Hermann Paul Müller – eine absolute Ausnahmeerscheinung in der Geschichte des Rennsports. Hier kurz vor dem Start zu einem Rennen 1936 mit seiner 500 cm³ DKW, dem Jahr seines endgültigen Durchbruchs.

Der Ausnahmekönner und seine Vierrad-Karriere

Dem Beispiel des damaligen Volkshelden Bernd Rosemeyer folgend wechselte H. P. Müller auf die Saison 1937 auf vier Räder. Dafür musste der Bielefelder nicht einmal den Arbeitgeber wechseln, da DKW zu Auto Union gehörte. Heute ist die Firma mit den 4 Ringen im Logo unter dem Namen Audi bekannt und Groß-Aktionär von Ducati. Damals wie heute war die Königsklasse des Motorsports bei der Bevölkerung Europas ein gutes Stück populärer als die Zweiräder. Rosemeyer war wie Müller vor seinem Wechsel zu Auto Union auf das Jahr 1935 zuletzt in Diensten von DKW gestanden. Auch hatte er wie Müller davor auf Motorrädern bereits Rennen gewonnen und dabei unter anderem auch auf dem Schleizer Dreieck gesiegt.

Bernd Rosemeyer am Steuer seines Auto Union Rennwagens – er war einer der ganz großen Stars des Automobilrennsports bis kurz vor dem Krieg. Nur ein Jahr nachdem auch H. P. Müller auf 4 Räder gewechselt hatte, fand Rosemeyer bei einem Rekordversuch auf der Reichsautobahn nahe Frankfurt a.M. den Tod.

Einer der Gründe für den Wechsel
Gut möglich, dass die zahlreichen schweren und teils tödlich verlaufenen Stürze ihm bekannter Fahrer bei Müller den Ausschlag für seinen Wechsel gaben. Immerhin waren die damaligen Sicherheitsvorkehrungen dieses Wort im eigentlichen Sinn gar nicht wert. Nebst den Bikes war auch die Ausrüstung bezüglich Bekleidung und Helme im Vergleich zu heute unterirdisch was die Sicherheit betraf. Die eingangs erwähnte höhere Popularität mag ein weiterer Grund gewesen sein. Dass der Automobilsport seine Fahrer aus dem Motorrad-Zirkus rekrutierte, war vor allem in den Vorkriegsjahren zudem ein häufig angewendetes Vorgehen.

Arthur Geiß (DKW 250 cm³) mit der Nummer 10 vorne rechts im Bild – das Hockenheimer Urgestein des Vorkriegs-Rennsports musste seine Zweirad-Karriere infolge eines tragischen Unfalls abseits der Rennstrecke aufgeben.

Zahlreiche Zweirad-Karrieren fanden zu Müllers aktiver Zeit ihr Ende
Auf jeden Fall konnten Schicksale wie dasjenige von Hans Soenius und diverser tödlich verunfallter Piloten nicht spurlos an Müller vorbeigegangen sein. Auch der Unfall von Altmeister Arthur Geiß dürfte H. P. noch einige Zeit beschäftigt haben. Dieser war auf dem Weg zu einer Siegesfeier auf öffentlicher Straße verunglückt und lag danach etwa 15 Monate im Spital. Sein arg in Mitleidenschaft gezogener linker Arm schloss danach eine weitere Teilnahme im Rennsport aus.

Hans Soenius – nach einem schweren Unfall im Training auf dem Schottenring beendete der mehrfache deutsche Meister seine Karriere. Mehr über die Art und Zahl seiner Verletzung siehe im vorhergehenden Teil 2 der Story über H. P. Müller. An eine Fortsetzung seiner Rennfahrer-Laufbahn wer jedenfalls nicht mehr zu denken.

Die Zeit bei Auto Union – 1937 bis 1939

Kurz zusammengefasst kann man festhalten, dass H. P. Müller zu Beginn seiner Autorennfahrer-Karriere keinen leichten Stand hatte. Kein Wunder, fuhr er davor doch Motorräder mit bestenfalls 20 bis 30 PS, mit welchen man auf den Geraden reichlich Geduld brauchte, bis die 150 km/h Marke überschritten war. Nun war er aber auf ein Ungetüm von Auto Union umgestiegen, was mit 824 kg nicht einmal besonders schwer war. Aber dessen Leistungsdaten jedoch noch heute beeindrucken können. Mit ihrem 16-Zylinder Motor schöpfte der Rennwagen Typ C aus 6010 cm³ Hubraum eine Leistung von bis zu über 500 PS. Die Höchstgeschwindigkeit dieser Raketen auf 4 völlig überforderten Pneus und im Prinzip viel zu schmalen Felgen betrug mehr als 340 km/h. Genau deshalb wurden die Autorennen zu dieser Zeit oft auf Strecken mit Steilwandkurven wie der Berliner Avus, in Monza oder Tripolis ausgetragen. Dadurch lagen auf solchen Kursen die durchschnittlichen Geschwindigkeiten oft bei mehr als 260 km/h, wie das Resultat von Avus-Sieger Lang im Jahr 1937 beweist.

Mit aerodynamischer Karosserie erreichte der Auto-Union Typ C sogar Geschwindigkeiten von über 400 km/h. Es leuchtet ein, dass ein Motorrad-Rennfahrer von damals eine gewisse Eingewöhnungszeit brauchte, um damit klarzukommen.

Das erste Jahr H. P. Müllers für Auto Union
Vor dem 2. Weltkrieg war die Königsklasse im Automobilrennsport die Europa-Meisterschaft. Ferrari ließ seine Autos damals übrigens noch von Alfa Romeo bauen. In der heutigen Formel 1 ist es exakt umgekehrt und die Marke mit dem Kleeblatt im Logo gehört der Firma aus Maranello, welche auch Inhaber des Mugello Circuits ist. Gleich zu Beginn ließ der kleingewachsene Mann aus Bielefeld mehrmals aufhorchen. Kurz nach dem Start zum GP von Deutschland lag er noch hinter Teamkollege Rosemeyer, bevor er von Mercedes Fahrer von Brauchitsch geschnappt wurde. Einige Zeit später musste beim Rennen in der Eifel Rosemeyer an die Box, Hans Stuck fiel aus und Müller streifte ein Geländer, wodurch sein Wagen zu stark beschädigt wurde. Nur Bernd Rosemeyer kam letztlich durch und schaffte es noch auf Platz 3.

Kurz nach dem Start des GP von Deutschland 1937 auf dem Nürburgring in der Südkehre. In Führung die beiden Mercedes von Lang und Caracciola, dahinter Rosemeyer und H. P. Müller auf Auto Union vor Manfred von Brauchitsch (Mercedes).

Kurze Saison mit nur 5 Europa-Meisterschafts-Läufen
Aus Sicht von Müller war der Verlauf seiner ersten Saison im Automobil-Rennsport schnell erklärt. Erst in der 5. Runde beim Europameisterschafts-Finale in Monza erreichte er in seinem ersten Jahr als Fünfter das Ziel. Europameister 1937 wurde Rudolf Caracciola auf Mercedes vor seinen Teamkollegen Manfred von Brauchitsch und Hermann Lang. Erfolgreichster Auto Union Pilot war Hans Stuck mit Rang 5 und 20 Punkten, während H. P. Müller nur Platz 14 mit 33 Punkten blieb. Die Zählweise war damals invers, sprich die Platzierung ergab die Punktezahl. Zumindest für die ersten 4 Ränge, inklusive derjenigen mit dreiviertel der Renndistanz. Danach ging es abgestuft weiter bis zu 8 Punkten im Fall der Abwesenheit bei einem Rennen.

Während H. P. Müller noch mit der Umstellung auf die 4-rädrigen Raketen zu kämpfen hatte, gewann Bernd Rosemeyer beim nicht zur WM zählenden Eifelrennen für Auto Union auf dem Nürburgring das 3. Rennen seiner Karriere. Dies sollte jedoch sein letzter Sieg auf der Eifel sein.

Die zweite Auto-Rennsaison Müllers – wenig Licht und viel Schatten
Im Januar war Hermann Pauls vormaliger Teamkollege Bernd Rosemeyer bei einem Rekordversuch auf der Reichsautobahn nahe Frankfurt tödlich verunfallt. Für die Mannschaft von Auto Union war dies nach der katastrophalen Saison 1937 gleich zu Jahresbeginn ein weiterer herber Schlag. Und die neue Saison begann ähnlich schlecht wie im Vorjahr. Die Fahrer von Mercedes gewannen 3 der vier Europameisterschafts-Rennen im Jahr 1938. Die einzigen beiden Siege holte Tazio Nuvolari für Auto Union beim EM-Finale in Monza und in Donington am 22. Oktober. Der Italiener war für die Chemnitzer Firma mit EM-Rang 5 und 20 Punkten auch der erfolgreichste Fahrer am Ende der Saison. Allerdings hatten Hans Stuck und Müller dieselbe Punktzahl und teilten diese Position mit ihrem Teamkollegen. Doch 1939 sollte es für H. P. Müller endlich aufwärtsgehen. Allerdings konnte niemand im Rennsport tätiger wissen, dass noch im selben Jahr einige hirnverbrannte Nazis unter der Führung eines Österreichers den 2. Weltkrieg anzetteln würden.

H. P. Müller am Steuer seines Auto Union Rennwagens beim GP von Deutschland 1938. In seiner zweiten Saison noch mehrheitlich glücklos, sollte das nächste Jahr wesentlich erfolgreicher für ihn werden.

Die Saison 1939 – Müllers Durchbruch kurz vor Kriegsbeginn
Zu Saisonbeginn hatte Hermann Paul wie so oft in seiner 4-Rad Karriere mal wieder Pech. Beim nicht zur Europa-Meisterschaft zählenden GP von Pau am 2. April iin Belgien war Auto Union gar nicht erst angereist, weil Teamleader Tazio Nuvolari nicht einsatzfähig war. Es gewann Hermann Lang, der auch beim ebenfalls nicht zur EM zählenden Eifelrennen am 21. Mai siegreich war. Der Mercedes Pilot gewann am 25. Juni auch das erste von 5 EM-Rennen in Spa-Francorchamps, bei welchem Müller das Ziel nicht sah. Doch beim GP von Frankreich schlug endlich Herrmann Pauls Stunde. Er gewann am 9. Juli 1939 das Rennen in Reims, wodurch er einen deutlichen Sprung nach vorne in der EM-Zwischenwertung gemacht hatte. Im Training war er fünfter gewesen und diesmal war ihm im Rennen das Glück hold. Die beiden im Rennen führenden Lang und Nuvolari fielen mit technischen Problemen aus und Müller lag bereits vor von Brauchitsch, als auch dieser kurz vor Schluss liegenblieb.

Rudolf Caracciola 1938 – der Deutsche mit dem italienischen Nachnamen war auf Mercedes der erfolgreichste Fahrer der 1930-er Jahre. Mit 3 Europameister-Titeln in den Jahren 1935, 1937 und 1938 trat er in der letzten Saison vor Kriegsausbruch als Favorit und Titelverteidiger an.

Die zwei letzten Läufe der Europa-Meisterschaft vor Kriegsbeginn
Auf dem Nürburgring gewann Rudolf Caracciola vor Müller, welcher dadurch die Führung im Gesamtklassement übernahm. Niemand (oder zumindest nur die allerwenigsten Sportler) konnten ahnen, dass der GP der Schweiz vom 20. August als viertes von 5 Rennen der EM bereits das letzte der Saison werden sollte. Im Vorjahr hatte H. P. in Bern unglaubliches Pech gehabt, als er auf dem Weg zu Platz drei unterwegs gewesen war. Er hatte damals Jagd auf den vor ihm liegenden Mercedes Piloten Manfred von Brauchitsch gemacht und kam diesem auch immer näher. Doch ein zu überrundender Konkurrent gab ihm den Weg nicht frei, worauf der Bielefelder voll abbremsen musste und dadurch ins Schleudern geriet. Müller krachte in eine Böschung und musste mit defektem Rennwagen aufgeben. Er hatte dabei noch Glück im Unglück gehabt und kam mit leichten Prellungen davon. Der GP der Schweiz vom 20. August wurde von Hermann Lang gewonnen. Doch Müller kreuzte die Ziellinie auf der Strecke im Wald von Bremgarten als Zweiter und verteidigte dadurch seine EM-Führung.

Hermann Lang war der große Gegenspieler Müllers im letzten Jahr der Europa-Meisterschaft von 1939. Trotz zwei Siegen in 4 Rennen (der Italien GP fand aufgrund des Kriegsausbruchs nicht mehr statt) lag der Mercedes Fahrer am Ende 2 Punkte hinter seinem Kontrahenten auf Auto Union. Offiziell wurde H. P. Müller infolge der Kriegs-Wirren jedoch gar nie als Champion geehrt.

Innert knapp 3 Jahren auf Position 5 mit Renn-Einsätzen
Nach seinem Einstieg 1937 bis zum Kriegsausbruch blieben Hermann Paul nur knapp 3 Jahre für seine am Ende 18 Einsätze für Auto Union. Hinter Hans Stuck mit 43 Rennen, Bernd Rosemeyer († im Januar 1938, 33), Achille Varzi (21) und Rudolf Hasse mit deren 20 belegt er damit Position 5. Ernst von Delius hätte wohl mehr Einsätze als Müller erreicht, wäre er nicht am 26. Juli 1937 im Alter von erst 25 Jahren tödlich verunfallt.

Ernst von Delius verunfallte beim GP von Deutschland auf dem Nürburgring nach einer Kollision mit Richard Seaman. Der Engländer kam dabei mit relativ leichten Blessuren davon, Einen Tag nach dem Unfall verstarb hingegen von Delius im Krankenhaus von Bonn an seinen gravierenden Verletzungen. Auch Seaman fand nur ein Jahr später beim GP von Belgien im Juni 1939 bei einem Unfall den Tod.

Die Zwangspause infolge des Zweiten Weltkriegs
Was ab 1. September 1939 losging, hatte schwerwiegende Folgen für die ganze Menschheit. Es sollte sich sogar noch Jahre danach auf den Sport negativ auswirken, doch mehr dazu im nächsten Teil über Müllers Geschichte. Was ab dem Herbst dieses Jahres begann, sorgte nicht nur für eine lange Pause im Rennsport. Es war eine Schande für die ganze Menschheit und man sollte dabei nicht vergessen, dass beileibe nicht nur Deutsche daran beteiligt waren, dass unglaubliches Unrecht in dieser Zeit passierte. Wieso dieser Wahnsinn überhaupt stattfand? Ein weiser Mann behauptete später einmal: „Der Erste Weltkrieg begann, weil ein Österreicher erschossen wurde und der Zweite, weil ein Österreicher nicht erschossen wurde„.

In Abwesenheit von H. P. Müller war Ewald Kluge mit 3 Meistertiteln in der 250 cm³ Klasse auf DKW erfolgreichster Pilot in der deutschen Meisterschaft. Nach 1936 legte er noch mit weiteren drei Titeln von 1937 bis 1939 nach.

Teil 4 – Neustart nach dem Krieg: http://www.motoracers.eu/h-p-mueller-teil-4/