Blick Richtung Curva Quercia und Haupttribüne, kurz vor dem 1. Lauf der WSBK 2019, der bei strömenden Regen stattfand.

Misano World Circuit Marco Simoncelli

Nahe Rimini und wenige Kilometer von der Adriaküste entfernt, liegt der Circuito di Misano, der nach dem tragischen Unfall von Marco Simoncelli zu seinen Ehren umbenannt wurde. Der Italiener wuchs ganz in der Nähe von Misano in Cattolica auf. Die Rennstrecke bei Misano Adriatico wurde im Jahr 1969 geplant und 1972 als Circuito Santa Monica in Betrieb genommen. Ursprünglich war die Strecke 3,488 km lang und es gab nur eine sehr kleine Boxenanlage. Ab 1980 fanden auf dem Autodromo di Misano Weltmeisterschaftsläufe statt, der erste Sieger in der Königsklasse war Kenny Roberts sen. (USA, Yamaha) vor Franco Uncini (ITA, Suzuki) und Valentino Rossis Vater Graziano auf Suzuki. Zwei Jahre später siegte mit Franco Uncini der erste Italiener an selber Stätte und der Deutsche Toni Mang gewann mit seiner Kawasaki bis 250 cm³. Da es in Italien mit Imola, Monza und Mugello noch 3 weitere Austragungsorte gab, gastierte die WM von 1980 bis 1993 in unregelmässigen Abständen auf dem Autodromo de Santa Monica, wie die Strecke nahe Rimini damals genannt wurde.

Das Drama von 1993

Wayne Rainey auf der 500 cm³ Yamaha – der US-Amerikaner war 3-facher Weltmeister in der Königsklasse.

Der US-Amerikaner Wayne Rainey hätte laut seinem Physiotherapeuten beim GP von 1993 unbedingt pausieren sollen, nachdem er sich bei einem Sturz in Donington 2 Runden davor einen Rückenwirbel angeknackst hatte. Da es um die WM ging, riskierte der bereits 3-fache Weltmeister (1990 bis 1992) den Start trotzdem. In der 10. Runde kam Rainey auf seiner YZR-Yamaha in der heutigen Zielkurve zu Sturz. Turn 1 war damals eine Rechtskurve, es wurde bis 2006 im Gegenuhrzeigersinn gefahren. Aufgrund einer Bodenwelle rutschte er bei mehr als 150 km/h weg, aber der Reifen fand wieder Grip. Der amtierende Weltmeister stürzte unglücklich und das Motorrad traf vermutlich seinen Rücken. Der 6. Brustwirbel brach und das Rückenmark wurde erheblich beschädigt, Wayne Rainey war dadurch von der Brust abwärts gelähmt. Nach diesem Unfall wurde 13 Jahre lang in Misano kein Grand Prix gefahren. Seit der GP-Sport ab 2007 zurückgekehrt ist, wird die Piste in der Gegenrichtung befahren.

Tödlicher Moto2 Unfall von Shoya Tomizawa

Am 5. September 2010 bestritt Shoya Tomizawa die elfte Runde der ersten Moto2-Weltmeisterschaft (nach Ablösung der 250 cm³ Klasse), den San Marino Grand Prix auf dem Misano World Circuit. Er stürzte auf Platz 4 liegend in der Curvone, einer schnellen Rechtskurve. Die hinter ihm fahrenden Scott Redding (GBR) und Alex De Angelis (ITA) konnten nicht ausweichen und überrollten ihn. Dabei erlitt der Japaner nebst einem Schädelbruch und Frakturen am Oberkörper innere Blutungen. Shoya konnte an der Strecke zuerst wiederbelebt werden und wurde danach ins Krankenhaus von Riccione transportiert. Der erst 19-jährige Japaner starb an seinen Verletzungen um 14:20 Uhr Ortszeit im Krankenhaus. Sein Tod wurde am Ende des MotoGP-Rennens bekannt gegeben. Die Podestflaggen wurden auf halbmast abgesenkt und das Podest ohne Champagner gefeiert. Tomizawa war der erste Todesfall bei einem WM-Rennen, seit sein Landsmann Daijiro Kato 2003 in der MotoGP in Suzuka getötet wurde. Tomizawa hatte Katos Startnummer 74 als Hommage an ihn an seiner linken Schulter. Er hatte in seiner Karriere einen GP-Sieg im selben Jahr in Losail/Qatar erreicht, sowie einen 2. Platz in Jerez. Er gehörte mit 4 weiteren Top Ten Platzierungen vor seinem tragischen Tod in Misano zu den Titelanwärtern und zur absoluten Weltspitze.
Fragen zur Bergung im Anschluss
Nach dem Unfall wurden Fragen zur Behandlung von Tomizawa laut. Sowohl er als auch Redding wurden offenbar zu hastig von der Szene entfernt und die Tragbahre mit Tomizawa soll dabei sogar zu Boden gefallen sein, bevor er in den Krankenwagen geborgen wurde. Eurosport-Kommentator Alex Hofmann berichtete ursprünglich im deutschen Kanal, dass weder Tomizawa noch Redding lebensbedrohliche Verletzungen erlitten hätten. Angeblich hatte er diese Information kurz nach dem Unfall direkt von der Dorna erhalten.

Blick auf die Boxenanlage des Misano World Circuit Marco Simoncelli am Qualifying Samstag des GP Octo di San Marino 2019.

Strecken-Anpassungen

Im Jahr 1993 wurde die Strecke auf 4,060 km verlängert, außerdem wurde ein neues Boxengebäude mit einem 600 m² großen Medienzentrum gebaut. In den Jahren 1996 und 1997 wurden die Boxenanlagen noch einmal vergrößert, später wurde noch eine feste Tribüne gebaut. Vom Herbst 2006 bis zum Frühjahr 2007 wurde die Strecke erneut umgebaut und komplett überarbeitet. Vor allem durch die Umkehrung der Fahrtrichtung (ab nun im Uhrzeigersinn) konnten die Auslaufzonen erweitert und die Streckensicherheit erhöht werden, um den Anforderungen der MotoGP-Klasse gerecht zu werden. Nach dem Tod des italienischen MotoGP-Fahrers Marco Simoncelli in Sepang 2011 sollte die Strecke ursprünglich in Marco Simoncelli Circuit umbenannt werden. Inzwischen (Juni 2012) ist der Kurs in Misano World Circuit Marco Simoncelli umbenannt worden.

Fabio Quartararo (Petronas SRT Yamaha) in Misano die Sensation des MotoGP Rennens. Nur hauchdünn unterlag der erst 20 Jahre junge Franzose im Kampf um den Sieg Weltmeister Marc Marquez (Repsol Honda).

Streckenlayout

Der praktisch flache Kurs von Misano ist eine sogenannte Stop- and go Strecke, mit einigen sehr engen Kurven und dadurch vielen Strecken-Abschnitten, bei welchen eine gute Beschleunigung sehr wichtig ist.
Die Curvone (Kurve 11) ist fast mehr ein Knick als eine Kurve und die Fahrer der kleineren Klassen fahren hier praktisch mit Vollgas durch. Seitdem Misano im Uhrzeigersinn befahren wird, verfügt er über 6 Links- und 10 Rechtskurven. Die längste Gerade ist mit 530 Meter bei Start-Ziel. Die Tribünen bieten insgesamt Platz für rund Sechzigtausend Zuschauer.

MotoGP und 500 cm³ Sieger in Misano

Die beiden Spanier Jorge Lorenzo und Marc Marquez sind bis zur Saison 2019, zusammen mit Lokalmatador Valentino Rossi mit 3 Siegen, Rekordhalter in Misano. Yamaha ist die bisher erfolgreichste Marke, mit insgesamt 12 Erfolgen. Im Jahr 2019 fand die 23. Austragung eines WM-Laufs auf dem Misano World Circuit Marco Simoncelli statt und nur sehr knapp unterlag der lange in Führung liegende Fabio Quartararo (Petronas SRT Yamaha) erst kurz vor dem Ziel dem amtierenden Weltmeister Marquez.
Im Jahr 1989 gab es einen Skandal, bei welchem die Rennleitung keine gute Rolle spielte. Schon vor dem Start des Rennens hatten die Fahrer Bedenken hinsichtlich der Rutschgefahr auf der Strecke geäußert. Als der Regen anfing, signalisierten die Führenden, dass das Rennen gestoppt werden sollte. Die führenden Fahrer, darunter Schwantz, Rainey und sogar Regenspezialist Christian Sarron (FRA), forderten eine Trainingseinheit, um die Streckenbedingungen vor jedem Neustart zu beurteilen. Die Organisatoren lehnten dies jedoch ab. Bis auf 10 entschieden sich alle, aus Protest aus dem Rennen auszusteigen, womit nur eine Handvoll Streikbrecher zum Rennen antraten. Pierfrancesco Chili fuhr unter sarkastischem Applaus von den Boxen der boykottierenden Fahrer als erster über die Ziellinie. Es war des Italieners einziger und aufgrund der fragwürdigen Umstände dessen Zusammenkommens grundsätzlich wertloser 500 cm³ Sieg. Später wechselte Chili in die WSBK und war dort lange Zeit einer der beliebtesten Fahrer und mit insgesamt 17 Siegen auch sehr erfolgreich unterwegs. Für einen WM-Titel reichte es aber auch in der World Superbike WM nie.

Misano-Sieger Klasse bis 350 cm³

WSBK Sieger in Misano

Insgesamt gastierte die WSBK von 1991 bis 2019 bereits 33 Mal in Misano und es wurden in dieser Zeit 66 WM-Läufe ausgetragen, womit es bisher keine einzige Absage für ein Rennen gab. Dazu kommt ein Sprintrennen, durch das seit 2019 eingeführte Superpole-Race, in nachfolgender Tabelle sind jedoch nur die Rennen über die volle Distanz berücksichtigt. Den Rekord an Siegen hält der 4-fache Weltmeister Jonathan Rea mit 8 vor dem Aussie Troy Bayliss mit 6 ersten Plätzen (Stand 2019). Die erfolgreichste Marke in Misano wird noch für sehr lange Zeit Ducati bleiben, mit aktuell 26 Siegen (plus ein Superpole Race Sieg 2019) vor deren 12 von Kawasaki.

Jonathan Rea auf seiner Kawasaki ZX-10RR nach seinem 7. Sieg im Regenrennen des 1. Laufs in Misano, auf dem Weg zum Siegerpodest und zur Paddock Show.

Vorteile von Misano

Für Fans aus der Schweiz und Österreich ist die Strecke sehr gut erreichbar, von der Schweizer Grenze fährt man keine 4 Stunden, bis man in Misano ankommt. Aus Österreich ist es gut eine Fahrstunde mehr, nach Spielberg und Brünn jedoch die nächste GP-Strecke im Kalender, zusammen mit Mugello. Für WSBK ist der Autodromo Marco Simoncelli nebst Imola im aktuellen Kalender am nächsten gelegen. Das Angebot an nahe gelegenen Unterkunftsmöglichkeiten ist von Rimini bis Cattolica nahezu unerschöpflich und einigermassen preiswert. Für Fans, die sich am Rennwochenende gerne verschiedene Orte der Strecke ansehen möchten und Naturtribünen bevorzugen, ist Misano besonders attraktiv. Zwischen den Kurven 8 und 9, sowie 10 bis 12 sind ausreichend Naturtribünen vorhanden, selbst bei MotoGP Events kommt man hier im Gegensatz zu z.B. Assen und Sachsenring gut durch.

Nachteile von Misano

Waren bis 2018 die Ticket Preise für WSBK und MotoGP noch absolut moderat, gab es leider auf die Saison 2019 happige Preiserhöhungen. Genau wie in Imola wurden für die World Superbikes Wochenend-Tickets die Eintrittspreise gegenüber dem Vorjahr praktisch verdoppelt. Bei den Rennen der WSBK ist von Kurve 1 bis 7 der Kurs für Zuschauer gesperrt, ein ähnliches Vorgehen wie in Assen, was wir in beiden Fällen sehr schade finden. Nach dem Rennen bilden sich aufgrund der engen Verhältnisse starke Verkehrsstaus und die beiden Autobahn-Auffahrten (eine davon südlich nahe Cattolica, die andere nördlich) sind jeweils extrem verstopft, insbesondere bei MotoGP. Zudem sieht es mit Parkplätzen im Gegensatz zu Strecken wie beispielsweise Assen, nicht wirklich gut aus und gratis sind sie wie in Imola und im Gegensatz zu Mugello leider auch nicht. Dadurch kosten beispielsweise 3 Tage WSBK mit Paddock-Zutritt, Tribünenzugang und Parking locker das Doppelte gegenüber Assen oder Jerez.

Für Ducati Star Andrea Dovizioso ist der Misano GP genauso sein Heimrennen, wie für Valentino Rossi. Dovis Geburtsort Forlimpopoli liegt nur eine Dreiviertelstunde vom Autodromo in Misano entfernt.

MotoGP Besucherzahlen und der Rossi-Effekt

Die Auswirkungen von Valentino Rossis Erfolgen oder Misserfolgen auf die Besucherzahlen in Misano sind unübersehbar. Als er im Jahr 2011 zu Ducati gewechselt hatte, gelang ihm im ersten Jahr ein einziges Podium. Im Jahr darauf verzeichnete der Misano GP einen Einbruch um rund ein Achtel der Besucherzahlen gegenüber dem Vorjahr. Als Valentino 2013 zu Yamaha zurückkehrte, kam Marc Marquez in die MotoGP und Rossi hatte vor dem GP von Misano nur einen Sieg auf seinem Konto. Vor Misano kam er viermal nacheinander nicht aufs Podium. Im Jahr 2014 gewann Marquez bis zur Sommerpause sämtliche Rennen und Rossi lag vor dem Rennen in Misano im WM-Zwischenklassement bereits weit hinter dem Spanier zurück. Erst als Valentino 2015 mit WM-Chancen zu seinem Heimrennen in Misano anreiste, explodierten die Zuschauerzahlen wieder förmlich. Von 88’665 auf 152’394 gab es für die drei Tage des MotoGP Wochenendes gerechnet, beinahe eine Verdoppelung der kumulierten Besucherzahlen.

Alvaro Bautista (Aruba.it Ducati) musste sich nach dem 2. Rennen der Motul WorldSBK 2019 im Parc Fermé trösten lassen. Der Spanier war auf dem Weg zum WorldSBK Weltmeistertitel, als er nach Jerez auch in Misano gleich zu Beginn des 2. Rennens in der zweiten Runde zu Sturz kam. In beiden Fällen lag er unbedrängt in Führung und stürzte jeweils über das Vorderrad. Eine Runde später in Donington Park stürzte Bautista im 1. Lauf bei Regen erneut, während Rea überlegen gewann, die WM-Führung dadurch übernahm und am Ende überlegen zum 5. Mal in Folge Weltmeister wurde.

Besucherzahlen des GP von Misano im Vergleich, von 2007 bis 2019
Bei Regenrennen sind die Besucherzahlen in Kursivschrift vermerkt, der GP von Silverstone 2018 fand aufgrund von zu viel Regen gar nicht statt. Nebst 2007, nachdem die MotoGP wieder nach Misano zurückgekehrt war, fanden bis 2019 insgesamt 4 Rennveranstaltungen bei nassen Verhältnissen statt. In den ersten 8 Jahren der MotoGP Ära hinkten die Zuschauerzahlen deutlich hinter Mugello zurück. Ab 2015 schaffte man jedoch die Trendwende. Bis auf das Mugello Rekordjahr 2017 mit 164’418 Besuchern lag Misano seither immer höher. Alle Zahlen in der Statistik sind jeweils über sämtliche 3 Tage zusammengerechnet. Dass Mugello 2019 im Vergleich zu sämtlichen anderen Strecken weltweit die höchsten Ticketpreise hatte, dürfte zur Erklärung ausreichen.