Toprak Razgatlioglu und seine Yamaha im Kiesbett von Assen – der Türke reiste als WM-Leader in die Niederlande und kurz vor dem Samstagmittag beging er in der Superpole einen Fehler, der am Ende glimpflich ausging, weil sein Team das Bike noch rechtzeitig wieder reparieren konnte.

Toprak zeigt Nerven – der Weltmeister holt sich die WM-Führung zurück

In der Superpole hatte Toprak mit einer starken Leistung sich in buchstäbliche letzter Minute nach der Reparatur seiner nur leicht angeschlagenen Yamaha die erste Startreihe gesichert. Als wir die Reifenwahl von Jonathan Rea hörten, bevor es ins erste Rennen des Wochenendes ging, zogen wir verwundert die Augenbrauen hoch. Diesmal hatte er mit seiner Kawasaki Crew nämlich hoch gepokert und setzte für das Rennen trotz schönem Wetter und für Assen relativ warmen 25 Grad Celsius (die Strecke hatte 37) auf den für das Sprintrennen entwickelten SCX-Reifen. Mit Razgatlioglu und Redding hatten hingegen seine härtesten Kontrahenten im Titelkampf auf den als sicherer für die volle Distanz geltenden SC0 gesetzt. Der amtierende Weltmeister war sich durchaus bewusst, dass es gegen Ende des ersten Laufs hart werden könnte, weil er dabei mit nachlassendem Grip rechnen musste. Nach dem Start lag zuerst nicht er als nun bereits fünffacher Polesitter dieser Saison vorne, sondern Toprak bog als erster in die 1. Kurve vor ihm ein. Doch das Kawasaki Ass schlug zurück und bereits eingangs Turn 5, genannt Strubben, hatte Rea wieder die Nase vorne.

Michael van der Mark (BMW M-1000RR) verpasste trotz bescheidenem neunten Startplatz das Podium am Ende nur knapp, während sein Teamkollege Tom Sykes vom Ende des Feldes immerhin noch Rang 7 holte.

Das Meisterstück des besten Superbike Fahrers aller Zeiten
Es entwickelte nach den frühen Stürzen von Rinaldi (Ducati) und Lowes (Kawasaki) an der Spitze ein sehenswerter Dreikampf um die Führung. Wie erwartet zeigte sich dabei auch Scott Redding sehr stark und der Engländer konnte Toprak mehrmals attackieren und in der zweiten Rennhälfte gar in Schach halten. An der Spitze setzte sich derweil jedoch in unwiderstehlicher Manier der Nord-Ire ab, der seinen Kontrahenten bis ins Ziel keine Chance mehr liess, ihn ernsthaft zu bedrängen. Toprak Razgatlioglu ritt gegen Ende des Rennens nochmals eine Attacke gegen Scott Redding, doch dieser parierte und zwei Runden vor Schluss kamen nach einem schweren Sturz von Jonas Folger (BMW) rote Flaggen, womit der Türke sich mit Rang 3 zufriedengeben musste. Er wirkte im Interview danach nicht nur enttäuscht, sondern richtiggehend angesäuert, auch weil er zugeben musste, keine Chance auf den Sieg gehabt zu haben. Wie Toprak zu Protokoll gab, hatte er offenbar seinen Vorderreifen überstrapaziert und deshalb gegen Ende mit stumpfen Waffen gekämpft.

Alex Lowes (Kawasaki), Jonas Folger (BMW) und hinten Leon Haslam (Honda) dicht auf den Fersen von Ducati Ass Scott Redding. Für den Mann mit der 22 und den Deutschen wurde es ein Tag zum Vergessen, nachdem beide ihr Rennen unsanft im Kiesbett beendet hatten. Auch Lucas Mahias hatte einen Crash und dabei zog er sich einen Bruch des linken Kahnbeins zu. Er wird am Sonntag in Assen nicht antreten (© Kawasaki Racing Team).

Jonathan Rea zum ersten Rennen:In der Superpole hatte ich das Gefühl, dass meine erste schnelle Runde gestrichen worden sein könnte, weil ich eine gelbe Flagge gesehen habe. Als ich in die Boxengasse zurückkam, sah ich, dass meine Zeit noch da war, aber um Verwirrung zu vermeiden, liess ich einen anderen Q-Reifen auflegen und fuhr sofort los. Ich habe in den letzten Phasen der Session versucht, jeglichen Verkehr zu vermeiden, und ich hatte eine freie Strecke, aber du bist auch nervös, wenn du in der Box sitzt und zusiehst, wie alle anderen schnell fahren. Das Rennen haben wir aufgrund unserer Beharrlichkeit gewonnen, weil ich nach dem Rückschlag in Donington einfach weitergemacht habe. Auf meinem Pitboard konnte ich sehen, dass der Abstand zu Toprak und Scott schwankte. Ich wusste, dass es sehr schwer sein würde, wegzukommen, wenn ich diese Jungs heranlassen würde. Als ich eine freie Strecke hatte, musste ich das Maximum geben, keine Fehler machen und eine kleine Lücke auffahren. Danach musste ich weiter pushen, mich nie zufriedengeben, weil sie in ihrem eigenen Kampf waren und hart kämpften. Wenn ich mich entspannte, würden sie mich erwischen. Ich hatte einen guten Rhythmus und meine Kawasaki fuhr wie auf Schienen. Am Ende bekam ich Vibrationen am Hinterreifen. Anstatt den Reifen in den kritischen Bereichen weiter zu drücken, wie bei den schnellen Rechtskurven, habe ich den Reifen etwas mehr geschont. Schon damals wurde der Abstand immer größer. Es ist ein wirklich schönes Gefühl, dies als Fahrer zu erleben. Nun freue ich mich schon auf morgen.“

Alex Lowes nach seinem Sturz:Ich habe mich auf dem Motorrad gut gefühlt und wir hatten am Morgen einen positiven Schritt im FP3 gemacht. Die Superpole war ziemlich knapp. Zu Beginn des Rennens war ich von Rinaldi und Redding etwas eingeklemmt. Ich wurde von Jonas Folger überholt, konnte ihn aber wieder schnappen. Dann habe ich in Turn 5, der wirklich langsamen Kurve, einfach die Front verloren. Ich habe versucht, die Bremse zu lösen, um die Kurve zu kriegen und vielleicht war ich mit noch vollem Tank vorne zu sehr am Limit. Es ist sehr schade, denn es war ein so kleiner Sturz, aber der Lenker war beschädigt und ich konnte deshalb nicht mehr weiterfahren. Ein kleiner Fehler nur und das Rennen war vorbei. Aber ich habe mich auf der Kawasaki wirklich gut gefühlt, das ist die Hauptsache und wir haben morgen noch zwei Rennen.“

Jonathan Rea (Kawasaki ZX-10RR) in voller Konzentration vor dem Start zum ersten Rennen – es war sein Tag und mit 13 Rennsiegen in Assen erreichte er eine Marke, die womöglich wie viele anderen seiner Rekorde für alle Ewigkeit Bestand halten wird (© Kawasaki Racing Team).

Wenige Gewinner und die Frage nach dem Wetter

Nebst Sieger Rea gehören vor allem Redding, van der Mark. Locatelli und Gerloff zu den Gewinnern des Tages, während Razgatlioglu nach dem Verlust der WM-Führung nicht dazugezählt werden kann. Bei Toprak wird sich vor allem am Sonntag herausstellen, ob er zu den Verlierern gehören wird. Ruhig schlafen dürfte der Türke bei der aktuellen Wetterprognose zumindest kaum. Ab etwa Mittag soll es mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 90 Prozent feucht werden, was bedeuten kann, dass bereits das Superpole Race davon betroffen sein wird. Sollte es wirklich nass sein, gilt der Türke als chancenlos, auch wenn er sich bei feuchter Strecke ab 2020 teils achtbar schlug. Aber gegen Regenkönige wie Rea, Sykes, Lowes, Haslam und weitere dürfte er dann auf verlorenem Posten stehen. Tom Sykes und vor allem Garrett Gerloff zeigten eine überragende Leistung, als sie es vom Ende des Feldes beide noch in die Top sieben schafften. Mit Platz 12 meldete sich Leandro Mercado sehr stark zurück und es ist dem schnellen Argentinier zu gönnen, nachdem er seit dem Saisonauftakt eine Zwangspause einlegen musste. Weil sein Team völlig unvorbereitet in Aragon angetreten war, hatten sie sich nach dem desolaten Ergebnis in der ersten Runde zu einer „schöpferischen Pause“ bis Assen entschieden.

Nach dem Start zum ersten Rennen – Toprak biegt vor Johnny Rea in die erste Kurve ein, doch bei Strubben hat bereits wieder der Nord-Ire die Nase vorne. Danach führte der Türke nur noch einmal in Runde vier und ab dann nur noch das Kawasaki Ass.

Die vielen Verlierer des ersten Rennens
Dazu zählen in erster Linie natürlich die vielen Gestürzten, allen voran der nun verletzte Lucas Mahias (Kawasaki Puccetti Racing). Auch bei Jonas Folger musste man zittern und als er irgendwann stand, waren die Beobachter erleichtert, aber mit einer Gehirnerschütterung wird er wie der Franzose am Sonntag definitiv fehlen. Mit den Plätzen 8 und 9 dürfen sich auch Leon Haslam und Chaz Davies nicht zu den Gewinnern zählen, aber immerhin schafften es die beiden ins Ziel und in die Top Ten. Als zehnter gehört auch Axel Bassani zu den Fahrern, der sich wie Vinales auf P11 nicht unzufrieden geben darf. Cresson und Mantovani schafften es zwar in die Punkteränge, aber eine Runde hinter dem überragenden Sieger und demnach von den vielen Stürzen profitierend. Für all die Fahrer ohne WM-Punkte im ersten Lauf muss es für am Sonntag heissen, unbedingt das Rennen zu beenden. Alex Lowes liegt beispielsweise immer noch auf dem vierten Zwischenrang und nun darf er sich in den letzten beiden Rennen des Wochenendes keine Fehler mehr erlauben. Dasselbe gilt für Alvaro Bautista und die restlichen Crash-Piloten. Das Motto heisst definitiv: Stürzen verboten.

Garrett Gerloff (GRT Yamaha) vor Tom Sykes (BMW) – die beiden verspielten eine Top-Platzierung mit ihren Stürzen in der Superpole, weshalb sie von ganz hinten starten mussten und trotzdem noch sehr weit nach vorne fuhren. Die beiden muss man vor allem im letzten Rennen mit auf der Rechnung haben, sofern sie die Superpole crash-frei überstehen.

Das Resultat des ersten Rennens in Assen

Stand in der WorldSBK Weltmeisterschaft nach dem 1. Rennen in Assen

P, Rider, Points
1 REA 206
2 RAZGATLIOGLU 199
3 REDDING 137
4 LOWES 114
5 GERLOFF 103
6 SYKES 98
7 RINALDI 94
8 VAN DER MARK 94
9 DAVIES 71
10 LOCATELLI 62
11 BAUTISTA 57
12 BASSANI 53
13 HASLAM 49
14 MAHIAS 36

Der TT Circuit von Assen

In schwarzer Schrift die Unterteilung der vier Sektoren. Der Kurs hat 12 Rechts- und 6 Linkskurven und ist 4,542 km lang, mit einer nur 300 m langen Start-Ziel-Gerade.

Der Zeitplan der WorldSBK Runde in Assen

>WSBK Assen Vorschau siehe separaten Bericht auf dieser Seite.

Wo nicht anders erwähnt gilt bei allen Bildern (© WorldSBK).