
Ein Rück- und Ausblick zur Nr. 54 – Toprak Razgatlioglu
Seit Kenan Sofuoglu rückte die Türkei spätestens ab 2007 mit Nachdruck auf die Landkarte im Motorrad-Rennsport. Der 5-fache WorldSSP Rekord-Weltmeister ist seit gut zwei Jahren in erster Linie als Manager und Politiker tätig, nachdem ihn eine Hüftverletzung zum Rücktritt gezwungen hatte. Bereits früher nahm er sich einem jungen Landsmann an, welchen er als europäischen Superstock 1000 Vizemeister 2017 auf die folgende Saison in die WorldSBK brachte. Beim zweiten Event holte Razgatlioglu in BuriRam (Thailand) sein erstes Top Ten Resultat. Vier Runden später fuhr er in Donington Park bereits aufs Podest und holte sich Rang 2. In Argentinien folgte mit Platz 3 das nächste Podium.

Die Saison 2019 mit der Bestätigung
Wenig überraschend blieb Toprak ein weiteres Jahr bei der Puccetti Truppe, welche dank Kenan Sofuoglus guten Verbindungen als Sportminister ab nun sogar als Turkish Puccetti Racing Team auftrat. Wer sich deren Auftritt im Paddock betrachtete, konnte sich gut ausrechnen, wie saftig die „Mitgift“ war, welche aus türkischen Staatskassen hierfür geflossen sein musste. Aber Razgatlioglu hätte dies alles aus sportlicher Sicht gar nicht nötig gehabt. Der junge Osmane wurde als zweiter Sohn von Arif Razgatlioglu, einem als „Tek teker Arif“ (die ersten beiden Worte stehen für Wheelie) genannten Stunt-Akrobaten mit den passenden Genen ausgestattet. Zwei Siege, drei zweite Plätze und 8 Mal als Dritter im Ziel, viel eindrücklicher geht es für einen Privatfahrer kaum.

Nach dem endgültigen Durchbruch – der überraschende Wechsel
Manch Schreiberling tippte sich über ihn seit 2019 beinahe die Finger wund, während der junge Türke meist kaum mehr als einige Worte von sich gab. Viele Leser haben keine Ahnung, wie wenig an Berichten über sogenannte Gespräche oder Interviews mit Sportlern oft stimmt. Den Medien-Wichtigtuern geht es in erster Linie um Schlagzeilen und daher wird aus diesem Grund regelmässig kräftig geschummelt. Eine überraschende Nachricht aus dem Umfeld von Toprak jedoch hatte einen vielerorts recht hohen Wahrheitsgehalt. Dabei ging es um seinen Wechsel zu Pata Yamaha und dessen Hintergründe. Kenan Sofuoglus Schützling war als dritter Fahrer an der Seite von Weltmeister Rea und Leon Haslam für die 8 Stunden von Suzuka im Kawasaki Werksteam selektiert worden.

Die fragwürdige Entscheidung bei den 8 Stunden von Suzuka
Im Rennen wurde der junge Türke gar nicht eingesetzt und dies hinterliess eine gewisse und durchaus nachvollziehbare Enttäuschung. Am Speed fehlte es Toprak keinesfalls und er hatte auch gehofft, im Siegerteam eingesetzt zu werden. Letztlich war es die fragwürdige Entscheidung bei den 8 Stunden von Suzuka, welche dazu geführt hatte, dass Sofuoglu sich bei Pata Yamaha um einen Platz für die Saison 2020 seines jungen Stars bemühte. Angebliche Tobsuchtsanfälle von Kenan sind hingegen frei erfunden. Wir waren mehrmals im selben Hotel wie Sofuoglu und Toprak, die beiden waren jeweils die unauffälligsten Gäste im Hotel überhaupt, hätte man sie nicht erkannt. Jedenfalls verlor Kawasaki den wohl talentiertesten Nachwuchsfahrer der WorldSBK auf ungeschickte Weise.

Das erste Jahr für Yamaha – als vermeintlicher Kronfavorit
Trotz seiner sensationellen zweiten Saison bei Kawasaki und viel Lob, selbst von Weltmeister Jonathan Rea hat der Neuzugang bei Pata Yamaha immer noch einige Schwächen. Dies schienen die meisten Journalisten völlig übersehen zu haben, als sie ihn vor Saisonbeginn als künftigen Weltmeister hochstilisierten. Beim zu Red Bull Media gehörenden Portal speedweek war dies mehr als verständlich, gehört Toprak doch zu den Werbeträgern des angeblichen Dosen-Blubber-Wundergetränks. Dort ist jedoch viel zu oft der Wunsch Vater des Gedankens. Niederlagen ihrer Schützlinge (siehe KTM in der MotoGP die ersten 3 Jahre) werden jeweils meisterlich schöngeredet, wofür Red Bull allein jährlich eine schöne Stange Geld ausgibt. Jedenfalls gewann deren vermeintlicher Kronfavorit auf den WM-Titel das Auftaktrennen in Australien und war auch im Superpole Race härtester Gegner von Sieger Rea. Im zweiten Rennen am Sonntag stoppte ihn ein leerer Tank (leider kein Witz) vorzeitig, sonst wäre er als WM-Leader zurückgereist.

Der gute Start in die Europa-Saison
Zuerst lief fast alles nach Wunsch, als es in Jerez infolge der Corona-Pandemie erst anfangs August weiterging. Toprak startete mit zwei dritten Plätze in Andalusien und einem Ausfall mit technischen Problemen im Sprintrennen, in welchem es sowieso nur halbe Punkte gibt. Platz 2 im ersten Rennen auf dem Autodromo do Algarve hinter Weltmeister Rea war ebenfalls tadellos. Genauso im Superpole Race am Sonntagmorgen, mit einer exakten Wiederholung des Resultats vom Samstag. Doch dann kam der erste Crash in einem WM-Lauf in der verkürzten Saison. Trotz seinem Sturz im 2. Rennen schaffte es Razgatlioglu aber noch auf P8 und hielt den Schaden damit in Grenzen.

Die ersten Rückschläge – nicht ganz unerwartet
Dann ging es ins Motorland Aragon, wo das einzige Doppelrennen der Saison angesagt war. Was wir für dort erwartet hatten, da bereits im Vorjahr vor Ort, schien bezüglich Toprak gewisse Schreiberlinge völlig vor den Kopf zu stossen. Manchmal ist es wohl doch von Vorteil, wenn man als Berichterstatter selbst die Reise nach Australien auf sich nimmt, um von dort vor Ort seine Eindrücke zu schildern. Jedenfalls nahm die Red Bull Media Regenbogenpresse nicht als einzige völlig enttäuscht zur Kenntnis, dass der Türke nicht über die Ränge 6, 7 und 8 am ersten Wochenende hinauskam. Weiter ging es wenige Tage später mit einem 5. und zwei 7. Plätzen.

Ein Blick hätte genügt
Beim Studium einiger Ergüsse wie „Tiefpunkt Raztaglioglus mit Yamaha“ konnten wir uns ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ein einziger Blick auf die Resultate im Vorjahr hätten dabei genügt, um zu begreifen: Toprak war 2020 sogar wesentlich besser unterwegs gewesen, als noch im Jahr davor! Und die Schuld am „Versagen“ von Toprak auf Yamaha zu schieben, war natürlich mal wieder völliger Red Bull Shit. Sein Vorgänger Alex Lowes hatte 2019 mit den Rängen 4, 3 und 5 bewiesen, was mit der Yamaha R1 in Aragon möglich ist. Aber wie bei historischen Themen sind manche Schreiberlinge offenbar zu bequem, um sich seriös ein Bild zu machen, bevor sie aus einer Laune heraus oft mit haarsträubenden Schlagzeilen daher kommen. Was Razgatlioglu betrifft, solle es in Barcelona aber noch schlimmer kommen.

Der junge Toprak und seine Kunststücke:
Der Tiefschlag für Razgatlioglu in Katalonien
Toprak war nicht der einzige Pechvogel auf dem Circuito de Cataluña an diesem Wochenende. Nach wenigen Minuten war der Rückkehrer Leandro Mercado vom Team Motocorse Ducati gestürzt und hatte sich dabei Knochenbrüche zugezogen. Bei Toprak fing es im FP1 hervorragend an, als er die Bestzeit vor zwei weiteren Yamaha Piloten markierte. Am Samstag holte er Platz sechs, aber am Sonntagmorgen hatte er einen heftigen Crash im Warm-Up. Die Ärzte erklärten den Yamaha Piloten nach ihrer Untersuchung für nicht fit zum Rennen und er musste auf beide Läufe danach verzichten.

Die Frankreich-Runde bei Regen
Wir hatten eingangs dieses Artikels darauf hingewiesen, dass immer noch einige Schwächen bei Toprak auszumachen sind. Eine davon ist seine relativ hohe Sturzanfälligkeit und die andere seine mangelnde Qualität bei nassen Verhältnissen. Ein gutes Beispiel dafür hatten wir 2019 in Misano erlebt, als wir vor Ort die Rennen beobachteten. Im verregneten ersten Lauf war Razgatlioglu lange nur auf P12 und als er sich versuchte zu verbessern, landete er auf dem Hosenboden. Im trockenen dagegen kämpfte er am Sonntag mit Rea bis zum Fallen der Zielflagge um den Sieg. In Nevers holte er auf der Yamaha am Samstag immerhin Platz 6. Im Superpole Race tags darauf kam er jedoch nicht über P9 hinaus und er wurde auch im 2. Rennen nur neunter.

Razgatlioglus versöhnliches Saisonfinale
Die verrückte Corona-Saison 2020 hatte für den Türken etwas wie die von vielen Filmen bekannten Höhen und Tiefen gezeigt und am Schluss kam sogar wie von Meisterhand inszeniert noch das Happy-End. Während Scott Redding und sogar ausnahmsweise Jonathan Rea bereits im Qualifying strauchelten, gab sich Toprak keine Blöße. Natürlich konnte er im Gegensatz zu den beiden in deren Titelkampf frei und ohne Druck auf Sieg fahren. Aber das wollten die meisten Piloten im Grid und nur einer steht danach jeweils zu oberst auf dem Podest.

Der knappe Kampf um WM-Rang 4 mit „Magic Michael“
Am Samstagnachmittag und nach dem Superpole Rennen war dies Razgatlioglu. Beim letzten Rennen der Saison vermochten ihn nur Chaz Davies und sein scheidender Teamkollege Scottie zu schlagen. Damit war Toprak Gesamtsieger des Estoril Wochenendes und am Ende mit WM-Rang 4 bester Yamaha Pilot der Saison 2020, fünf Punkte vor Mannschafts-Kamerad van der Mark. Da dieser zu BMW wechselte, ist Razgatlioglu nun erst recht der Teamleader bei Pata Yamaha.

Die WorldSBK-Karriere von Toprak in Zahlen

Endstand der Fahrer-WM 2020

Die WM-Chancen von Razgatlioglu für die kommende Saison
Auch wenn er sich in diesem Bereich bereits steigerte, aber der Türke sollte seine Qualitäten als Regenfahrer verbessern. Natürlich kommt dieser Nachteil nur zum tragen, sollte es einige Regenrennen geben. Ein anderer Aspekt ist ganz klar seine Konstanz, an welcher es derzeit noch hapert. Mit seiner Yamaha auf dem Level von Ducati, Honda und der neuen Kawasaki mitzuhalten, ist eine weitere Herkules-Aufgabe. Fahrerisch hat es Toprak laut Johnny Rea absolut drauf, ein kommender Champion zu werden. Doch für kommende Saison besteht erneut die Gefahr, dass die Pata Yamaha Speerspitze nur bei einzelnen Events zu brillieren vermag. Definitiv ist er aber einer der Mitfavoriten im Titelkampf, insbesondere vom reinen Speed her stellte Razgatlioglu dies bereits mehrfach unter Beweis.

Provisorischer Kalender für 2021
Eigentlich wollte der WSBK-Verantwortliche der Dorna, Gregorio Lavilla mit drei für die Superbike WM neuen Strecken überraschen (mehr über seine Karriere als Fahrer siehe in unserer History). Dessen sehr spät veröffentlichter provisorischer Kalender enthielt jedoch nur eine und zum Leidwesen vieler Deutschen Fans fehlt darin Oschersleben. Genau deshalb barg der Kalender auch so viele Überraschungen, vor allem den indonesischen Ort auf der Insel Lombok und Donington ohne WorldSSP. Während Red Bull Media fälschlicherweise bis kurz vor Veröffentlichung über deren Seite speedweek von einem angeblichen Start in Jerez berichtete, soll dieser Termin nun erst im September stattfinden. Saisonstart im April in Assen tönt jedenfalls gut. Aber viele befürchten, das Event fällt ohne Bewilligung für Zuschauer am Ende flach. Derzeit muss daher noch mit einigen Modifikationen gerechnet werden.

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