Dominique Aegerter (Ten Kate Yamaha R6) ist der Mann der ersten Saisonhälfte und im Gegensatz zu seinem Landsmann Randy Krummenacher befindet er sich auch auf Kurs, was seine Zielsetzung für sein erstes SSP 600 Jahr betrifft.

Die beiden Laufsieger und Leader – Aegerter und Odendaal

Der „Domi Fighter“: Vor Saisonbeginn gab uns der aktuelle WM-Leader ein Interview, zu finden auf dieser Seite „Interviews+TV“. Dabei wurde klar, dass er als einziger im Paddock mit einer Doppelbelastung klarkommen muss, welcher keiner seiner Konkurrenten ausgesetzt ist. Dominique Aegerter macht diese Saison als WorldSSP 600 Rookie nämlich den Spagat, gleichzeitig auch in der MotoE anzutreten. Diese Bikes wiegen 260 kg ohne Fahrer und damit über 100 mehr als ein MotoGP Motorrad und natürlich ist auch die Ten Kate Yamaha R6 des Schweizers um Welten leichter. Es ist beinahe unglaublich, wie gut es dem erfahrenen Mann aus Rohrbach im Kanton Bern gelingt, diese Umstellung auf geradezu sensationell starke Weise zu bewältigen. In der MotoE liegt er auf WM-Rang 4 und hat noch Titelchancen. Bei der Supersport Weltmeisterschaft ist er aktuell der Mann, den es nach 6 Siegen in 10 Rennen zu schlagen gilt. Sein einziges Problem könnte am Ende sein, sich mit seinen beiden Teams womöglich zwischen den beiden Serien im Finale entscheiden zu müssen.

Steven Odendaal: Als Südafrikaner hat der junge Mann ein Handicap, das er mit seinen Landsleuten Brad und Darryn Binder teilt. Fernab deren Heimat, in welcher schon seit vielen Jahren keine WM-Läufe ausgetragen werden, müssen sie sich in einer auf Europa fixierten Welt bewegen. Durch die Pandemie ist es im zweiten Corona-Jahr gar so, dass seit 2020 fast nur noch auf dem alten Kontinent gefahren wird. Im Team des amtierenden Weltmeisters, sowie desjenigen von 2019 gehört der schnelle Mann aus Johannesburg diese Saison mit zu den Topfavoriten. Im Vorjahr wurde er nach seinem Wechsel aus der Moto2 sofort zum Spitzenfahrer und verpasste dreimal nur um einen Platz. Dies holte Steven jedoch im besten Team der letzten Jahre der WSSP 600 sofort nach und gewann gleich die ersten drei Rennen. Mit zwei weiteren Podestplätzen ist er aktuell der härteste Kontrahent von Aegerter um den Titel. Diese Leistung hätten ihm die wenigsten vor Saisonbeginn zugetraut, er selbst hingegen durchaus.

Steven Odendaal (Bardahl Evan Bros Yamaha) vor Markenkollege Manuel Gonzalez und Philipp Öttl (Kawasaki Puccetti Racing) – der Südafrikaner rechtfertigte seine Nomination beim Weltmeistertitel vollauf, musste jedoch im Gegensaz zu Aegerter zwei Rückschläge einstecken. In Estoril war dies in Lauf 2 durch ein technisches Problem und im zweiten Rennen von Assen selbstverschuldet durch einen Crash.

Die weiteren Spitzenfahrer der ersten Saisonhälfte

Der WM-Dritte des Vorjahres hatte sich natürlich eine Steigerung für diese Saison erhofft. Aber vergleicht man Philipp Öttls Zeit in der WorldSSP 600 mit den Jahren davor in Moto3 und Moto3, sind seine Leistungen trotzdem er immer noch auf den ersten Sieg wartet, absolut hervorragend. Mit Ausnahme seines Crashs im zweiten Lauf von Aragon glänzt der Deutsche wie im Vorjahr durch seine Beständigkeit und er war dabei nie schlechter als auf Rang 6 platziert. Auch wenn es für den Titel nicht reichen sollte, steht jetzt bereits fest, dass er zur absoluten Weltspitze gehört und ein Versprechen für die Zukunft ist. Dasselbe gilt für Manuel Gonzalez, den WM-Siebten von 2020, als er nie schlechter als in den Top Ten abschnitt. In Most schaffte es der schnelle Spanier aus der iberischen Hauptstadt Madrid. In Tschechien stand er die ersten zweimal auf dem Podium der WSSP600 und sein Hunger, dies alsbald zu wiederholen oder gar ganz oben auf dem Podest zu stehen, war ihm nach dem zweiten Rennen anzusehen.

Manuel Gonzalez (Yamaha ParkinGo Team, Yamaha R6) ist zusammen mit Odendaal und Öttl eines der größten Versprechen für die Zukunft und mit dem jungen Mann aus Bayern kämpft er derzeit auf Tuchfühlung um den dritten Zwischenrang in der WM.

Jules Cluzel – der ewige Pechvogel auf Frankreich: Selbst Fans von Sandro Cortese, dem Überraschungsweltmeister von 2018 müssen zugeben, dass der Mann aus Montluçon den Titel vor drei Jahren genauso verdient hätte, wie der „Italo-Schwabe“. Dieser hatte den schnellen Franzosen nämlich gegen Saisonende mit einem Sturz abgeräumt, konnte danach aber weiterfahren, während Cluzel mit demolierter Yamaha die Chance dazu nicht hatte. Genau die in Portimão dabei verlorenen Punkte fehlten ihm am Ende dann für den Titel, welchen er mit 3 Saisonsiegen gegenüber 2 des Deutschen ebenso verdient gehabt hätte. In Aragon wurde er in Führung liegend von Niki Tuuli abgeschossen worden und in Most war es Kevin Manfredi, der ihn aus dem Sattel holte. Im Vorjahr war er in Aragon das Opfer von Raffaele de Rosa und musste danach mit einem Beinbruch pausieren. Eigentlich hätte er den Titel deshalb am meisten von allen Fahrern verdient, aber das Leben und der Sport sind oft alles andere als gerecht.

Jules Cluzel in Aragon mit Niki Tuuli am Boden, welcher den Franzosen davor touchiert und zu Sturz gebracht hatte.

Luca Bernardi: Der junge Mann aus San Marino wird eine Woche nach dem Navarro Event erst 20 Jahre alt. Wie Manuel Gonzalez kommt er aus der WorldSSP 300 und genauso wie dieser schaffte er im zweiten Corona Jahr seine ersten Podestplätze. Bernardi wurde im Vorjahr italienischer Supersportmeister und ist aktuell wie der Spanier eines der größten Talente, die den Schritt aus der Nachwuchsklasse in die mittlere Kategorie schafften. Christoffer Bergmann war ebenfalls einer der Fahrer, welche in den ersten beiden Runden zu überzeugen vermochte. Der bereits 31-jährige musste jedoch einer Verletzung Tribut zollen, die ihn nach Assen auch für Most am Start hinderte. Aber in Navarra soll der für das Wojcik Racing Team antretende Schwede wieder mit dabei sein und ihn muss man definitiv ab dann wieder auf der Rechnung haben.

Zu Besuch in der CM Racing Box von Luca Bernardi – der junge Mann aus dem Zwergstaat San Marino nahe Misano gehört zu den ganz grossen Hoffnungen für die Zukunft. Auf dem fünften Zwischenrang liegt er derzeit sogar vor dem notorischen Pechvogel Jules Cluzel.

Die positiven Überraschungen

Die Webseite von Kevin Manfredi ziert ein Zitat seines berühmten Landsmannes Marco Lucchinelli:
„Das Schöne ist die Platzierung, das Ergebnis. Der Pokal nicht, dieser langweilt dich auch, du musst ihn reinigen. Du hast das Ergebnis drin.“ Er erinnert ein wenig an einen Helden aus dem Film „Herr der Ringe“, aber durchaus im Positiven Sinn und an Mut fehlt es dem kleingewachsenen Mann aus Sarzana (bei La Spezia, nahe der ligurischen Küste) mit dem Vollbart bestimmt nicht. In Most stand er in der Startaufstellung immerhin zwei Plätze vor dem Weltmeister von 2019, Randy Krummenacher. Er und die beiden deutschen Wildcard Piloten Max Enderlein und Luca Grünwald, welche in Most sogar WM-Punkte holten, zählen zu den eindeutig positiven Überraschungen dieser Saison. Daran ändert auch nichts, dass Manfredi leider am Sturz von Jules Cluzel im zweiten Lauf von Tschechien die Hauptschuld trug. Für Enderlein und Grünwald ist zu hoffen, dass sich für die beiden in naher Zukunft eine Türe öffnet, um in der Weltmeisterschaft mitfighten zu können.

Kevin Manfredi (Altogo Racing Team) hat alles andere als die Idealmasse eines Rennfahrers, abgesehen von seiner eher kompakten Statur. Aber mit viel Mut und Risikobereitschaft macht er sein unbestritten vorhandenes Übergewicht in der Regel mehr als wett.

Die Flops der ersten Saisonhälfte – mit „Krummi“ an der Spitze

Wir erinnern uns noch gut, welche Zielsetzungen der „Krummenator“ vor Saisonbeginn nannte. Nach seinem völlig unerwarteten Abtauchen nach dem Sturz in der ersten Kurve von Phillip Island sah man ihn im Paddock für den Rest des Jahres nicht mehr. Vor seiner Rückkehr nannte er nichts anderes als einen weiteren Titel als Zielsetzung. Davon blieb er in den ersten Rennen sehr weit entfernt. Nach einem fünften und dritten Platz in Assen kam in Most jedoch wieder ein Rückschlag. Sein Schweizer Landsmann Aegerter hat bereits dreimal so viele Punkte wie er, womit der Traum von einem zweiten Titel zerstört sein dürfte. Sein Nachfolger Niki Tuuli bei MV Agusta gehörte vor Saisonbeginn zu den Mitfavoriten in der WM, aber Stürze und eine dabei erlittene Verletzung sorgten dafür, dass der Finne nur auf P12 im Zwischenklassement liegt. Damit gehört er nebst „Krummi“ und den beiden Kawasaki Piloten Can Alexander Öncü und Michel Fabrizio zu den klaren Verlierern, von welchen man mehr erwarten durfte. Dies gilt auch für den Vize-Weltmeister von 2019, Federico Caricasulo.

Die zerstörte MV Agusta von Randy Krummenacher von uns am 1. März 2020 in Phillip Island (Australien) fotografiert – danach sass der Schweizer nie mehr auf dem italienischen Bike und zog sich aus der WSSP zurück, nicht ohne sein Team dabei unsauberen Machenschaften zu beschwichtigen. Seither gilt er im Paddock als umstrittene Figur, als er erst 2021 wieder zurückkehrte.

Der aktuelle Zwischenstand in der WorldSSP 600

>WSBK Navarra Vorschau siehe separaten Bericht auf dieser Seite.

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