Scott Redding (Aruba.it Ducati) als Anführer der Verfolgergruppe in Donington – der amtierende Vizeweltmeister liegt nach den ersten sieben Runden deutlich nur noch 38 Punkte beiden führenden in der Zwischenabrechnung zurück.

Die erstaunliche erste Saisohälfte der WorldSBK im Rückblick

Bis auf die Tatsache, dass Toprak Razgatlioglu einen unglaublich starken Start in die Saison zeigte, gab es diverse weitere Überraschungen. Eine negative gab es bereits vor dem ersten Rennen. Unglaublich kurz vor der ersten Runde gab die FIM die Drehzahl-Limits für die neue BMW M-1000RR und die Kawasaki ZX-10RR bekannt. Wie so oft bei dieser fragwürdigen Behörde in früheren Jahren und Jahrzehnten bereits sorgten sie damit für einen veritablen Skandal. Die neutralen Beobachter rieben sich dabei verwundert die Augen und die Grünen hatten derart knapp vor dem ersten Rennen kaum mehr die Chance für eine Reaktion. Aber Jonathan Rea, Alex Lowes und deren Team liessen sich davon nicht unterkriegen.

Mit offensichtlich voller Absicht veröffentlichte die hinterhältig agierende FIM-Kommission die neuen Limits erst wenige Tage vor dem ersten Rennen, womit Kawasaki kaum Zeit blieb, darauf zu reagieren. Im Vergleich zu BMW, Honda und vor allem Ducati wurden sie damit trotz neuem Modell für 2021 extrem benachteiligt. Eine unsportlich agierende oberste Sportbehörde, so etwas gibt es wohl in erster Linie nur im Motorsport.

Die starke Reaktion auf die klare Benachteiligung
Mit einer Wut im Bauch traten sie in Aragon zum Saisonauftakt an und fuhren die Konkurrenz in Grund und Boden. Aber danach kamen die ersten Probleme und dies nicht ganz unerwartet. Nicht ganz unerwartet steht derzeit trotzdem immer noch Kawasaki als erfolgreichstes Team des ersten Saisondrittels da. Der zweite Platz in der Teamwertung ist jedoch eine faustdicke Überraschung und einzig und allein deren Spitzenfahrer zu verdanken. Nachfolgend der Zwischenstand in der Teamwertung nach vier Runden und darunter die Situation nach der Veranstaltung in Navarra.

Nur gerade 51 Punkte trug mit Andrea Locatelli der zweite Fahrer des Yamaha Werksteams bei, während der Bärenanteil auf das Konto des überragenden WM-Leaders Toprak Razgatlioglu geht. BMW steht derzeit so gut da wie seit ihrer werksseitigen Rückkehr in die WSBK noch nie, aber nun folgt in Assen und Most die Phase der dringend notwendigen Bestätigung.
Dank der Konstanz von Johnny Rea und Alex Lowes liegt das Kawasaki Racing Team immer noch an der Spitze, aber die durch das Reglement bedingte Schwäche auch der Kundenteams und die Verletzung von Lucas Mahias machte sich in der Herstellerwertung zusätzlich bemerkbar.
Aus dem Zweikampf um den Titel im Vorjahr ist nun ein Dreikampf geworden – hier Toprak auf der Yamaha vor dem amtierenden Weltmeister Rea auf Kawasaki und Ducati Ass Redding, der jedoch auf nächste Saison zu BMW wechselt.

Die vierte Kraft kämpft immer noch um den Anschluss zur Spitze
Nachdem BMW als letzte testen gegangen waren, tönte es anfänglich von deren Piloten noch sehr positiv. Aber dann kamen erneute Rückschläge und nach Estoril sah es mit Ausnahme von Donington und Assen einige Zeit überhaupt nicht mehr gut aus für die Blau-Weißen. Aber es gab im Werksteam immerhin zwischendurch einige Lichtblicke, wobei die notwendige Konstanz schlicht fehlte. Praktisch ohne Vorbereitung musste Eugene Laverty als einer der beiden Privatfahrer in sein Abenteuer starten und hielt sich dabei sogar teils durchaus achtbar. Aber plötzlich zog sich sein Team mit dubiosen Begründungen vor Assen zurück und ward seither nie mehr im Paddock gesehen. Bei Jonas Folger war nach einem achten Rang dank Reifenpoker im zweiten Lauf von Aragon komplett die Luft draussen. Erst in Navarra holte der Deutsche überhaupt seine nächsten Punkte, was hoffentlich einen Aufwärtstrend bei ihm einläutet. Mit der Verpflichtung von Scott Redding soll nun die Erlösung für BMW kommen. Doch dies kann auch zum Bumerang werden. Sollten auch bei ihm konstante Spitzenresultate ausbleiben, muss die Schuld klar beim Material gesucht werden.

Alex Lowes (Kawasaki) vor Tom Sykes (BMW) auf dem Circuito de Navarra – nur im letzten Rennen war die Reihenfolge umgekehrt, aber trotzdem war die Nummer 60 stärkster Fahrer für die Blau-Weißen in der siebten Runde.

Die fünfte Kraft am Scheideweg
Auch für HRC Honda begann das Jahr mühselig, aber bereits ab Estoril gab es die ersten Lichtblicke, wenn auch immer wieder gefolgt von Rückschlägen. Während BMW mit deren neuer M-1000RR einen Schritt nach vorne gemacht hat, ist beim weltgrößten Hersteller im zweiten Jahr mit der neuen Fireblade der Wurm drin. Nach einigen Achtungserfolgen in der ersten Saison mit dem von HRC selbst inszenierten Auftritt gab es sogar Podestplätze, aber davon können sie mit ihren beiden Fahrern derzeit offenbar nur träumen. Alvaro Bautista stürzt zu oft und Leon Haslam scheint es an Pace zu fehlen, um den Anschluss an die besten zu finden. Bei Honda ist deshalb sogar denkbar, dass sie wie BMW mit der M eine noch sportlichere CBR-1000RR-R auflegen werden. Natürlich stehen auch die Piloten auf dem Prüfstein und es sind mit Locatelli und Sykes sogar Topfahrer auf dem Markt, während WSSP 600 Dominator Aegerter offenbar nicht als Option gilt.

Andrea Locatelli (Pata Yamaha with BRIXX) vor Tom Sykes (BMW) – zwei der besten Piloten hinter dem Führungstrio in der WM und beide noch ohne Vertrag für 2022, wobei Yamaha den Italiener sicher gerne behalten würde.

Saisonentwicklung mit einigen unerwarteten Hochs und Tiefs
Nicht nur Ducati Werkspilot Scott Redding vermochte die in ihn gesetzten Erwartungen in den ersten Runden nicht zu erfüllen. Auch sein ehemaliger Teamkollege Chaz Davies und dessen Nachfolger Michael Ruben Rinaldi sorgten in den ersten 12 Rennen nur für wenige Lichtblicke. Ein Podestplatz und zusätzlich zwei Zielankünfte in den top sechs waren die besten Ergebnisse des Walisers. Der Italiener hingegen überzeugte nur in Estoril und bei seinem Heimrennen in Misano vollauf. Sein Landsmann Andrea Locatelli stand anfänglich noch schlechter da, doch ab Assen begann für ihn ein wahrer Höhenflug. Im Vergleich dazu strauchelt sein Yamaha Markenkollegen Garrett Gerloff in letzter Zeit zu fest. Der Texaner kann nur hoffen, dass es in Nevers aufwärts geht und er dort an die guten Resultate im Vorjahr anknüpfen kann. Seit Most läuft es dafür vor allem bei Scott Redding wieder ganz nach Plan und seit Navarra hat er sich als Gesamtsieger wieder für den Kampf um den Titel zurückgemeldet. Von Kawasaki Mann Alex Lowes kann man dies zwar nicht behaupten, aber der Mann aus Lincoln blüht bei Kawasaki förmlich auf. WM-Rang vier ist der beste Beleg dafür beim ehemaligen Bruchpiloten vom Dienst.

Start zum bisher letzten Rennen in Navarra am Sonntagnachmittag – vor fast leerer Haupttribüne. Die Preise dafür waren haarsträubend und die Zuschauer bezahlten mehr als das Dreifache von beispielsweise Jerez nur zwei Jahre davor, nur wollte das offensichtlich kaum jemand, wie dieses Bild beweist.

Der neue Toprak Razgatlioglu – bleibt er konstant oder kommt ein Rückschlag?

Direkt nach seiner Verlängerung seines WSBK-Vertrags mit dem Yamaha Werksteam lieferte der Türke das vielleicht eindrücklichste Husarenstück seiner gesamten Rennfahrer-Karriere. Ausgerechnet beim Heimrennen der Briten gelang ihm in Donington Park trotz miserabler dreizehnter Startposition bereits im ersten Rennen am Samstag die Sensation des Tages. Während der ersten Runde stürmte er bereits auf Position zwei nach vorne und eine Runde später übernahm er das Kommando, wonach er einem ungefährdeten Sieg entgegenfuhr. Am Sonntagmorgen gingen jedoch bei feuchter Strecke die meisten Fahrer mit Slicks ins Rennen und hier zeigte sich die derzeit noch größte Schwäche des Yamaha Piloten. Während Rea mit einem souveränen Sieg zurückschlug, musste sich Razgatlioglu mit Rang sechs begnügen. Dabei konnte er besonders froh sein, gibt es im Sprintrennen nur halbe Punkte zu gewinnen. Laut Prognose war auch für am Nachmittag Regen angesagt, aber die Wettergötter meinten es gut mit der Yamaha Hoffnung. Während sein Widersacher mit seiner Kawasaki in Führung liegend stürzte, fuhr Toprak am Nachmittag im Trockenen einem sicheren Sieg entgegen und war seit Lauf 1 in Phillip Island (Australien) erst zum zweiten Mal in seiner Karriere WM-Leader. Für die nächsten Runden hängt bei ihm viel vom Wetter ab. Sobald es nass wird, gilt er als chancenlos, wie auch die Runde in Frankreich 2020 nicht zum ersten Mal in seinem Fall unter Beweis stellte.

Toprak Razgatlioglu (Pata Yamaha with Brixx) vor Jonathan Rea (Kawasaki Racing Team) – nachdem ein Angebot für den Türken aus der MotoGP im Raum gestanden hatte, entschied er sich, zuerst seinen Traum vom Titel der WorldSBK versuchen zu realisieren. Leicht wird dies gegen den amtierenden Weltmeister aber definitiv nicht werden.

Der aktuelle WM-Stand in der WorldSBK vor Magny-Cours

Während Chaz Davies mit Ausnahme von einigen Rennen wie Aragon 1, Estoril 1 und 2, sowie Assen 2 nur wenige Lichtblicke erlebte, vermochten vor allem Alex Lowes und Rookie Andrea Locatelli nebst den besten drei in der WM mehrheitlich zu überzeugen. Rinaldi siegte sogar bei seinem Heimrennen, aber der Italiener blieb ansonsten bis auf den ersten Lauf in Most oft einiges schuldig. Bei BMW fehlt noch der endgültige Durchbruch für das Werksteam, während es bei den beiden Privatfahrern schlicht katastrophal aussieht. Ähnlich schlimm sieht es bei HRC Honda mit Bautista und Haslam aus. Genauso bei Tito Rabat, von dem nicht nur sein Landsmann Alvaro Bautista deutlich mehr erwartet hatte. Auf der anderen Seite sorgten Neulinge wie Axel Bassani und Lucas Mahias für erfreulich positive Resultate, die man so vor allem beim Franzosen mangels Vorbereitung nicht verlangen konnte. Kohta Nozane zeigte als amtierender Superbike Meister von Japan ebenfalls einige Male sein Potenzial auf, ihm wird man noch etwas Zeit geben müssen. Von den Wildcard Piloten vermochte Marvin Fritz mit seinem Top Ten Resultat in Most am meisten zu überzeugen. Es wäre ein Jammer, wenn dieser talentierte Mann keine Chance in der WorldSBK für 2022 bekommen würde.

Bruder Mahias vor dem Start – er kommt nicht aus einem Kloster, sondern er fährt für Kawasaki Puccetti Racing diese Saison in der WorldSBK seine erste volle Saison. Dies macht der Franzose trotz mangelnder Vorbereitung erstaunlich gut und er gehört damit eindeutig zu den Lichtblicken der ersten Jahreshälfte.

Die Zahlen von 2020 als Referenz für die nächsten vier Runden

Wir verstehen durchaus, wenn die Gegner von Jonathan Rea im Titelkampf ihre Stirn in Falten legen, sobald sie sich an diese Werte erinnern. In Nevers auf dem Circuit von Magny-Cours regnete es, weshalb nachfolgend die Zahlen in Blau hinterlegt sind. Toprak stürzte im Vorjahr deshalb komplett ab und holte im ersten Lauf einen sechsten und danach zwei neunte Ränge. Scott Redding hingegen war beinahe auf Augenhöhe mit dem 6-fachen Weltmeister, schwächelte dafür in Portugal, war jedoch in Jerez bei großer Hitze davor der beste gewesen. In Barcelona hingegen holte er wie Razgatlioglu deutlich weniger Punkte als das Kawasaki Ass. In Summer hatte der amtierende Champion in diesen vier Runden mehr als doppelt so viele Punkte wie Toprak gesammelt. Vermutlich erklärt dies sein Lächeln im Gesicht, als er nach Platz 3 im letzten Rennen von Navarra im Podiums-Interview voller Vorfreude und Zuversicht von den nächsten Runden und den folgenden Rennen in Frankreich sprach.

Von uns an der Paddock Show in Magny-Cours 2019 fotografiert – links Toprak Razgatlioglu (Kawasaki Puccetti Racing), Jonathan Rea (Kawasaki Racing Team) und daneben sein ehemaliger Teamkollege und neue BMW Pilot Tom Sykes. Damals war es trocken und der Türke konnte um den Sieg kämpfen, aber ein Jahr später bei Nässe war er chancenlos.

Wie es weitergeht im provisorischen Kalender

Laut Plan kommt zwei Wochen nach der Navarra Premiere der Circuit de Nevers Magny-Cours als nächste Station und weitere 14 Tage später beginnt ein sogenannter Dreierblock. Genau wie im ersten Jahr der WSBK 1988, als mit nur je einer Woche Abstand Runde 5 in Sugo gefahren wurde (am 28.8), es nach Le Mans weiterging und 7 Tage danach in Estoril gefahren wurde. Damals natürlich noch am Sonntag beide Rennen und Punkte gab es weniger als heute und dazu kein Superpole Race. Vierzylinder-Motoren waren auf 750 cm³ limitiert und es wurden nur 9 Runden ausgetragen. Mehr dazu siehe in unserer reichhaltig illustrierten History. Diese Saison sind es erst zum zweiten Mal Barcelona mit dem Circuito de Cataluña, Jerez und Portimão. Was danach kommt, ist jedoch noch fragwürdig, weil an Rennen in Argentinien und Indonesien bereits bei Veröffentlichung des ersten Kalenders viele absolut zu Recht zweifelten. Es wird dabei entweder mit Ersatzrunden auf anderen Strecken oder einer Kürzung des Kalenders zu rechnen sein. Zumindest in der MotoGP wurden bereits nacheinander die Events in Australien, Japan, Thailand und Malaysia abgesagt.

Wo nicht anders erwähnt gilt bei allen Bildern (© WorldSBK).