Losail-Testergebnisse zur Favoriten-Bestimmung – ein Kapitalfehler
Es ist interessant, wie sogar oft ausgewiesen altgediente Journalisten und Autoren der Rennszene oft immer denselben Fehler wiederholen. Darunter gibt es durchaus sogar solche, deren Bücher wir in unserer riesigen Bibliothek stehen haben. Die Rede ist hier im Zusammenhang mit Losail von der Bestimmung der Favoriten anhand der Resultate der Losail-Tests. Was für ein Kapitalfehler, wenn man dabei mit früheren Jahren und den Aussagen vieler Teamchefs und Fahrer während der letzten Wochen vergleicht! Wir liefern hier mehrere Beweise dafür, wie fehlend die Aussagekraft der Tests und ersten Rennen für die Saison in der Vergangenheit war. Dasselbe gilt natürlich vor allem für den Sieger des ersten Grand Prix, der in weit weniger als der Hälfte der Fälle später Weltmeister wurde.
Das Beispiel seit Losail als Saisonauftakt
Die üblichen Fehler bei der Favoriten-Bestimmung vor Saisonbeginn in Katar sind offenbar im schlechten Gedächtnis vieler vermeintlicher Experten gegründet. Nehmen wir die Zeit, ab welcher der GP von Katar in Losail den Saisonauftakt bildete. Anfänglich war dies noch nicht bei Flutlicht, als Casey Stoner 2007 das erste MotoGP Rennen überhaupt im Wüstenstaat gewann. Der Australier wurde danach auch Weltmeister, der bis heute einzige für Ducati. Seither fand weitere zwölfmal der Saisonauftakt auf dem Losail International Circuit statt. Ganze dreimal gewann dabei jedoch der spätere Weltmeister, nämlich 2011 Stoner (Honda), 2012 Lorenzo (Yamaha) und 2014 Marquez auf Honda. Macht exakt ein Drittel und dazu in den letzten 5 Jahren mit dem GP von Katar als Auftaktrennen kein einziges Mal mehr.
Wieso Katar keine Referenz für den Rest der Saison ist
Wer bei den Interviews mit Fahrern und Teammitgliedern genau zuhörte, fand diese Frage schnell beantwortet. Nicht ein einziger von ihnen gab zu Protokoll, die Tests in Losail seien für den Rest der Saison hilfreich. Nein, es war exakt umgekehrt und alle betonten unisono, die Erkenntnisse der ersten Tests bei Chassis-Setup, Reifenwahl und allen möglichen Faktoren lassen sich auf keiner weiteren Strecke im Kalender anwenden. Ausgerechnet hier findet jedoch dank der Fehlplanung der Dorna der einzige Test und das erste Doppelrennen im 2. Corona-Jahr statt! Man testet auf einer Strecke, die laut allen Beteiligten keine Hilfe für die übrigen Rennen der Saison ist, ein Wahnsinn. Genau deshalb lassen die Resultate am Rand der Wüste auch keine Rückschlüsse über die Stärke von Fahrern und Bikes für den Rest des Jahres zu.
Die Saison 2020 als Paradebeispiel für Fehlprognosen
Hand aufs Herz, wer bitte hatte schon Joan Mir vor Saisonbeginn 2020 als WM-Favorit auf dem Radar? Auch der Crash von Marquez änderte nichts an der Tatsache, dass der junge Suzuki Fahrer aus Palma de Mallorca alles andere als der Kronfavorit war. Nach dem ersten Doppelrennen der Saison haben wir damals leider verpasst, uns die Wettquoten zu notieren. Mit einem Doppelsieg von Quartararo vor Viñales waren die vermeintlichen Favoriten klar gegeben. Mir hingegen leistete sich gar im ersten Rennen von Andalusien noch einen Crash. Am zweiten Wochenende wurde der Katalane fünfter und in Brünn kam ein weiterer Nuller. Bereits nach dem zweiten Rennen in Jerez titelten die meisten Medien Schlagzeilen im Stil „Fabio Quartararo – der kommende Weltmeister?„. Auch wir lagen im Vorjahr oft genug in vielen Punkten falsch, Asche auf unser Haupt.
Viele Prognosen sind geradezu köstlich zu lesen
Die vorsichtigeren der Autoren, wenn es um die Bestimmungen der Favoriten für 2021 geht, arbeiten mit auffällig vielen rhetorischen Fragen. Um sich später nicht zum Deppen zu machen, ist natürlich die Formulierung „wird Pol Espargaró auch sitzenbleiben?“ oder „schafft es Yamaha ihre schnellen Trainingszeiten auf über die Distanz zu bringen?„ein probates Mittel. Wir mussten bei manchen Prognosen über die Formulierungen schmunzeln und überlassen es jedem Leser anderer Portale selbst, darüber zu urteilen. Aber wie früher speichern wir uns einige Meinungen sogenannter Experten ab und werden zu späterer Zeit darauf zurückkommen. Nach 2020 wurden jedenfalls viele deutlich vorsichtiger, weil wohl ausnahmslos alle von ihnen vor Saisonbeginn schlicht um Welten daneben lagen, was sie damals vorhersagten.
Zwei originelle Paradebeispiele aus der WorldSBK von 2020
Was Prognosen betrifft, erlebten wir beim Saisonauftakt in Australien zwei originelle Muster und danach noch eines nach Fortsetzung des Rennbetriebs. BMW Pilot Tom Sykes war in Phillip Island bei den Vortests und im Qualifying pfeilschnell. Nach Troy Corser erbte er vom zweifachen WSBK-Weltmeister den Titel „Mister Superpole“, als Spezialist für sensationell schnelle Zeiten über eine einzelne Runde. Quasi der Quartararo der WorldSBK, nur noch ein gutes Stück unterhaltsamer bei seinen Interviews als der junge Franzose. Sykes wurde aufgrund seiner Topleistung prompt zum vermeintlichen Favoriten hochstilisiert. Wir waren damals vor Ort und lasen, was die fast allesamt zu Hause gebliebenen Journalisten zum Geschehen in Down Under aus der Ferne berichteten.
Vom Underdog zum Kronfavoriten innert etwas über einem Tag
Alex Lowes musste nicht wie Alvaro Bautista (HRC Honda) auf seiner brandneuen CBR-1000RR-R als 15. in der Superpole von ganz weit hinten starten. Für den Engländer hatte es im Qualifying immerhin für den 8. Startplatz gereicht. Wie der Spanier galt Alex jedoch vor dem Rennen als absoluter Underdog bei den Journalisten. Im ersten Rennen verpasste der schnelle Kawasaki Neuling jedoch den Sieg im Kampf mit Yamaha Ass Toprak Razgatlioglu um ganze 7 Tausendstel Sekunden. Bautista wurde sensationeller sechster und der vermeintliche Siegeskandidat Sykes wurde nach anfänglicher Führung im 1. Rennen danach bis auf Platz 9 durchgereicht. Lowes wurde im Superpole Race tags darauf vierter, gewann am Nachmittag das 2. Rennen und reiste als WM-Leader aus Australien zurück.
Der angeblich gestrauchelte – Jonathan Rea und seine Wandlung in Portugal
Direkt nach dem Doppelrennen der MotoGP ging es nach der Zwangspause auch wieder für die WSBK auf dem Circuito de Jerez weiter. Im Hochsommer bei Gluthitze funktionierte die Kawasaki von Lowes und Rea mit den Pirelli Reifen nicht wie erwünscht. Während Lowes arg strauchelte, wurde der amtierende zweiter im ersten Rennen am Samstag und gewann am Sonntagmittag sogar das Superpole Race. Über die volle Distanz im 2. Lauf am Sonntag hatte er Reifenprobleme und landete auf Rang 6. Wir kennen diese Probleme aus demselben Jahr mit den Michelin Reifen in der MotoGP, manche Teams verzweifelten fast. Ein Sport-Portal von Red Bull Media titelte nach Platz 6 des amtierenden Weltmeisters „Redding brillierte und Rea versagte„. Wie bitte? Wenn eine KTM auf Platz 13 landete wurde dies von demselben Portal jahrelang als Top-Leistung beschrieben und wenn ein 6. Platz mit Reifenproblemen versagte dabei der Fahrer?
Die Korrektur des vermeintlichen Versagers folgte auf dem Fuss
Womöglich hat der Nord-Ire die Schlagzeile gesehen und versteht auch Deutsch, was wir an dieser Stelle jedoch bezweifeln. Der dumme Kommentar eines Schreiberlings zu seinem Reifen-Pech stand jedenfalls in einem deutschsprachigen Portal damals zu lesen. Der Rekord-Weltmeister versteht seine katalanischen Teammitglieder auf jeden Fall fast blind und lernte in den bisher fast 6 Jahren für das Provec Racing Team bereits viele Wörter in deren Sprache. Die Zusammenarbeit nach dem Reifen-Pech in Jerez funktionierte auf dem Autodromo do Algarve unbestritten prima. Anders kann man es sich nicht erklären, dass der damals bereits 5-fache Weltmeister sämtliche 3 Rennen in Portimão überlegen gewann. Der bescheidene Mann aus Ballymena ist auf seinem Bike oft genug absolut unschlagbar und er gab seine Antwort auf den Unsinn eines „Presse-Fuzzis“ gleich am Wochenende nach Jerez auf dem Fuss.
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