
Die Saison 1952 mit seinem ersten Weltmeisterschafts-Rennen
Im Vorjahr hatte Müller sich seinen bereits seinen 6. Titel in der Deutschen Meisterschaft gesichert. Bei der internationalen 6-Tage Fahrt holte er sich am Saisonende dazu noch die Bronzemedaille. Laut einem Berichterstatter hätte es zumindest Silber sein müssen, nachdem ein gegen ihn ausgesprochener Strafpunkt höchst umstritten gewesen sein soll. Da ihm Rennsiege viel wichtiger waren, konnte dies H. P. letztlich egal sein. Mittlerweile hatte er laut einer Statistik bereits 175 Rennen für sich entschieden. Und der mittlerweile 42-jährige Altmeister wartete zu Jahresbeginn mit einer Überraschung auf, welche die Motorsportwelt mit Verwunderung zur Kenntnis nahm.

Die Überraschung
Im Februar erschien in einem deutschen Motorsport-Magazin ein Artikel, in welchem berichtet wurde, dass Müller seinen Vertrag mit der Auto Union und somit deren Motorradmarke DKW aufgelöst hatte. Für 1952 wagte sich der Bielefelder auf ungewohntes Terrain und setzte privat eine 125 cm³ FB-Mondial ein. Der kleine Viertakt-Einzylinder hatte in den beiden Jahren davor die Weltmeisterschaft dominiert. Für Müller, der seit rund eineinhalb Jahrzehnten (mit einem Unterbruch im 2. Weltkrieg) nur noch auf Zweitaktern unterwegs gewesen war, ein komplett neues Kapitel. Doch wie in jeder Saison hatte Hermann Paul sich erneut gewissenhaft im Winter vorbereitet und konnte kaum erwarten, bis es wieder losging.

Vielversprechender Saisonauftakt auf dem Hockenheimring – Pech in der Eifel
Mit seiner neu erworbenen FB-Mondial traf H. P. auf dem Hockenheimring am 11. Mai 1952 zum ersten Mal auf den amtierenden Weltmeister Carlo Ubbiali. Der italienische Werksfahrer fuhr schon seine 3. Saison für Mondial und war natürlich der haushohe Favorit für das Rennen. Hinter Ubbiali wurde Müller Zweiter und schlug dabei die beiden NSU Rennföxe von Romolo Ferri und Wilhelm Hofmann, der Auftakt war ihm damit mehr als gelungen. Deutlich weniger gut lief es für den Altmeister danach leider beim Eifelrennen auf dem Nürburgring. Ohne Ventilfederbruch an seiner neuen Mondial hätte es hinter NSU-Werksfahrer Colombo wohl für Platz 2 gereicht, aber so wurde es nur Rang 4, hauchdünn hinter Daiker und Hofmann (beide NSU).

Erneut riesiges Pech am Feldbergrennen
Kurz vor dem Start zum 125 cm³ Rennen auf dem Oberreifenberg durfte H. P. noch sehr zuversichtlich sein. Beim Feldbergrennen im Obertaunus-Gebirge hatte der gebürtige Bielefelder 1950 gewonnen und im Jahr 1951 Zweiter geworden. Bereits 1934 (auf 350-er Victoria) und 1936 (500 cm³ DKW) war er an dieser Stätte mit seiner schon auf Platz 3 ins Ziel gekommen. Diesmal war er mit der FB-Mondial dazu noch auf einem wesentlich konkurrenzfähigen Motorrad angetreten. Doch nach dem Malheur auf der Eifel klebte Müller auch in Hessen wieder das Pech förmlich an den Fersen. Beim auch heute noch üblichen Warmlaufen des Motors vor dem Rennen brach an seiner Mondial ein Ventil. So musste „Ha-Pe“, wie ihn viele damals riefen, erneut kampflos zusehen, wie seine Konkurrenten sich um den Sieg balgten. Es wurde ein NSU-Dreifachsieg mit Otto Daiker vor Wilhelm Hofmann und Hubert Luttenberger.

Der lange erhoffte Sieg beim Eilenriede-Rennen
Im Stadtpark von Hannover hatte Müller 1950 bei seinem Debüt in der 125-er Klasse schon einmal gewonnen. Endlich war ihm am 29. Juni 1952 das Glück wieder hold. Diesmal stoppte ihn kein ärgerlicher Defekt oder behinderte ihn ein Handicap wie im Vorjahr der lecke Tank an der DKW auf dem Norisring. Mit seiner neuen und privat eingesetzten FB-Mondial trat er gegen nicht weniger als 3 Werksfahrer der Neckersulmer Motorradwerke (NSU) an, sowie seine frühere Mannschaft von DKW. Hermann Paul führte im 125 cm³ Rennen vom Start weg und gab diese Position bis ins Ziel nicht mehr ab. Hinter ihm kamen die Renn-Föxe mit den drei Werksfahrern Daiker, Hofmann und Luttenberger, die in dieser Reihenfolge auf dem zweiten bis vierten Platz landeten ins Ziel, gefolgt von der DKW unter Felgenheier.

Schottenring-Rennen mit internationaler Beteiligung
Beim „Rund um Schotten“ Rennen hatte Müller im Vorjahr in der 125 cm³ Klasse gewonnen. Vom Start weg gab es einen harten Kampf um den Sieg. Diesmal kämpfte Otto Daiker auf der Werks-NSU Rennfox erbittert um die oberste Stufe um das Siegerpodest. Der Kampf zwischen ihm und H. P. ging bis in die letzte Runde und am Ende gewann der Werksfahrer auf dem Neckarsulmer Fabrikat knapp vor dem Mondial-Privatfahrer. Hinter diesem trafen mit Luttenberger und Hofmann zwei weitere NSU vor Lottes auf Müllers zweiter Mondial ein. Was damals völlig normal war, ist heute absolut undenkbar. Es gab damals oft Fahrer, die anderen für Rennen ihre Bikes oder zumindest Ersatzmotorräder ausliehen. Auch bei Defekten war man sich meist gegenseitig behilflich und lieh dem Konkurrenten Ersatzteile.

Der erste Weltmeisterschaftslauf H. P. Müllers
Es war damals eine schöne Geste, den amtierenden Welt- und Landesmeister fünf Meter vor der eigentlichen Startlinie zu platzieren. So kam Müller in den Genuss, zusammen mit Carlo Ubbiali dieses nette Privileg zu genießen. Einem Jonathan Rea müsste sich beim Gedanken daran beinahe der Magen umdrehen. Musste dieser doch als x-facher Laufsieger der WorldSBK während Jahren als Sieger des 1. Laufs für das zweite Rennen mit Startplatz 9 vorlieb nehmen. Jedenfalls nutzte H. P. diese Chance und startete furios. Nach der ersten Runde führte er vor Copeta (MV) und Mondial-Werksfahrer Ubbiali. Doch mit seiner privaten Mondial hatte der Wahl-Ingolstädter erneut riesiges Pech und fiel bereits in der 3. Runde aus. NSU-Werkspilot Werner Haas übernahm in Runde 5 die Führung und gewann am Ende vor Ubbiali und Cecil Sandford (MV Agusta).

Die versöhnliche zweite Hälfte der Saison 1952
Die WM-Premiere hatte sich Müller anders vorgestellt, doch leider sollte es auch diesmal nicht sein. Vieles erinnerte ihn an die Saison 1949, als er zum ersten Mal in den Nachkriegsjahren keinen deutschen Meistertitel nach Hause brachte. Zu oft hatte ihn damals, wie auch in dieser Saison, die Defekt-Hexe ereilt. In der 125 cm³ Meisterschaft führte Otto Daiker mittlerweile mit großem Vorsprung, für die Titelverteidigung sah es bei H. P. nun denkbar schlecht aus. Doch auch in der Presse war zu lesen, dass man den gebürtigen Bielefelder immer noch auf der Rechnung haben musste. Dies bewies er auch mit seinem Sieg am 17. August auf dem Norisring, womit er den Kampf um den deutschen 125 cm³ Meistertitel nochmals spannend machen konnte. Nur eine Woche später gewann er vor Lottes und Reichert bereits zum dritten Mal einen Lauf beim Hamburger Stadtpark-Rennen, wie vor 2 Jahren wieder in der 125-er Klasse. Im Jahr 1948 war er an selber Stätte noch im 250 cm³ Rennen siegreich gewesen.

Die Siegesserie setzte sich fort
Beim nicht zur deutschen Meisterschaft zählenden 125 cm³ Riemer Rundstrecken-Rennen setzte H. P. seine eindrückliche Serie fort, mit welcher er die zweite Saisonhälfte 1952 doch noch versöhnlich gestalten sollte. Müller gewann überlegen vor MV Agusta Privatfahrer Karl Lottes, welchem er auf dem Schottenring noch seine zweite Mondial ausgeliehen hatte. Die Entscheidung um den Meistertitel in der 125-er Klasse musste beim Rennen auf dem Grenzlandring fallen. Der klare Titelfavorit war nach allzu vielen Ausfällen Müllers der NSU-Werksfahrer Otto Daiker. Die Chancen für „Ha-Pe“ waren hingegen vor dem Saisonfinale nur noch minimal.

Die Entscheidung um den 125 cm³ Titel der deutschen Meisterschaft
Genauso wie beim Hamburger Stadtpark-Rennen stand auch das Rennen auf dem Grenzland-Ring unter keinem guten Stern. Am Nachmittag passierte im Formel-2-Rennen ein fürchterlicher Unfall, dem mindestens 13 Menschen zu Opfer fielen und der dazu über 40 Verletzte forderte. Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung um die deutsche Motorrad-Meisterschaft von untergeordneter Bedeutung. Im 125 cm³ Rennen hatte Werner Haas gewonnen, der erst kurz davor von NSU als Werksfahrer verpflichtet worden war. Hermann Paul wurde Zweiter, womit es knapp nicht zur Titelverteidigung gereicht hatte. Der Stuttgarter NSU-Werksfahrer Daiker profitierte letztlich von den zahlreichen Ausfällen Müllers und holte sich seinen ersten und einzigen DM-Titel seiner Karriere.

Der Sachsenring-Sieg – mit unglaublicher Leistung Müllers
Am 7. September trat H. P. zum ersten Mal in seiner Karriere auf dem Sachsenring an. Wie damals oft üblich gingen die verschiedenen Klassen mit einigem Abstand nacheinander ins Rennen. So starteten die 125-er Piloten eine Minute nachdem die 250 cm³ Klasse ins Rennen gegangen war. Müller führte hoch überlegen die kleinste Kategorie an und war so schnell, dass er immer weiter ins Feld der 250-er Fahrer vorstieß. Als die Zielflagge fiel, war er Sieger der kleinsten Klasse und gleichzeitig auch noch auf Platz 5 der 250 cm³ Kategorie, ein absolutes Kuriosum! Doch der gebürtige Bielefelder war immer für Überraschungen gut und wenn es ihm lief, war gegen ihn kein Kraut gewachsen. Man kann sich vorstellen, wie sich die vielen 250-er Fahrer gefühlt haben mussten, als sie von H. P. auf seiner kleinen Mondial mit halbem Hubraum ein- und überholt worden waren.

Das erste WM-Rennen im Ausland – mit vergeblicher Anreise
Nach dem Pech auf der Solitude leistete sich Müller genauso wie das NSU-Werksteam die Anreise zum GP der Nationen in Monza. In Italien fand in dieser Saison die fünfte und vorletzte Runde der 125 cm³ Weltmeisterschaft statt. Vor rund 60-Tausend Zuschauern marschierten die Fahrer, wie damals üblich, mit den Maschinen ein und begannen diese startklar zu machen. Doch als die Motoren zum Warmlaufen gestartet wurden, sprang die Mondial von Hermann Paul nicht an. Schon wieder verweigerte ihm die kapriziöse Italienerin ausgerechnet im wichtigsten Moment den Dienst! Im Bericht eines Deutschen Motorsportmagazins wurde mit befremden darauf hingewiesen, dass ihm kein einziger Mensch zu Hilfe kam. Der von Müller festgestellte Magnetschaden konnte in der Kürze der Zeit nicht mehr behoben werden und so musste er kampflos auf den Start verzichten.

Müllers zweiter Sieg in der DDR – auf dem Schleizer Dreieck
Nur eine Woche nach dem Debakel von Monza folgte auf dem international ausgeschriebenen Schleizer Dreieck wieder ein Lichtblick. Beim zweiten Auftreten in der DDR nach seinem Sachsenring Triumph gelang Müller auch hier ein diskussionsloser Sieg mit 3 Minuten Vorsprung auf Karl Lottes. Auch der Marburger war auf einer privat eingesetzten FB-Mondial unterwegs und konnte damit immerhin Lokalmatador Bernhard Petruschke und Ewald Kluge auf die weiteren Plätze verweisen. Für Müller war nach diesem Rennen vom 21. September die Saison aber noch nicht zu Ende. Der Wahl-Ingolstädter hatte das WM-Finale in Barcelona noch auf seiner Liste. Was heute in einer Fahrzeit von rund 14 Stunden zu bewältigen ist, dauerte damals mehrere Tage.

Das zweite WM-Rennen im Ausland – mit den ersten WM-Punkten Müllers
Nach den zwei Ausfällen bei seinen ersten beiden Weltmeisterschafts-Rennen auf der Solitude und in Monza, hatte H. P. noch eine Rechnung offen. Dass der gebürtige Bielefelder die Strapazen einer damals sehr beschwerlichen Reise nach Barcelona auf sich nahm, lag in seiner Natur. In der Presse wurde der mittlerweile fast 43-Jährige öfters „Renntiger“ genannt und genau dies war er auch. So kam es dazu, dass er am 5. Oktober 1952 erneut Geschichte schrieb und als erster deutscher Privatfahrer WM-Punkte holte. Selbst in der französischen Presse wurde danach anerkennend über ihn und seine unglaubliche Karriere, mit erneut unerwartet starker Leistung berichtet. Als Auto Union Werksfahrer 1939 noch Herr über mehr als 500 PS, gewann er in Spanien auf der 125 cm³ Mondial mit schätzungsweise rund 16 PS seine ersten 2 WM-Zähler der Karriere. Es sollten nicht seine letzten sein, auch wenn eine schwierige Saison 1953 vor ihm stand.

Die vierte 125 cm³ Weltmeisterschaft der Geschichte – 1952
Zum ersten Mal in ihrer vierten Durchführung fand die Weltmeisterschaft endlich auch mit deutscher Beteiligung statt. Österreicher waren davor bereits startberechtigt gewesen. Werner Haas hatte mit seinem Sieg auf NSU beim Heimrennen auf der Solitude im Juli eindrücklich bewiesen, wozu die Fabrikate und Fahrer aus der bis dahin aus der WM verbannten Nation wert waren. Nebst ihm holten auch sein Teamkollege Luttenberger und als erster deutscher Privatfahrer H. P. Müller 1952 auf Anhieb WM-Punkte. Nur ein Jahr später sollte der endgültige Durchbruch der Deutschen folgen, womit endgültig unter Beweis gestellt wurde, wie wenig ein WM-Titel in diesen Jahren ohne deutsche Beteiligung wert war.

