Ewald Kluge (DKW) auf dem alten Sachsenring – als einer der erfolgreichsten Zweiradrennsportler vor dem zweiten Weltkrieg verpasste der Dresdener die ersten Jahre der Weltmeisterschaft. Wäre der ehemalige DKW Werksfahrer als zweifacher Europameister (1938 und 1939) und mehrfacher deutscher Meister bis 250 cm³ jedoch bereits ab 1949 teilnahmeberechtigt gewesen, hätte die WM in der mittleren Klasse bestimmt sehr viel anders ausgesehen. Den Beweis dafür konnte er erst im Jahr 1952 im Alter von bereits 43 Jahren am Grand Prix von Deutschland auf der Solitude erbringen.

Das erste echte Motorrad Grand Prix Jahr der Geschichte

Heute ist den meisten Fans des Zweiradsports gar nicht mehr bewusst, wie hoch die Zuschauerzahlen bei Zweiradveranstaltungen im Straßenrennsport in den goldenen 1950-er Jahren waren. Kurz nach dem fast sechs Jahre dauernden Zweiten Weltkrieg entschloss sich die FIM als oberste Motorsportbehörde für die Durchführung einer neu eingeführten Weltmeisterschaft, welche diesen Titel eigentlich gar nicht verdient hatte. Der Hauptgrund dafür war die Tatsache, dass die erfolgreichste Nation der letzten Vorkriegsjahre aus recht fragwürdigen Gründen von der Teilnahme ausgeschlossen war. Auch heute noch bekleckern sich die Verantwortlichen der FIM alles andere als mit Ruhm, wenn es um den Motorrad-Rennsport geht, egal ob bei der WorldSBK oder bei der Straßenweltmeisterschaft. Vieles aus den früheren Jahrzehnten einer eigentlich gloriosen Rennserie und die Geschichte deren Helden droht mittlerweile vergessen zu gehen. Wir haben unser riesiges Archiv deshalb auf den Kopf gestellt, um in einer mehrteiligen und sehr reichhaltig illustrierten Serie über das erste echte Jahr des Motorrad Grand Prix Sports zu berichten.

Unsere Statistik der letzten Europa-Meisterschaft mit 7 Rennen im Jahr 1939 – vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs, mit in Fettschrift den Siegern aus Deutschland. Mehr als die Hälfte aller Läufe wurden von Fahrern und Maschinen gewonnen, welche erst im vierten Jahr der Motorrad-Weltmeisterschaft wieder startberechtigt waren. Damit kann erst ab 1952 von einer veritablen WM gesprochen werden, da von 1949 bis 1952 die stärkste Nation von der Teilnahme ausgeschlossen war.
Eine Einzylinder MV-Agusta, von uns am Rupert Hollaus Memorial Rennen auf dem Red Bull Ring in Spielberg (Österreich) fotografiert. Die Motorräder des 1945 von Conte Agusta gegründeten Hubschrauber-Herstellers aus Varese stand in ihrem vierten WM-Jahr kurz vor dem Durchbruch in der Einsteigerklasse bis 125 cm³ und wurde gleichzeitig auch in der Königsklasse bis 500 cm³ für die etablierten Landsleute von Gilera und die Engländer mit Norton als amtierende Weltmeister zu einer ernsthaften Gefahr.

Frappante Unterschiede zu heute – und doch viele Parallelen

Zu den wichtigsten Unterschieden gegenüber der heutigen Zeit zählt nebst einem sehr unterschiedlichen Reglement vor allem die komplett andere Welt, was die Fahrer und deren Verhältnis untereinander, sowie ihr Verständnis von der Technik betrifft. Während im Profirennsport die Piloten früher noch selbst an ihren Maschinen Hand anlegen mussten, hat sich spätestens seit dem einundzwanzigsten Jahrhundert diesen Aspekt betreffend alles komplett verändert. Auch die Rivalität zwischen den Fahrern ist sehr viel giftiger gegenüber noch vor einigen Jahrzehnten. Stürze gehören heute zur Selbstverständlichkeit im GP Sport, während dies in den goldenen 1950-er Jahren nicht selten den Tod bedeutete. Insofern ist das vielleicht positivste an der Entwicklung die gestiegene Sicherheit, was Rennstrecken, Kleidung und Material betrifft. Trotzdem gibt es immer noch zu viele schwere oder gar tödliche Unfälle zu beklagen. Dies liegt in der Risikobereitschaft begründet, welche es im Spitzenrennsport schon immer gab und die rein schon aus Gründen der Leidenschaft der besten Protagonisten des Zweiradsports auch nicht wegzudenken ist.

Unsere Übersicht zu den Reglementen ab Einführung der Straßenweltmeisterschaft 1949, sowie des in der WSBK bereits ab 2019 eingeführten Sprintrennens, was die Vergabe der WM Punkte betrifft. Dass bis zur Saison 1968 nur die ersten 6 Fahrer Punkte erhielten, ist heute kaum mehr vorstellbar. Zudem gab es bis Mitte der 1970-er Jahre auch noch Streichresultate, was die Übersicht drastisch erschwerte.

Die vierte WM-Saison – endlich mit deutscher Beteiligung!

Nach drei Jahren Zwangspause im Grand Prix Zweiradsport brannten die deutschen Piloten und Werke natürlich darauf, wieder in der Weltmeisterschaft mitzumischen. Trotz in den frühen Nachkriegsjahren noch höchst bescheidenen Mitteln brannten sie darauf, ihre Konkurrenzfähigkeit ab 1952 endlich wieder unter Beweis stellen zu können. Viele von ihnen gehörten vor dem Krieg zur absoluten Weltspitze und deshalb waren alle Fans weltweit gespannt darauf, wie sich die Fahrer aus Deutschland gegen die starke Gegnerschaft aus den anderen Ländern schlagen würden. Von Ewald Kluge, H. P. Müller, Schorsch Meier, Rudi Felgenheier und Hein Thorn-Prikker, um nur einige der populärsten Piloten dieser Zeit zu nennen, war definitiv einiges zu erwarten und sie sollten Ihre Anhänger bereits in ihrer Premieren-Saison nicht enttäuschen. Auch Werke wie BMW, DKW, Horex und NSU sollten sofort beweisen, dass sie sich nicht zu verstecken brauchten. Mit insgesamt 10 deutschen Piloten und im Fall von NSU mit Roberto Colombo einem Werksfahrer aus Italien starteten die vier Hersteller ins Abenteuer GP Sport. Und die erhofften ersten Achtungserfolge sollten nicht lange auf sich warten, bevor man wenig später sogar noch eine Schippe drauflegen würde.

Siegfried „Sissi“ Wünsche (links) und Ewald Kluge (beide Werks-DKW) beim Siegerbild nach dem Eilenriede Rennen in Hannover. Kluge musste seine Karriere nach einem schweren Sturz am 31. Mai 1953 auf dem Nürburgring, bis dahin auf Platz zwei liegend, als Vorjahressieger bis 250 cm³ leider beenden. Zu seinen größten Erfolgen zählte der Sieg 1938 an der Tourist Trophy auf der Isle of Man. Er starb am 19. August 1964 im Alter von erst 55 Jahren in Ingolstadt.

Die Ausgangslage vor der Saison 1952

Als Ausgleich für das Fehlen des GP von Frankreich in diesem Jahr fand der Große Preis von Deutschland seinen Platz im Kalender. Dieser war mit nur 8 Runden sehr überschaubar und in den beiden kleineren Klassen 125 cm³ und 250 cm³ waren es gar nur 6, während die 350-er Kategorie immerhin sieben Rennen bot. Nur die Königsklasse bis 500 cm³ wurde an allen acht Stationen ausgetragen und wie bereits seit 1949 fanden noch bis 1960 blieb dies so, bis im Jahr darauf mit dem GP von Argentinien in Buenos Aires das erste Event in Übersee zum Zug kam. Die Fahrer aus Deutschland waren in ihrer ersten WM Saison natürlich noch die klaren Außenseiter gegen eine bereits etablierte Konkurrenz. Der amtierende Doppel-Weltmeister (bis 350 und 500 cm³) Geoffrey „Geoff“ Duke blieb gegenüber dem Ruf der Italiener taub und fuhr weiter für seine englische Heimmarke Norton. Die 500 MV Agusta wurde auf einen Kettenendantrieb umgebaut, statt wie zuvor einer Kardanwelle. Das Velocette-Werk war das erste große Werk, das sich aus dem Grand Prix zurückzog, aber Leslie Graham sollte von ihnen weiterhin Unterstützung in der 250er-Klasse erhalten. FB-Mondial Werksfahrer Carlo Ubbiali als 125 cm³ Weltmeister des Vorjahres galt nach dem tragischen Unfalltod seines ehemaligen Teamkollegen Gianni Leoni (der am 15.08.1951 beim Training zum Ulster GP zusammen mit Sante Geminiani tödlich gestürzt war) der Mann, welchen es in der Saison 1952 zu schlagen galt. Bei den 250-ern war mit Titelverteidiger Bruno Ruffo auf Moto-Guzzi ebenfalls ein Italiener haushoher Favorit.

FB-Mondial 125 in der Straßenausführung – die italienische Marke hatte die ersten 3 Jahre der Motorrad-WM ab 1949 dominiert. Aber mit MV Agusta, Moto-Morini und bald schon NSU drohte der von 4 Brüdern aus Mailand 1929 gegründeten Marke aus dem In- und Ausland gefährliche Konkurrenz. Ab 1958 sollte auch Ducati dazustossen, bevor dieses Werk aus Borgo Panigale bei Bologna ein halbes Jahrhundert später in der Königsklasse für Furore sorgen würde.
H. P. Müller 1952 auf FB-Mondial am Hockenheimring, wo der Altmeister Platz 2 hinter dem amtierenden 125 cm³ Weltmeister und Mondial-Werksfahrer Carlo Ubbiali belegte. In den letzten Vorkriegsjahren war der schnelle Mann aus Bielefeld von zwei auf vier Räder gewechselt und fuhr für Auto-Union (heute Audi) mit über 500 PS erfolgreich Autorennen. Danach kehrte er wieder in die Zweiradszene zurück, wo er im stolzen Alter von 45 Jahren in der Saison 1955 seiner Karriere die Krone aufsetzte. Mehr über ihn siehe auf dieser Seite unter „History – Fahrer“.

Unzählige Hersteller im Kampf um Ruhm und Ehre

Trotz des Rückzugs von Velocette war die Zahl der Werksteams für 1952 mehr als sehenswert. Dies war vor allem der deutschen Beteiligung zu verdanken, nachdem nicht weniger als 4 Werke gleich im ersten Jahr der Teilnahmeberechtigung sich für eine Teilnahme entschieden. Insgesamt 13 Werke nahmen damit an der Weltmeisterschaft teil. Mit Beginn Mitte Mai in Bremgarten bei Bern (Schweiz) ging es im Monat danach zur berüchtigten TT (Tourist Trophy auf der Isle of Man), um Ende Juni in Assen (Niederlande) zur dritten Runde anzutreten. Mit Spa-Francorchamps in Belgien und der WM-Premiere auf der Solitude bei Stuttgart ging es im Juli ohne längere Pause weiter. Mitte August folgte der Ulster GP bei Belfast in Irland und im September Monza in Italien, bevor anfangs Oktober in Katalonien das Saisonfinale im Montjuich Park von Barcelona anstand. Dort waren allerdings nur noch die Kategorien bis 125 cm³ und 500 cm³, sowie die Seitenwagen am Start. Im Prinzip fand dabei nur das Rennen in königlichen Park von Monza auf einer permanenten Rennstrecke statt. Alle anderen Veranstaltungen wurden auf abgesperrten öffentlichen Straßen ausgetragen, wobei aus Assen und Spa später permanente Kurse wurden.

Bei NSU sind hier die offiziellen Angaben vor Saisonbeginn aufgeführt, weshalb hinter dem letztgenannten Piloten mehrere Punkte stehen. Die Umstände am fünften Event der Saison sorgten jedoch für Zuwachs ab dieser Veranstaltung. Mehr dazu siehe Teil 3 zum Jahr 1953.
Heinrich „Hein“ Thorn-Prikker auf seiner Moto Guzzi 250 cm³ war in dieser Kategorie in den frühen 1950-er Jahren oft absolut unschlagbar. Für den am 6. Januar 1911 in Hagen geborenen Sohn von niederländischen Einwanderern, sein Vater war ein bekannter Künstler, kam das Karrierenende mit 43 Jahren durch einen schweren Unfall im Jahr 1955. Der „lange Hein“, wie ihn viele damals nannten, hätte in der WM definitiv eine prägende Rolle gespielt, wäre er ab 1949 startberechtigt gewesen. Als Privatfahrer war er im Prinzip gegen die Armada an Werkspiloten chancenlos, aber er sollte 1952 trotzdem beweisen, dass er zu den absolut besten gehörte.

Wo nicht anders erwähnt gilt bei allen Bildern (© MotoGP).