Suzuki GP-Renner damals und heute – links die 50 cm³ Weltmeistermaschine von Ernst Degner und rechts die MotoGP Raketen von Joan Mir und Alex Rins für 2020.

Das letzte Comeback und das viel zu frühe Karrieren-Ende

Nebst Ernst Degner fehlte zu Saisonbeginn auch Mike Duff, der im Vorjahr auf Yamaha hinter Teamkollege Phil Read 250-er Vizeweltmeister geworden war. Der Kanadier hatte zudem in der 125 cm³ Klasse an der TT mit Platz 3 geglänzt und danach in Assen sogar einen Sieg eingefahren. Doch vor dem GP von Japan in Suzuka war Duff schwer gestürzt. Bei Testfahrten im 1965 brach er sich bei einem Sturz das Becken und das linke Hüftgelenk und war danach für sechs Monate im Krankenhaus ans Bett gefesselt. 1984 sollte aus Michael die Transfrau Michelle Ann werden, worüber wir einen Bericht in einem separatem Artikel eingehen. Dass Ernst Degner keine 2 Jahre nach seinem schweren Unfall in Suzuka erneut für Monate ans Bett gefesselt war, dürfte eine schwere Belastung für ihn selbst und auch seine Familie gewesen sein. Es sollte auch bei ihm noch Monate dauern, bis er auf die Rennstrecken zurückkehren konnte.

Dokumentarfilm über Mike Duffs Unfall und Rekonvaleszenz
Hier der link zum Film „Ride for your life“ über den Sturz von Duff und die Zeit der Rekonvaleszenz, er enthält auch Szenen aus dem 125 cm³ GP von Assen 1966: https://www.nfb.ca/film/ride_for_your_life/

Enst Degner (im Vordergrund auf der MZ im Jahr 1961) auf der Überholspur. Ein Bild aus der Vergangenheit, was sich bei seinem zweiten Comeback nach schwersten Verletzungen nicht mehr wiederholen sollte.

Die Werksteams der Saison 1966

Die Rekordzahl von 14 Herstellern, die sich 1964 werksseitig an der Motorrad-WM beteiligten, wurde in diesem Jahr nicht mehr erreicht. Aber mit 11 Fabrikaten war es trotz des Rückzugs von Kreidler und Derbi im Vergleich zum Vorjahr nur ein Werk weniger. Mit Kawasaki versuchte sich bereits der vierte und kleinste Hersteller aus Japan in der Weltmeisterschaft. Doch die Motorräder machten bei Kawasaki Heavy Industries schon damals nur einen Bruchteil des Umsatzes aus. Aber die Firma sollte im Rennsport, sowie bei der Produktion von Serienmaschinen innert kurzer Zeit ebenfalls zu Weltruhm kommen. Mit der 900er Z1 brachte die Marke nur 6 Jahre Später das erste richtige Big Bike auf den Markt und stellte die japanische Konkurrenz damit anfänglich völlig in den Schatten. Bis dahin lag bei den Serienmaschinen aus Fernost die freiwillige Obergrenze des Hubraums bei 750 cm³. Wie einige Jahre davor die anderen japanischen Fabrikate begann Kawasaki im Jahr 1966 bescheiden und sammelte mit einem Fahrer aus dem eigenen Land erste Erfahrungen.

Der Kawasaki Werksfahrer Toshio Fujii sollte bei der Tourist Trophy am 26. August am Freitag vor dem Rennen bei einem Trainingsunfall tödlich verunglücken. Darauf pausierte Kawasaki bis zum GP von Japan in Fuji, dem letzten Rennen der Saison.
Suzuki-Werbung mit dem TT Sieger Degner 1963 in der 50 cm³ Klasse.

50 cm³ WM 1966 – die erste Saisonhälfte
Im Jahr 1966 war die Saison der Schnapsglasklasse durchaus überschaubar. Während die 125-er bei immerhin 10 von eigentlich zwölf WM-Runden ausgeschrieben waren, kamen die 50 cm³ Motorräder nur gerade bei 6 Grand Prix zur Austragung. Mit der neuen 5-Zylinder Viertakt Honda und der Zweitakt Yamaha dominierten die beiden größten Hersteller aus Japan die 125 cm³ Weltmeisterschaft von 1966. Für Suzuki reichte es mit den Fahrern Anderson, Perris, Katayama, Itoh und Anscheidt nur selten aufs Podium. Daher empfahl sich die kleinste Kategorie für das Comeback von Ernst Degner. Die Weltmeisterschaft war nach der ersten Saisonhälfte noch völlig offen. Nach den ersten 3 Rennen lag Luigi Taveri auf Honda mit 19 Punkten vor Anscheidt (17), Bryans (16) und Anderson (11) in Führung. Da nur die besten 4 Resultate gewertet wurden, hatten der Schweizer Taveri mit 2 Siegen und der Deutsche Anscheidt mit einem 1. Platz die besten WM-Chancen.

Start zum 50 cm³ GP von Assen mit von links oben Taveri und Anscheidt bereits auf ihren Bikes sitzend, während Bryans gerade erst aufsteigt. Dahinter die Suzukis von Anderson, Katayama und Morishita in der 2. Reihe.

Das Comeback von Degner
Nach endlos langer Rekonvaleszenz kehrte Ernst bei der Dutch TT wieder auf die Rennstrecken zurück. Genau zum gleichen Zeitpunkt wie der Kanadier Mike Duff (später Michaela Ann Duff), der in Suzuka beim Saisonfinale im Vorjahr ebenfalls schwerste Verletzungen davongetragen hatte. Im Unterschied zu Degner holte Duff beim GP der Niederlande jedoch einen WM-Punkt mit Platz 6 in der 125 cm³ Klasse. Bei Ernst reichte es hingegen im Rennen der Schnapsglasklasse nur für Rang 7, womit er den letzten WM-Punkt um eine Position verpasst hatte. In der nächsten WM-Runde auf der Strecke von Spa-Francorchamps waren die kleineren Klassen nicht ausgeschrieben. Mit den Grand Prix der DDR und der Tschechoslowakei waren danach die beiden Events an der Reihe, bei welchen er als DDR-Flüchtling passen musste. Mit Sicherheit hätte ihn hinter dem Eisernen Vorhang die Stasi gepackt und als „Volksverräter der Republik“ dingfest gemacht.

Ralph Bryans (1) und Luigi Taveri (2), beide auf Honda im 50 cm³ GP der Dutch TT in Assen. Im Ziel lag der Schweizer mit der Nummer 2 vorne und H. G. Anscheidt hatte sich auf Platz 2 noch dazwischengeschoben.

Das verpasste Podium in der 2. Saisonhälfte
Bei den Rennen der 125 cm³ Klasse setzte Suzuki auf Anderson, Perris und Katayama. Hans Georg Anscheidt fuhr beim GP von Deutschland in dieser Kategorie auf Platz 5, hatte ansonsten in dieser Saison bei den 125-ern aber keine WM-Punkte zu verzeichnen. Degner wollte wenigstens bei den 50-ern wieder versuchen, Fuß zu fassen. Die lange Sommerpause war vorbei und diesmal fand das berühmt-berüchtigte Rennen auf der Isle of Man im Herbst statt. Der Grund dafür war ein Fähr-Streik, weshalb man die TT nicht wie sonst üblich im Juni durchgeführt hatte. Vor 3 Jahren hatte Ernst die Tourist Trophy in der 50 cm³ Klasse gewonnen. Doch diesmal standen ihm andere Piloten vor der Sonne. Lokalmatador Ralph Bryans gewann vor Luigi Taveri (beide Honda) und Hugh Anderson, während Ernst nur Platz 4 hinter seinem Suzuki-Teamkollegen blieb. Anscheidt hatte Pech und war mit technischem Defekt ausgefallen. Zu den 3 gewonnenen WM-Punkten sollten in Monza keine weiteren Zähler mehr dazukommen. Degner ging hier nach seiner schweren Verletzung im Vorjahr gar nicht erst an den Start.

Luigi Taveri 1966 – der Schweizer hätte nebst dem 125 cm³ Titel für Honda wohl auch denjenigen in der 50-er Klasse mit Leichtigkeit geholt. Durch den Boykott des GP von Japan durch seinen Arbeitgeber musste er diesen jedoch beim Saisonfinale kampflos preisgeben.

Der zweite schwere Sturz in Japan
Honda boykottierte den GP von Japan, weil er zum ersten Mal nicht auf der hauseigenen Strecke von Suzuka ausgetragen wurde, wo die Japaner nach unzähligen Testtagen einen riesigen Vorteil gehabt hätten. Ein wahrhaft befremdliches Verhältnis zum Sport, welches die Japaner damals an den Tag legten. Man denke zudem nur an den zweimaligen Boykott des GP der USA in Daytona, nur weil ihnen angeblich der aus ihrer Sicht zu frühe Saisonstart von Anfang Februar nicht in den Kram passte. Suzuki konnte dies letztlich egal sein, insbesondere weil Luigi Taveri ansonst wohl den 50-er WM-Titel geholt hätte. Für Ernst Degner spielte dies erst recht gar keine Rolle mehr. Der Deutsche hatte einige Tage vor dem Japan-GP bei Testfahrten mit einer 125 cm³ Kawasaki (nach Freigabe durch Suzuki) auf der Strecke von Fuji einen schweren Unfall erlitten. Dies war bereits der zweite fatale Crash auf japanischem Boden, nach dem Feuer-Drama (siehe Teil 8 der Degner Story) von Suzuka im November 1963. Diesmal hatte er sich schwere Kopfverletzungen zugezogen und lag danach mehrere Tage im Koma. Es bedeutete das Ende einer sehr erfolgreichen Rennfahrer-Karriere auf zwei Rädern.

Die Schicksalsstrecke Ernst Degners von Fuji aus der Luft und rechts eine der Steilkurven. Hier fand Mitte Oktober 1966, fern seiner Heimat, die erfolgreiche 2-Rad Karriere des Deutschen ihr Ende.

Die Ignoranz einiger Medien
Der Zeitschrift Motorrad in der Ausgabe 23 von 1966 war die Tragödie Degners keine einzige Zeile wert. Man war voll des Lobes über den neuen deutschen Weltmeister H. G. Anscheidt und im zweiteiligen Artikel dieses Magazins über den GP von Japan ignorierte man die Tragödie von Ernst damals einfach. Dass Degner im Training mit einer 125 cm³ Kawasaki schwer gestürzt war, wurde mit keiner Silbe erwähnt. Und dieses Blatt sollte sich noch Jahrzehnte lang nicht mit Ruhm bekleckern. Man denke nur an die unzähligen „Testberichte“ ab den 70-er Jahren, in welchen BMW in den Himmel gelobt wurde, während bei japanischen Bikes schon fast verzweifelt das Haar in der Suppe gesucht wurde. Im Ausland schätzte man Ernst offenbar wesentlich mehr als in den meisten heimischen Medien. In Suzuka wurde sogar die Kurve 8 nach dem ersten 50 cm³ Weltmeister der Geschichte benannt.

Ernst Degner auf der 50 cm³ Suzuki in der Saison 1962 als amtierender Weltmeister mit der Nummer 1.

Keine Siege mehr bei nationalen und internationale Rennen
Während andere Konkurrenten auch an Läufen außerhalb der WM auf vielen Strecken erfolgreich waren, sah Degner das Ziel 1966 nirgends mehr als Erster. Auf dem Hockenheimring, auf dem er 1961 auf MZ und zwei Jahre später auf Suzuki die 125 cm³ Grand Prix gewonnen hatte, war Ernst in der Saison 1966 noch nicht fit. Genauso bei zahlreichen Rennen mit internationaler Beteiligung, wie Salzburg Liefering oder an der Mototemporada in Cesenatico, einem Lauf zur italienischen Meisterschaft. Auf diesen Strecken hatte Degner in früheren Jahren als Gaststarter Siege errungen. Das Rennen auf der Solitude, wo er im Juli 1965 gleich in beiden kleineren Klassen zuoberst auf dem Treppchen stand, fand ab 1966 leider nicht mehr statt. Offenbar wollte Suzuki den Vertrag mit ihm nicht mehr erneuern und Kawasaki hätte von dem Ingenieur und erfahrenen Rennfahrer bestimmt profitieren können. Doch zu einer längeren Zusammenarbeit kam es aufgrund von Ernsts gravierenden Verletzungen nicht mehr.

50 cm³ Fahrer-Weltmeisterschaft 1966

Ohne WM-Punkte, aber auf Platz 6 bis 10 klassiert waren: M. Allen (GB, Honda), George Ashton (GB, Honda), Martin Carney (GB, Derbi), Enrique Escuder (E, Derbi), Leslie Griffiths (GB, Honda), Brian Kettle (GB, Honda), Charlie Mates (GB, Honda), Martin Mijwaart (NL, Jamathi), Jørgen Nielsen (DK, Kreidler), Jean-Louis Pasquier (MC, Derbi), Jim Pink (GB, Honda), Winfried Reinhard (D, Kreidler), Rudolf Schmälze (D, Kreidler), Horst Seidl (D, Honda), Chris Vincent (GB, Suzuki).

50 cm³ Hersteller-Wertung 1966

Die Opfer des Motorradrennsports im Jahr 1966

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier die uns bekannten Opfer des Motorrad-Rennsports im Jahr 1966. Gegenüber den mindestens 11 Toten (laut unserer Statistik) im Vorjahr gab es leider keine positive Veränderung. Auf dem gefährlichen Straßenkurs der Isle of Man verloren in diesem Jahr erneut 2 Fahrer ihr Leben, darunter der japanische Kawasaki Werkspilot Toshio Fujii.

Die Zeit als Privatmann und seine restlichen Lebensjahre

Zum Jahresende 1966 hatte sich Ernst Degner wieder einigermaßen von seinen schweren Verletzungen erholt. Er gab konsequenterweise nun seinen Rücktritt vom Motorrad-Rennsport bekannt. Der Versuch 1967 mit einem Brabham Formel 3 eine Automobilsport-Karriere zu beginnen, scheiterte noch im selben Jahr. Der ehemalige Motorrad-Star hatte immer wieder Probleme mit seiner Gesundheit und beruflich verlief seine Karriere ziemlich wechselhaft. Sein Privatleben geriet durch die Scheidung im Jahr 1969 auch ein Stück weit aus der Bahn. Ernst arbeitete kurze Zeit als Renndienst-Leiter beim damals sehr reputierten Vergaser Hersteller Solex, wechselte in den Jahren darauf noch einige Male seine Stellung.

Die Urlaubsinsel Teneriffa – ob Ernst Degner seine letzten Jahre hier genießen konnte, darf bezweifelt werden. Der ehemalige Rennfahrer litt offenbar meist stark unter den Nachwirkungen seiner schweren Unfälle.

Auswanderung und Tod
Auch bei Suzuki Deutschland war er einige Zeit tätig und siedelte danach auf die Kanaren-Insel Teneriffa aus. Hier hatte er eine Autovermietung gegründet und war nebenbei auch noch als Renndienst-Leiter für Aral tätig. Wohl auch aufgrund immer wieder auftretender Schmerz-Attacken litt er zeitlebens unter den Nachwirkungen seiner schweren Unfälle. Auch starke Depressionen sollen die Zeit nach seiner Karriere erschwert haben. Sein Sohn fand ihn am 8. September 1983 tot in seiner Wohnung in Arona (Santa Cruz de Teneriffa), als er nach ihm sehen wollte. Die behördliche Untersuchung gab Herzversagen als Todesursache an. Später traten Gerüchte um seinen Tod auf. Es sollte sich angeblich um einen Stasi-Mord am „DDR-Verräter“ gehandelt haben. Beweise dazu wurden jedoch nie gefunden und sein vorzeitiges Ableben kann durchaus auch mit einer starken Tabletten-Abhängigkeit begründet werden.

Ein gutgelaunter Ernst Degner (links im Bild) im Gespräch mit dem tschechischen Urgestein Frantisek Stastný bei einem internationalen Rennen im Jahr 1960.

Einer der besten deutschen Rennfahrer aller Zeiten
Zusammen mit Heinz Rosner und Horst Fügner war Ernst Degner ohne Zweifel einer der erfolgreichsten Rennfahrer aus dem Osten Deutschlands. Als einziger der drei krönte er im Jahr 1961 seine Karriere sogar mit einem Weltmeistertitel. Während er Erfolge hatte und unbestritten einer der schnellsten Rennfahrer im GP-Zirkus war, hielten bestimmt viele zu Ernst, die ihm später wieder den Rücken zukehrten. Dieses Los teilte er mit sehr vielen erfolgreichen Sportlern nach ihrem Rücktritt. Man sollte auch nicht vergessen, was die Regierung der DDR an Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hatte. Unter diesem Aspekt sollte man die Umstände seiner Flucht und sein damit verbundenes Handeln nicht vorschnell verurteilen. Degner nur als Verräter und Werksspion hinzustellen halten wir daher für unangebracht. Behalten wir ihn doch bitte lieber mit viel Respekt vor seinem offenen und freundlichen Wesen und als sehr erfolgreichen Sportler und Rennfahrer in Erinnerung, der er zweifellos war!

Die Zusammenfassung seiner Karriere mit den wichtigsten Erfolgen steht auf unserer History-Hauptseite zu Ernst Degner.