die besten sechs Resultate gewertet, bei den 125-ern gab es in dieser Saison dadurch 3 Streichresultate. Nachfolgend die Fahrer, welche bei einem GP auf Rang 7 bis 10 ins Ziel gekommen waren (mit den damals üblichen Ländercodes):
Jack Ahearn (AUS, Honda), J. Anzalone (USA, MotoBi), Günter Bartusch (DDR, MZ), André Bellone (F, Honda), Ramiro Blanco (E, Bultaco), L. Cowis (USA, Bultaco), Romolo Ferri (I, EMC), Ferdinand Gustavsson (S, Honda), Walter Kaletsch (D, FB-Mondial), Isamu Kasuya (J, Honda), Jan Kostwinder (NL, Honda), Vesa Kuusisto (SF, Honda), Manfred Magnus (A, Honda), Gyula Marsovszky (CH, Bultaco), John McLaughlin (USA, Bultaco), Richard Morley (GB, Parilla), Seppo Näppi (SF, Honda), Roland Rentzsch (DDR, MZ), Dave Simmonds (GB, Tohatsu), Bill Smith (GB, Honda), Vagn Stevnhoved (DK, MZ), Ulf Svensson (S, Honda), Jess Thomas (USA, Bultaco), Cees van Dongen (NL, MZ), Giuseppe Visenzi (I, Honda), Richard Wyler (GB, Honda).
125 cm³ Hersteller-Wertung 1964
Die Opfer des Motorradrennsports im Jahr 1964
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier die uns bekannten Opfer des Motorrad-Rennsports im Jahr 1964. Gegenüber den mindestens 9 Toten (laut unserer Statistik) im Vorjahr gab es leider keinen Rückgang. Jeder Tote im Rennsport ist einer zu viel. Auf dem gefährlichen Straßenkurs der Isle of Man verloren in diesem Jahr erneut zwei Fahrer ihr Leben. Zudem verlor am 6. November 1964 in Strakonice in der damaligen Tschechoslowakei Stanislav Malina ums Leben. Der späte Novemberabend unterbrach die Karriere dieses großartigen und international erfolgreichen Fahrers. Er starb an den Folgen eines Motorradunfalls, als er von einem Autoclub-Treffen auf dem Weg zurück nach Hause verunfallte.
Weiter geht es in Kürze mit Teil 9 über das Leben von Ernst Degner und seinem baldigen Karrierenende..
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