Der Haupteingang von Misano, 25 Minuten vor dem Start des Superpole Rennens am Sonntagmorgen – das Paradebeispiel dafür, wie unwichtig unprivilegierte Besucher dem Veranstalter und der Dorna mittlerweile sind. Weil sie mit den VIP-Gästen wesentlich höhere Profite als mit den Normalsterblichen Gästen einfahren können, kümmern sie sich in erster Linie um das Wohlergehen weniger Privilegierter. und sparen sogar beim Personal der beiden einzigen Eingänge, was unerträglich lange Wartezeiten mit sich brachte.

Toprak demütigte Ducati bei deren Heimrennen

Von den in Summe über das ganze Wochenende erscheinenden 75.688 Besuchern (davor waren es in Barcelona 34.703 und in Assen 56.734) dürften die deutliche Mehrzahl sogenannte Tifosi gewesen sein. Mehrheitlich dabei wohl auch die Gruppe der Ducatisti, welche auf die Erfolge ihrer Lokalmatadoren Bulega, Petrucci, Rinaldi und Iannone hofften, oder zumindest vom amtierenden Weltmeister Alvaro Bautista auf seiner roten Maschine aus Borgo Panigale, einem Vorort von Bologna. Am Ende war das leuchtendste Rot jedoch dasjenige der zahlreichen Flaggen türkischer Fans von Toprak Razgaglioglu, welcher den Ducati Stars die wohl empfindlichste Niederlage der ganzen Saison zufügte. Viele sind sich absolut sicher, dass der BMW Neuzugang auch auf der Honda CBR-1000RR-R an diesem denkwürdigen Tag nahe der Adriaküste gewonnen hätte. Die hervorragenden Resultate von Iker Lecuona auf seiner japanischen Maschine und gleichzeitig die bescheidenen Erfolge von Topraks Markenkollegen van der Mark, Redding und Gerloff bestätigten diese Einschätzung. Wenn auch vor allem letzterer in Misano eines seiner schwärzesten und vor allem glücklosesten Wochenenden erleben musste, nachdem in teils höchst aussichtsreicher Position vom Pech verfolgt.

Eurosport Experte und Co-Kommentator Shane „Shakey“ Byrne von uns neben dem Eingang des Frauenzelts am Misano-Wochenende fotografiert. Der Londoner ist als zweifacher ehemaliger WSBK Sieger und sogar vierfacher British Superbike (BSB) Champion stets ein gefragter Mann vor dem Mikrofon.

Erstes Rennen der 4. WorldSBK Runde in Misano

Eigentlich war die Ankündigung vom stets bescheiden auftretenden BMW Neuzugang Razgatlioglu eher untypisch. Als er vor dem Wochenende auf dem nach dem 2011 bei seinem tragischen Unfall in Sepang im MotoGP Grand Prix verstorbenen Marco Simoncelli benannten Misano Circuit Sic58 gleich das Triple mit drei Siegen als Zielsetzung nannte, runzelten wohl einige die Stirn. Ausgerechnet auf dem Heimkurs von Ducati (nach dem Wegfall von Imola seit der Covid-19-Pandemie) wirkte diese Aussage wahrhaft dreist, aber am ersten Renntag schaffte der Türke effektiv, hierfür den Grundstein zu legen. Vor den Augen unzähliger Ducatisti war insbesondere die Art seines Sieges mehr als nur beeindruckend. Obwohl seine Maschine bestimmt gegenüber der Panigale V4R ein Leistungsdefizit von 5 bis 10 PS haben dürfte und die Roten auf dieser Strecke so oft testen, wie sonst nirgends, konnte Toprak auf seiner BMW M-1000RR eine Pace hinlegen, an welcher sämtliche Gegner verzweifelten. Allen voran galt dies auch für Rookie und Überraschungsmann Nicolo Bulega, welcher seinen Aruba.it Werksteamkollegen Bautista offensichtlich erneut locker im Griff hatte. Dieser verlor durch Rang 3 sogar seine WM-Führung, wobei es für den Spanier am Folgetag noch schlimmer kommen sollte.

Kurz nach dem Start führte Remy Gardner (GYTR GRT Yamaha WorldSBK Team) noch vor BMW Ass Toprak, aber der Australier fiel danach noch bis auf P6 zurück. Im folgenden Rennen konnte ihn nur viel Pech an einem Topresultat hindern, aber den Sohn von 500 cm³ Weltmeister Wayne muss man seit seinem ersten Podium in Assen auf dem Radar behalten. Nur der vom Werk unterstützte GoEleven Ducati Privatpilot Anrea Iannone ist in der Weltmeisterschaft auf dem sechsten Zwischenrang direkt vor ihm platziert.
Razgatlioglus BMW Werks-Teamkollege „Magic“ Michael van der Mark, von uns nach dem ersten Rennen am Samstag im Parc fermé fotografiert. Der Niederländer hatte sich von Startplatz 16 noch bis auf Rang 8 vorgearbeitet, was nebst der Ausnahmeleistung von Toprak die Mannschaftsleistung perfekt abrundete.

Im Schatten des Podiums – zahlreiche Pechvögel mit schwarzem Samstag

Allen voran ist hierbei Pata Yamaha Neuzugang Jonathan Rea zu nennen. Der 6-fache Rekordweltmeister scheint alles Pech der ersten Runden wahrhaft für sich gepachtet zu haben. Kaum nachdem er in Assen mit seinem ersten Aufwärtstrend nach einem katastrophalen Saisonbeginn einen Aufwärtstrend mit Top fünf Resultaten zeigen konnte, ging zuerst in der Superpole alles schief und im ersten Lauf am Samstag folgte in Kurve 13 ein Highspeed-Crash mit mehrfachem Überschlag im Kiesbett und heftigen Prellungen. Wie für Xavi Vierge (Honda) in Kurve 4, war dies bereits in der ersten Runde passiert. Dominique Aegerter musste seine Yamaha R1 vor zahlreichen Schweizer Landsleuten beobachtet, nach 18 Minuten abstellen und Sam Lowes (ELF Marc VDS Racing Team Ducati Panigale V4R) beendete wie zu oft wenig später sein Rennen mit einem Abflug ins Kiesbett. Dasselbe Schicksal ereilte kurz vor Schluss auch Tito Rabat vom Kawasaki Puccetti Racing Team, der vom hervorragenden zehnten Startplatz ins Rennen gegangen war. Während Rea nach seinem Sturz ins Medical Center musste und am Folgetag mit angeschlagenen Händen teilnehmen sollte, blieben die anderen gestürzten glücklicherweise unverletzt.

Start zum ersten WorldSSP Rennen von uns aufgenommen – mit vorne im Bild Yari Montella vor Adrian Huertas (beide Ducati) und dem im Rennen chancenlosen Stefano Manzi (Pata Ten Kate Yamaha). Trotzdem Dorna und FIM stets beteuern, für ein ausgeglichenes Reglement in dieser Kategorie zu sorgen, liegt auch hier verdächtig oft eine oder gar mehrere Ducati meist völlig unangefochten in Front. Im Vorjahr hatte Bulega beinahe nach belieben gewonnen, genauso wie Ducati Aushängeschild Bautista in der WorldSBK.
Die Büros der FIM von uns im Paddock fotografiert – nicht wenige Teammitglieder nennen es das „Bullshit-Village“, weil die selbstherrlich auftretenden Kommissare der obersten Motorsportbehörde viel zu oft mit Fehlentscheidungen verärgern. Die auch in der MotoGP häufig ungeschickt und aus Sicht vieler Betroffenen auch höchst unfair agierenden Funktionäre stehen in der Beliebtheits-Skala deshalb sehr weit unten.

Das Tissot Sprintrennen mit Topraks zweitem Streich

Wie viel der Fahrer ausmachen kann, wenn er über ein herausragendes Talent und unbändigen Sieges-Willen verfügt, zeigte der Türke auch am Sonntagmorgen erneut. Auch wenn Ducati Hoffnung Bulega anfänglich wie ein Besessener loslegte, liess sich Razgatlioglu davon nicht beeindrucken und auf seiner BMW M-1000RR zeigte er dem Lokalmatadoren bereits ab der vierten von 10 Runden das Hinterrad. Aber nicht nur das, sondern Toprak setzte sich kontinuierlich von seinem Verfolger ab und gewann absolut ungefährdet auch das zweite Rennen des Wochenendes am Sonntagmorgen. Bautista hingegen leistete sich nach dem Auftaktrennen von Australien in Runde 5 den zweiten Rennsturz, womit er wichtige Punkte verlor, welche er im Kampf um um seine Titelverteidigung dringend benötigen würde. Der Spanier konnte das Rennen danach fortsetzen, aber mehr als P17 sprang dabei nicht mehr heraus. Auch Sam Lowes hatte seinen zweiten Wochenend-Crash bereits vier Runden davor. Remy Gardner und Garrett Gerloff (Bonovo Action BMW) beendeten ihr Rennen unfreiwillig in derselben Kurve 10 wie Bautista, nachdem der vor ihnen liegende Iannone einen Schlenker hingelegt hatte, wodurch die beiden Pechvögel kollidierten. Kawasaki Werkspilot Alex Lowes holte sich mit P3 einen weiteren Podiumsrang in dieser Saison und gehört damit immer noch zu

Jonathan Rea (hier hinter Iannone, der im Sprint fünfter wurde) biss trotz lädierten Händen auf die Zähne und schaffte es vor Danilo „Petrux“ Petrucci auf Rang acht, hinter einem hervorragend fahrenden Lecuona auf der immer stärkeren Honda CBR-1000RR-R. Der Italiener in Gelb mit der Nummer 29 muss sich laut Ducati Chefstratege „Gigi“ dall’Igna übrigens steigern, wenn er als eventueller Nachfolger von Bautista ins Werksteam der Roten aufsteigen will.
Zehnter im Tissot-Sprintrace und damit Punktelos blieb Pechvogel Domi Aegerter, hier von uns beim Posieren für einen Selfie-Jäger im Paddock fotografiert. Wenig später sollte den Schweizer weiteres Ungemach plagen, womit er erstmals in seiner WSBK-Karriere eine Nullrunde hinnehmen musste.

Das zweite WSBK Rennen am Sonntag besiegelte die Ducati Schmach

Hätte Toprak einfach knapp vor einem der Roten gewonnen, wäre die dritte Niederlage an diesem für Ducati schon beinahe blamablen Wochenende noch halbwegs erträglich gewesen. Aber der entfesselte Türke legte noch einen drauf und er zerstörte seine Verfolger Bulega und Bautista förmlich, als er seinen Vorsprung auf sie im Lauf des letzten Rennens derart deutlich distanzierte, dass er sich sogar einen seiner berühmten „Stoppies“ leisten konnte, als er die Ziellinie überquerte. Die restliche Ducati Konkurrenz bis auf Toprak blieb wie erwartet deutlich hinter dem Aruba.it Duo zurück, aber der Mann zuoberst auf dem Podium zerstörte die Hoffnung auf ein Ducati Festival, womit vor diesem Wochenende kaum jemand gerechnet hatte. Best of the Rest blieb ein weiteres Mal Kawasaki Aushängeschild Alex Lowes mit P4 vor Locatelli auf der besten Yamaha und Petrucci mit P6 als bestem Privatpilot, natürlich auf Ducati. Gleich dahinter Kawasaki Neuzugang Axel Bassani, der bei den Grünen sein bisher bestes Saisonergebnis feiern durfte. Die Top Ten wurden von Gardner, Lecuona und Altmeister Rea komplettiert, während Aegerter und BMW Werkspilot van der Mark mit technischen Problemen ausfielen. Rinaldi, Pirro (beide Ducati) und Norrodin (Honda) stürzten genauso wie Pechvogel Gerloff (BMW) zusammen mit Vierge (Honda).

Die Nummer 54 dominierte an diesem Wochenende trotz schwierigster Voraussetzungen und setzte dem erfolgsverwöhnten Aruba.it Ducati Werksteam in deren Heimrennen eine schmerzhafte Niederlage zu. Für Donington und Most ist in den nächsten beiden Runden erst recht mit Toprak zu rechnen, weil besonders auf diesen beiden Kursen die Bevorzugung von Ducati weit weniger zur Geltung kommt, wie in den ersten vier Runden.
Rekordweltmeister Jonathan Rea von uns nach seinem mit unerträglichen Schmerzen beendeten Rennen am Sonntagnachmittag fotografiert. Der Nord-Ire muss seine erste Saison bei den Blauen als Eingewöhnungs-Jahr auf der Yamaha R1 akzeptieren, ohne dabei ernsthaft an den Titelkampf zu denken.

Das Fazit nach dem ersten Saisondrittel

Es ist definitiv dem Ausnahmekönner Toprak zu verdanken, dass nicht zum dritten Mal in Folge der Kampf um die Weltmeisterschaft ausbleibt, weil Ducati nach wie vor von der FIM eindeutig bevorteilt wird. War in den vorherigen beiden Jahren Bautista viel zu oft ohne ernsthaft gefordert zu werden, siegreich geblieben ohne an seine Grenzen gehen zu müssen, hat er nun vor allem auch Konkurrenz im eigenen Lager. Aber Mann der ersten 4 Runden ist trotz überragenden Leistungen von Rookie Bulega eindeutig Razgatlioglu auf der BMW M-1000RR. Während bei Kawasaki und BMW die Plätze in den Werksteams auch für das kommende Jahr unverändert bleiben, gibt es noch viele offenen Fragen bezüglich der Fahrerbesetzung. Eine Hiobsbotschaft diesbezüglich, ist der bereits erwartete Rückzug von Bonovo Action BMW, die eine sehr schmerzhafte Lücke im Paddock aufreisst, was die möglichen Plätze für kommende Saison betrifft. Zuerst liegt der Fokus aber nun auf dem aktuellen Jahr, welches eine neue Planungspanne seitens Dorna und FIM zu verzeichnen hat. Wie früh anzunehmen war, fiel erneut eine Runde in Ungarn flach, was schon früh nach Bekanntgabe des Kalenders geahnt wurde. Zum zweiten Mal übrigens am Balaton See erwiesen sich die Partner aus dem Mafia-geplagten Land östlich von Österreich als absolut vertrauensunwürdig und Estoril springt in die Lücke, aber erst eine Woche vor dem Saisonschluss in Jerez und nicht bereits im August.

Marcel Schrötter (MV Agusta) holte in der WorldSSP trotz bescheidenem zwölften Startplatz zweimal Rang 6, womit der Bayer seine Chancen in der Weltmeisterschaft auf dem vierten Zwischenrang noch nicht vorzeitig abschreiben muss. Für Donington oder spätestens Most wäre ein Sieg dabei sehr hilfreich, um mit aktuell erst 32 Punkten Rückstand auf Leader Huertas (Aruba.it Ducati) den Anschluss nicht zu verlieren.
Unsere Panorama-Aufnahme der Boxenanlage kurz vor dem zweiten Lauf der WSBK am Sonntag. Hier sieht man auf einen Blick, wie viel wichtiger den Veranstaltern und der Dorna die VIP-Gäste sind. Im rechten Teil die überdachten Plätze für die gutbetuchten Besucher, welche sich Ticketpreise von mehreren Hundert Euro pro Person leisten können. Dafür gibt es, wie von uns auch schon oft erlebt, Gratisgetränke und Verpflegung genauso wie privilegierte Zugänge allenorts, ohne jemals anstehen zu müssen.

Wo nicht anders erwähnt gilt bei allen Bildern (© WorldSBK).