Teil 1 der Geschichte des 3-fachen Weltmeisters
Fast 2 Jahrzehnte lang der erfolgreichste Rennfahrer Deutschlands
Es sollte fast zwei Jahrzehnte dauern, bis mit Toni Mang ein Bayer den Preußen Hans Georg Anscheidt als 3-fachen Weltmeister und erfolgreichsten Deutschen Grand Prix Piloten ablöste. Anscheidt war ein Idol seiner Zeit. Er war in den 1960-ern als Rennfahrer so berühmt, dass er nicht nur in den Medien bejubelt wurde. Er zierte sogar eine Briefmarke in Äquatorialguinea und eine der damals so begehrten Panini-Sammelkarten im Jahr 1968. Mit seiner Kolumne „Jungens, eure Fünfziger“ in der noch heute existierenden Jugendzeitschrift Bravo avancierte er zum Helden unzähliger Teenager.
Die ersten Anfänge
Seine Karriere begann der deutsche Motorradrennfahrer auf Kreidler. Die damals sehr erfolgreiche Firma aus Kornwestheim bei Stuttgart konzentrierte sich auf den Bau von Mofas, Klein- und Leichtkrafträdern von 50 bis 80 cm³ Hubraum. Bis weit in die 1970-er Jahre zierten Modelle wie die „Kreidler Florett“ die Straßenbilder von ganz Europa. Der in Königsberg (heute Kaliningrad) am 23. Dezember 1935 geborene Hans Georg interessierte sich schon seit seiner Kindheit für Technik und Motoren. Deshalb entschied er sich für eine Lehre als Kraftfahrzeug-Schlosser. Sein bevorzugtes und mit viel Leidenschaft betriebene Hobby wurde es, Bahnrennen zu fahren. In den Vorkriegsjahren und auch nach dem 2. Weltkrieg waren Motorrad-Bahnrennen durchaus populär, oft wurden sie damals einfach auf Trabrennbahnen ausgetragen.
Das Inserat von Kreidler als Initialzündung einer einzigartigen Karriere
In einer Fachzeitschrift suchte das Kreidler einen Fahrer für das Werksteam, mit dem der Zweiradproduzent in der neu etablierten Rennklasse der Fünfziger durchstarten wollte. Der gelernte KFZ-Mechaniker Anscheidt war der geeignete Mann dafür und bekam den Job. Hans Georg zog von Norddeutschland in den Südwesten. Erst 25 sei er damals gewesen, erzählte er später in einem Interview. Ein Alter, in welchem heutige Fahrer oft schon mitten in einer MotoGP-Karriere stehen. Der französische Senkrecht-Starter Fabio Quartararo wurde zum Beispiel kürzlich erst zwanzig. Schon kurze Zeit nach seinem Einstieg bei Kreidler fuhr Hans Georg die ersten Erfolge ein. Im Jahr 1961 holte er sich den Europameister-Titel bis 50 cm³. Von 1962 bis 1965 hieß der Deutsche Meister bis 50 cm³ viermal in Folge H. G. Anscheidt auf Kreidler.
Großes Echo in der Presse und Einstieg in die Weltmeisterschaft
Die Erfolge blieben der Öffentlichkeit nicht verborgen und bereits jubelte die Stuttgarter Zeitung in einer Schlagzeile „Endlich wieder eine Weltmeisterschafts-Chance!“. Sogar das Nachrichtenmagazin Spiegel hoffte in einem Artikel auf „Ruhm für Deutschland in der Schnapsglas-Klasse“. Es beinhaltete eine Anspielung darauf, dass der Hubraum der 50 cm³ Rennzwerge kaum mehr betrug als ein gut gefülltes Schnapsglas. Langsam waren die Maschinen mit den Mini-Motoren deshalb aber nicht. Mit anfänglich rund 115 km/h bretterten die Rennfahrer in den ersten Jahren über die Rundkurse, später brachten es die kleinen Maschinen auf bis zu 190 km/h. Dabei kam Anscheidt seine geringe Körpergröße von 166 cm zugute, sowie der Umstand, dass er eher schmächtig war. Tiefes Gewicht und wenig Luftwiderstand sind in den kleinsten Klassen von unschätzbarem Vorteil. Lederkombi und Sturzhelm sollten ihn schützen, „aber natürlich waren die Sicherheitsbestimmungen nicht wie heute“, wie er später zu Protokoll gab. Im Jahr 1962 erfolgte der Einstieg in der neu gegründeten Kategorie 50 cm³ der Motorrad-Weltmeisterschaft.
Der übermächtige Gegner dank deutscher Ingenieurskunst
Die japanische Firma Suzuki wollte es der aus demselben Land stammenden Firma Honda gleichtun, die ab 1960 in den Klassen 125 cm³ und 250 cm³ eingestiegen war. Doch fehlte es dem Werk aus Hamamatsu an Know-how, um mit Zweitakt-Rennmotoren wirklich erfolgreich zu sein. So kam es, dass der aus der DDR stammende MZ-Werksfahrer Ernst Degner kurz nach Baubeginn der Berliner Mauer sich am Wochenende des GP von Schweden in Kristianstad nach Dänemark und somit in „den Westen“ absetzte. Er hatte noch am Renntag am 17. September 1961 das Fahrerlager verlassen und wenige Tage davor mithilfe von Freunden die Flucht seiner Frau und der beiden Söhne organisiert. Unter bis heute dubios gebliebenen Umständen kam dabei wertvolles Material der Zschopauer Firma MZ in die Hände der japanischen Konkurrenz. Wir berichten in Kürze in einem separaten Kapitel über den damaligen „Spionagefall der 60-er Jahre“. Als „Gegenleistung“ wurde ernst Degner auf die Saison 1962 von den Japanern mit einem Werksvertrag ausgestattet. Mit der deutschen Ingenieurskunst des genialen MZ-Technikers Walter Kaaden gelang Suzuki auf Anhieb der Durchbruch in der 1962 neu geschaffenen 50-er Kategorie. Für Kreidler und Hans Georg Anscheidt war quasi aus dem Nichts ein übermächtiger Gegner erwachsen und mit 2 zu 4 Siegen unterlag man Degner auf Suzuki in der ersten 50 cm³ WM-Saison. Statt des erhofften Weltmeistertitels wurde es immerhin die Vizeweltmeisterschaft bei den Fahrern und Konstrukteuren.