Andrea Locatelli (Bardahl Evan Bros Yamaha) – der ehemalige Moto2 Pilot dominierte die Supersport 600 WM-Saison 2020 wie vorher noch nie ein Fahrer. Im Team des amtierenden Weltmeisters fuhr er in vielen Rennen schon früh auf und davon und ward von den meisten Gegnern erst im Ziel wieder gesehen (© WorldSBK).

Ein Rück- und Ausblick zur Nr. 55 – Andrea Locatelli

Wir gehen nicht davon aus, dass er mit seinem Namensvetter verwandt ist, der seiner Nachwelt selbst nach seinem Tod am 19. Feburar 1741 und darüber hinaus in Erinnerung geblieben ist. Besagter starb als bekannter Maler in Rom. Von dem jungen Mann aus Alzano Lombardo, nordöstlich von Bergamo in Norditalien ist hingegen wenig über seine Malkünste bekannt. Als italienischer Moto3 Champion von 2013 fuhr er im selben Jahr die beiden Grand Prix in seinem Land mit einer Wildcard. Es folgten drei GP-Jahre in der Moto3, mit als Höhepunkt einem Podium auf dem Sachsenring am 17. Juli 2016. Im Jahr darauf wechselte er in die Moto2. Ähnlich wie Sandro Cortese schaffte er dort in den Saisons 2017 bis 2019 jedoch nie richtig den Durchbruch und wechselte zwei Jahre nach dem „Italo-Schwaben“ in die Supersport 600 WM.

Werke von Andrea Locatelli, dem am 19. Dezember 1695 in Rom geborenen Maler, der berühmteste Namensvetter des seit 2020 ebenfalls unsterblich gewordenen Rennfahrers aus dem Norden des Landes mit der Form eines Stiefels und dazu einiger Inseln. Durch die Corona-Pandemie hatte Italien übrigens einen Rückgang des Tourismus auf das Niveau von 1969. In diesem Jahr fischten einige Verbrecher vor den Küsten Elbas noch mit Dynamit, was deren Nachkommen später bitter bezahlten sollten.

Seine Saison 2020: Er siegte, siegte und siegte

Der im Vorjahr am 16. Oktober erst 24 gewordene Mann aus der Lombardei war bereits in den Wintertests beinahe beängstigend schnell gewesen. Beim Saisonauftakt in Phillip Island standen wir in Kurve 4, dem sogenannten Honda Corner, als die Fahrer der WorldSSP 600 zum ersten Mal nach dem Ausgehen der Ampeln dort ankamen. Der amtierende Weltmeister tauchte bei uns gar nicht erst auf. Locatellis Vorgänger bei Bardahl Evan Bros Yamaha war bereits in der ersten Kurve abgeflogen, nachdem er zu weit nach aussen geraten war. Der Favorit führte bereits und nach nur vier Runden hatte Andrea bereits fast 2 Sekunden Vorsprung auf seinen nächsten Verfolger Raffaele de Rosa (MV Agusta). Zwischendurch lag der italienische Leader mit über 6 Sekunden Vorsprung auf seinen Landsmann an der Spitze. Am Ende gewann er souverän und alle fragten sich bereits, wer diesen Teufelskerl bloss schlagen sollte.

Unsere Aufnahme vom 1. März im Honda Corner von Phillip Island in der ersten Runde mit Andrea Locatelli (Yamaha) vor Lucas Mahias (Kawasaki), Jules Cluzel (Yamaha) und dem wenig später gestürzten Phillipp Öttl (Kawasaki).

Wenig Spannung auch nach dem Saisonauftakt beim Kampf um den Sieg
Viele langjährigen Beobachter der Szene fühlten sich an einige Jahre der WorldSBK erinnert, als Jonathan Rea teils eine fast beängstigende Dominanz an den Tag legte. Aufgrund der Corona-Pandemie kam es zu einer sehr speziellen Saison mit einem verkürzten Kalender. Dies sorgte jedoch bei den WSSP 600 Rennen sogar für mehr Läufe, als bisher je in deren Geschichte erlebt. Weil anfänglich nicht sicher war, ob wirklich alle Events würden stattfinden können, gab es in der Supersport-WM zum ersten Mal zwei Rennen pro Wochenende. Bravo an die FIM und Dorna in diesem Fall, auch weil sie dies für kommende Saison beibehalten werden! Für den pfeilschnellen Italiener spielte dies alles gar keine Rolle. Locatelli gewann die ersten 8 Rennen in Europa absolut ungefährdet.

Andrea Locatelli (Bardahl Evan Bros Yamaha) beim 2. Rennen in Jerez de la Frontera – dem ersten von 4 Doppelsiegen in Folge des Dominators der Saison 2020 (© WorldSBK).

Andrea Locatelli – der absolute Überflieger
Für seine Führung mit dem Punktemaximum nach dem Doppelrennen von Aragon gab es kaum einen Vergleich. Der junge Mann aus Alzano Lombardo hatte sich nie auch nur die geringste Blösse gegeben. Nie zuvor hatte einer seiner Vorgänger als Supersport Weltmeister auch nur annähernd derart dominiert wie Andrea. Dazu hatte sein Landsmann de Rosa mit einem Sturz in Aragon auch noch Jules Cluzel mit ins Aus genommen. Damit war der nächste Verfolger Locatellis für mehrere Runden kampfunfähig. Dadurch war die WM bereits ab Barcelona entschieden und Yamaha entschied sich, ihn direkt auf die nächste Saison ins Werksteam zu befördern. Durch Michael van der Marks Weggang zu BMW war dort ein Platz frei geworden.

Randy Krummenacher in der als Doohan-Marquez Schicksalskurve bekannten 3. Ecke von Jerez von uns im Juni 2019 fotografiert. Der Vorgänger von Andrea Locatelli warf seine Chance auf eine Titelverteidigung bereits nach dem Saisonauftakt hin, bei welchem er in Australien in Kurve 1 mit seiner MV Agusta gestürzt war. Kaum jemand glaubt jedoch, dass Krummi 2020 auch nur den Hauch einer Chance gegen den schnellen Italiener gehabt hätte. Dies zu widerlegen hatte der Schweizer jedenfalls selbst versemmelt.

Die Frage der Platzverteilung bei Yamaha

Nach der Bekanntgabe durch Yamaha, dass sie den Italiener und nicht seinen Markenkollegen Garrett Gerloff ins Werksteam beförderten, gab es in der „Regenbogenpresse“ einige Diskussionen. Aber aus Sicht des Texaners war dies sinnlos, weil er kein Problem damit hat, eine weitere Saison im GRT Yamaha Junior Team zu bleiben. Ähnlich wie bei Ducati und der Frage, ob Johann Zarco oder Pecco Bagnais an der Seite von Jack Miller ins MotoGP Werksteam verfrachtet wird, zählen unter dem Strich nur die Resultate. Und solange ein Fahrer für Yamaha gewinnt, ist es für sie auch völlig egal, ob im A- oder B-Team.

Andrea Locatelli bei der Zieldurchfahrt auf dem Circuito de Cataluña bei Barcelona – Campione del Mondo, wie es in Italien heisst, in der Supersport 600 WM. Nach Krummi bereits der 2. Titel für Bardahl Evan Bros Yamaha in Folge (© WorldSBK).

Endstand der Supersport 600 Fahrer-WM 2020

Die WM-Chancen von Locatelli für die kommende Saison

Im Prinzip hat der Norditaliener absolut das Zeug dazu, nach der mittleren Klasse auch die Szene in der WorldSBK aufzumischen. Bereits bei den ersten Testfahrten überzeugte er mit erstaunlich guten Zeiten auf der Yamaha R1. Die Zeichen stehen damit so weit absolut gut für einen erfolgreichen Einstand. Aber gegen Fahrer wie Rea, Toprak, Sykes und Konsorten anzutreten, das ist eine komplett andere Liga. Die Frage ist dabei auch, ob Yamaha auf einigen Strecken Mühe haben könnte, auf welchen die gegnerischen Hersteller womöglich stärker sein werden. Die Antwort darauf werden wir nicht etwa bei den Testfahrten sehen, sondern wie die Vergangenheit oft zeigte, erst kurz nachdem die Startampeln ausgehen werden. Ein WM-Rang zwischen 5 und 8 dürfte bei Andrea als Erfolg gewertet werden. Für weiter nach vorne vermuten wir, ist die Luft für ihn zu dünn.

Andrea Locatelli (Bardahl Evan Bros Yamaha) und sein bisher folgenreichster Fehler in der seriennahen Weltmeisterschaft, als er bereits in der Warm-Up Lap stürzte, musste der Italiener auf den Start im zweiten Rennen von Frankreich verzichten (© WorldSBK).

Provisorischer Kalender für 2021

Eigentlich wollte der WSBK-Verantwortliche der Dorna, Gregorio Lavilla mit drei für die Superbike WM neuen Strecken überraschen (mehr über seine Karriere als Fahrer siehe in unserer History). Dessen sehr spät veröffentlichter provisorischer Kalender enthielt jedoch nur eine und zum Leidwesen vieler Deutschen Fans fehlt darin Oschersleben. Genau deshalb barg der Kalender auch so viele Überraschungen, vor allem den indonesischen Ort auf der Insel Lombok und Donington ohne WorldSSP. Während Red Bull Media fälschlicherweise bis kurz vor Veröffentlichung über deren Seite speedweek von einem angeblichen Start in Jerez berichtete, soll dieser Termin nun erst im September stattfinden. Saisonstart im April in Assen tönt jedenfalls gut. Aber viele befürchten, das Event fällt ohne Bewilligung für Zuschauer am Ende flach. Derzeit muss daher noch mit einigen Modifikationen gerechnet werden.

Der Vertrag mit Phillip Island steht noch nicht, genauso wie der Termin dafür, für welchen es fast nur die beiden von uns genannten Daten als vernünftige Möglichkeit gibt. Zumindest gilt dies für den Fall, dass auch wirklich der noch im Bau befindliche Mandalika Circuit bis im Herbst fertiggestellt und homologiert ist. Dazu müssen außerdem die Leute wieder reisen dürfen und es müsste ohne Einreisebeschränkungen gehen, was derzeit aufgrund Corona aber alles andere als sicher ist.