Die letzte und erfolgreichste Saison 1955 in Müllers Karriere
Nach dem werksseitigen Rückzug aus der Weltmeisterschaft von NSU entschied sich H. P. wie Hans Baltisberger für die Fortsetzung seiner Karriere als Privatfahrer. Mit technischer Unterstützung durch das Neckarsulmer Werk bestand immerhin die Chance auf eine respektable Saison. Mehr konnte sich hingegen keiner der beiden „Neo-Privatiers“ dabei ausrechnen. Es war die kürzeste Saison der letzten 4 Jahre für die 250-er Kategorie, mit wie 1951 nur gerade 5 WM-Runden. Die Konkurrenz war mit Moto-Guzzi und MV Agusta durchaus stark. Dazu waren eine ganze Reihe weiterer Piloten privat mit einer NSU unterwegs. Laut offizieller Mitteilung von NSU wollte man sich nur für ein Jahr werksseitig zurückziehen, doch es wurde ein Abschied für immer. Der dreifache Weltmeister Werner Haas war zurückgetreten und kam als Tankstellenbesitzer bei der Autobahn Augsburg Ost zu einigem Wohlstand. Ein Flugzeugabsturz mit seiner eigenen Maschine sollte seinem noch jungen Leben bereits im November 1956 ein frühes Ende setzen.
Tragischer Todesfall beim Conchiglia d’Oro
Mit dem tödlichen Unfall von William Raymond „Ray“ Amm beim 350 cm³ Rennen zum „Shell Gold Cup“ am 11. April 1955 begann die Saison mit einem tragischen Ereignis. Der Rhodesier (heutiges Simbabwe) war im Vorjahr noch auf dem Schottenring auf Norton hinter Müller mit seiner aufgebohrten 250-er NSU zweiter geworden. Dasselbe Resultat hatte er auch im 500-er Rennen vom 8. August 1954 wiederholen können und nun war auch Amm ein Opfer seiner Leidenschaft geworden. Er war in der Curva Rivazza zu Sturz gekommen und verlor dabei seinen Helm. Als zweifacher Vizeweltmeister (350 und 500 cm³ auf Norton) von 1954 und dreifache TT-Sieger verstarb im Alter von 27 Jahren noch am Unfallort. Der sechsfache GP-Sieger war im Fahrerlager sehr beliebt gewesen. Und leider sollte der Mann aus dem Süden Afrikas nicht das letzte Opfer in dieser Saison bleiben.
Saisonstart 1955
Die WM-Saison fand für die Fahrer der 250 cm³ Weltmeisterschaft erst mit der Tourist Trophy auf der Isle of Man statt. Aus diesem Grund nahmen Fahrer wie H. P. und Baltisberger natürlich bereits davor an zahlreichen Rennen im In- und Ausland teil. Meist machten die beiden dabei den Sieg unter sich aus, so auch beim Dieburger Dreiecksrennen am 24. April. Das Rennen von Salzburg-Liefering am 1. Mai 1955 gewann Müller vor Hans Baltisberger. Nur eine Woche danach triumphierte der Bielefelder auch am 5. Rhein-Pokalrennen auf dem Hockenheimring im 250-er Rennen. Es war der 200. Sieg des „Renntigers“ im Alter von mittlerweile bereits 45 Jahren! Beim internationalen Bäder-Rennen in Österreich am 15. Mai revanchierte sich wieder Baltisberger, der das Rennen vor Müller für sich entscheiden konnte.
WM-Runde 1 – auf der Isle of Man
Hier war es gegen die Lokalmatadoren natürlich besonders schwierig, da auch diese auf sehr konkurrenzfähigem Material unterwegs waren. Im Training belegte Müller unbeeindruckt den zweiten Platz, er war der einzige deutsche Teilnehmer in diesem Jahr. Mit 9 Runden auf der 17 km langen Strecke waren dabei rund 155 Kilometer zurückzulegen. Das 250 cm³ Rennen wurde bei wechselhaftem Wetter ausgetragen, was die ortskundigen Fahrer zusätzlich bevorteilte. Trotzdem gelang Müller am 8. Juni 1955 hinter MV Werkspilot Bill Lomas und der Moto-Guzzi von Cecil Sandford der hervorragende dritte Platz auf seiner privaten NSU RennMax. Obwohl MV Agusta mit einer Armada von 3 Werksfahren am Start gewesen war, konnte der Altmeister zwei davon in Schach halten. Es handelte sich dabei um keine geringeren als den aufstrebenden Schweizer Luigi Taveri und Umberto Massetti aus Italien. Letzterer war immerhin bereits zweifacher 500 cm³ Weltmeister (1950 und 1952) und Taveri sollte diesen im Lauf seiner Karriere mit insgesamt drei 125-er Titeln gar noch übertrumpfen.
Der Triumph auf dem Nürburgring
Den 26. Juni 1955 dürfte H. P. seiner Lebtag nie mehr vergessen haben. Vor sämtlichen Moto-Guzzi und MV Werksfahrern und allen andern Privatfahrern triumphierte der Renntiger vor heimischem Publikum im 250 cm³ Rennen in der Eifel. Auf der brandgefährlichen und schwierig zu fahrenden Nürburgring-Nordschleife einen Grand Prix zu gewinnen, war schlicht und einfach der Höhepunkt seiner jahrzehntelangen Karriere. Dass Müller damit gar die WM-Führung vor Guzzi-Werkspilot Cecil Sandford übernommen hatte, war noch das Sahnehäubchen dazu. Es waren nur noch drei WM-Läufe zu fahren und damit stand für den Bielefelder die Türe zum ersten Weltmeister-Titel seines Lebens weit offen.
Der 250 cm³ WM-Lauf an der Dutch TT in Assen
Während sein langjähriger Weggenosse Siegfried „Sissi“ Wünsche nach Werner Haas unter die Tankstellenbesitzer ging (er kaufte sich eine neue von Esso in Friedrichshafen), war sich Müller wohl klar, dass 1955 seine letzte Saison als aktiver Rennfahrer werden sollte. Auch Wünsche sollte sich zum Jahresende als DWK-Werksfahrer endgültig vom Rennsport zurückziehen. An der Dutch TT in den Niederlanden galt es für H. P. natürlich, möglichst weit vorne und im Ziel zu landen, beim 3. von nur 5 WM-Läufen ein absolutes Muss. Und der Altmeister erreichte dieses Ziel, wurde zuerst als vierter hinter Taveri, Lomas und Massetti gewertet. Einige Zeit später kam die Korrektur, mit welcher der englische MV Werksfahrer aus der Wertung genommen wurde. Bill Lomas hatte beim Nachtanken, was aufgrund eines Lecks an seinem Tank notwendig wurde, seinen Motor widerrechtlich nicht abgestellt. Durch dessen nachträgliche Disqualifikation betrug Müllers Vorsprung im WM-Zwischenklassement 4 Punkte auf Sandford, der in Assen nicht über Rang 5 hinausgekommen war.
Schadensbegrenzung beim Ulster GP
Auf dem brandgefährlichen Straßenkurs von Dundrod zum Ulster GP waren die ortskundigen Engländer erneut stark bevorteilt. Für Müller ging es um eher Schadensbegrenzung und daher war hier für ihn von Vorteil, dass mit John Surtees ein bisher punkteloser Fahrer gewann. Auf seiner privaten NSU siegte dieser vor seinem Landsmann Sammy Miller (NSU), Umberto Massetti, Bill Lomas (beide MV), Cecil Sandford (Guzzi) und dem Deutschen. Auf Sandford hatte H. P. nun immer noch einen Vorsprung von 3 Zählern. Damit konnte er beim Saisonfinale in Monza die Titelverteidigung aus eigener Kraft schaffen. Nebst Sandford konnte dem Bielefelder nur noch Masetti in der WM gefährlich werden. Er konnte dies zu dem Zeitpunkt jedoch noch nicht wissen, da Lomas zwischenzeitlich trotz Reglements-Verstoß plötzlich wieder der Sieg an der Dutch TT zugesprochen worden war. Erst ein später behandelter Protest führte endgültig zu dessen Disqualifikation.
Das WM-Finale in Monza
Auf seiner Heimstrecke, nur unweit von seinem Wohnort entfernt, gewann der Italiener Carlo Ubbiali auf seiner Werks-MV Agusta den Großen Preis der Nationen. Hans Baltisberger holte sich vor dem Nord-Iren Sammy Miller (beide NSU) Platz zwei. Dahinter kam Müller vor Lomas und Massetti ins Ziel. Die deutsche Presse war enttäuscht, sah es doch zu diesem Zeitpunkt zuerst nur nach einem Vize-Weltmeistertitel für den Bielefelder aus. Bill Lomas hatte sich immer hinter dem Altmeister gehalten, da er nach damals aktuellem Stand damit seinen Titel als gesichert sah.
Die gerechte Entscheidung führte zum verdienten WM-Titel
Am FIM-Kongress wurde Monate nach dem WM-Finale entschieden, wie in der Causa Bill Lomas zum Assen Grand Prix zu verfahren sei. Nach dem Reglement war der Fall bereits nach dem Rennen glasklar. Bei laufendem Motor nachzutanken war brandgefährlich und daher verboten. Weil Lomas dies jedoch aus Zeitnot oder Vergesslichkeit trotzdem tat, musste er zwingend aus der Wertung genommen werden. Dies passierte im Nachhinein auch und damit war natürlich die WM für den Deutschen letztlich völlig verdient entschieden.
Die 250 cm³ Weltmeisterschaft nach der Korrektur
Nachdem damals nur die ersten 6 Fahrer eines Rennens WM-Punkte gewinnen konnten, hier zur Vollständigkeit auch die Piloten, welche bei einem GP auf Rang 7 bis 10 ins Ziel gekommen waren (mit den damals üblichen Ländercodes): Günter Beer (D, Adler), Phil Carter (N.Irl., Norton), Roberto Colombo (I, Moto-Guzzi), Jack Forrest (AUS, NSU), Roland Heck (D, NSU), Wilf Herron (N.Irl, Norton), Karl-Julius Holthaus (D, NSU), Harold Kirby (N.Irl, Velocette), Fritz Kläger (D, NSU), Piet Knijnenburg (D, NSU), Kurt Knopf (D, NSU), Karl Lottes (D, NSU), Bill Maddrick (GB, Moto-Guzzi), Percy Tait (GB, Velocette).
Herstellerwertung 250 cm³
Die 1955 verstorbenen Motorrad-Rennfahrer
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit aber um Welten korrekter und vollständiger als in Wiki oder vielen anderen Quellen hier einige der Rennfahrer, die dem Straßen-Rennsport 1955 ihr Leben opferten. Nur ein Jahr nach dem Rücktritt von H. P. Müller fanden dazu die beiden ehemaligen NSU Weggefährten Hans Baltisberger und Werner Haas 1956 den Tod. Der Erstgenannte stürzte auf dem damaligen Masaryk-Ring von Brünn bei nasser Strecke und zog sich bei seinem Abflug in den Wald tödliche Verletzungen zu. Der wohlhabende Ex-Weltmeister und Tankstellenbesitzer Haas hingegen opferte sein Leben seinem neu gefundenen Hobby. Aus geringer Höhe war er im November 1956 als letzter Überlebender des 1954-er Trios von NSU mit Rupert Hollaus und Baltisberger bei einem Probeflug abgestürzt und dabei getötet worden.
Die letzten sportlichen Schlagzeilen Müllers – ein Jahr nach dem Rücktritt
Mit einer Weltrekordfahrt für NSU kam der Renntiger ein Jahr nach seinem Rücktritt nochmals in die Schlagzeilen. Auf dem Bonneville-Salzsee bei Utah in den Vereinigten Staaten von Amerika holte „HaPe“ zusammen mit Wilhelm Herz ganze 96 neue Geschwindigkeits-Rekorde auf. Auch wenn 42 davon bereits wenige Tage danach wieder fielen, war der Abstecher über den großen Teich am Ende doch sehr erfolgreich. Ein Jahr später sollte die Zahl der Rekorde pro Kategorie von 36 auf deren 9 deutlich verringert werden. Immerhin gab es damals 19 Klassen, in welchen ein Werk oder privater Fahrer antreten konnte.
Die späteren Jahre und der Tod des Renntigers
Nach seiner Rennsport-Karriere arbeitete Müller bis 1972 als KFZ-Meister bei Auto Union (heute AUDI). Im relativ frühen Alter von 66 Jahren verstarb Hermann Paul Müller am 30. Dezember 1975 in Ingolstadt. Seine Frau Mariele überlebte ihren Mann ganze 35 Jahre. Als erster Privatfahrer der einen WM-Titel errang, hatte sich H. P. Müller für ewig in die Geschichtsbücher des Rennsports eingetragen. Dass ihm der Europameister-Titel im Automobilrennsport 1939 nicht nachträglich zugesprochen wurde, konnte ihm dabei egal sein. Er war ein fairer Sportler durch und durch, mit einem technischen Verständnis als eigener Mechaniker, wie man sie heute kaum mehr im Motorsport findet.