Der 9-fache Weltmeister der ersten WM-Jahre aus Italien

Carlo Ubbiali erblickte am 22. September 1929 in Bergamo das Licht der Welt. Die Stadt liegt nordöstlich von Mailand am südlichen Rand der Alpen. Als der 2. Weltkrieg ausbrach, war er gerade einmal zehn Jahre alt. Carlo kam schon sehr früh mit Motorrädern in Kontakt. Sein Vater betrieb eine Werkstatt für Motorräder samt Ausstellungsraum in Bergamo, wo er diese auch verkaufte und die Wartung danach übernahm. Der talentierte Junior trat 1946 zusammen mit den Brüdern Maurizio und Franco zum ersten Mal in der Coppa di Bergamo auf dem Circuito delle Mura an und gewann gleich auf Anhieb. Leider wurde dieser Erfolg danach von einem Verkehrs-Unfall überschattet, bei welchem zwei Freunde der Familie auf dem Heimweg ums Leben kamen. Ubbialis Beziehung zu MV Agusta nahm im Jahr 1948 seinen Anfang, da sein Vater ab diesem Jahr Vertragshändler für die Marke aus Cascina Costa bei Mailand verkaufen. Die Firma Meccanica Verghera Agusta war ein neues und ehrgeiziges Unternehmen. Sie wurde vom Conte (Grafen) Domenico Agusta gegründet und war der Nachkrieg-Ableger des Luftfahrt-Unternehmens Agusta.

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Bergamo – die Heimatstadt Ubbialis in Norditalien, am südlichen Ausläufer der Alpen gelegen. Hier lebte der Italiener bis zu seinem Tod im Jahr 2020.

Die Kurse in den ersten Jahren der Nachkriegszeit
Einige Strecken in Italien waren nicht mehr in Betrieb, so zum Beispiel der Circuito del Lario bei Como, nahe seiner Heimatstadt. Vor dem Krieg wurde dort noch die „TT Italia ausgetragen“. Der letzte Sieger in der 500-er Klasse war am 30. Juli 1939 Nello Pagani, der bei FB-Mondial für 1949 als Werksfahrer verpflichtet wurde. Das Rennen von Milano-Taranto wurde erst ab 1950 wieder ausgetragen und bei Imola dauerte es sogar bis 1954. Nebst den Rennen in Livorno, Posillipo, Senigallia und San Remo gab es im Herkunftsland der Pizza trotzdem diverse Veranstaltungen in den ersten Nachkriegsjahren. Nebst Ubbialis Heimatstadt Bergamo fanden unter anderem auch in Cascina, Cesena, Ferrara, Pesaro, Piacenza und San Benedetto del Tronto Rennen statt. Auch im nahegelegenen schweizerischen Locarno fuhren natürlich viele Italiener mit.

Der Circuito delle Mura von Bergamo – die Heimstrecke von Carlo Ubbiali war die Stätte seines ersten Triumphes.

Die ersten 2 Jahre mit nationalen Rennen
Bei seinem ersten Sieg war Carlo im blühenden Alter von 27 Jahren und begann danach, bei weiteren nationalen Veranstaltungen teilzunehmen. Aufgrund seiner Jockey-Figur und des geringen Gewichts eignete er sich besonders für die kleineren Klassen. Ubbiali arbeitete als Mechaniker in der Werkstatt seines Vaters. Durch die Kontakte mit dem Werk wurde er von MV zur Teilnahme an einigen Testrennen eingeladen. Dabei beeindruckte er die Verantwortlichen der neuen Motorradmarke mit seinem Talent. Nach dem zweiten Platz hinter Franco Bertoni beim GP der Nationen von 1948 in Faenza erhielt er einen Vertrag als Fahrer. Carlo hatte sich seinen Platz im Team des Conte Augusta verdient und so wurde er zusammen mit Franco Bertoni und Giuseppe Matucci zum ersten Werksfahrer von MV Agusta.

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MV Agusta 125 cm³ von 1949 – die spätere Nobelmarke startete nach dem Krieg in der kleinsten Klasse mit einem Einzylinder-Zweitakter in der Weltmeisterschaft.

Die Werksteams der ersten Weltmeisterschaft 1949

Der erste 125 cm³ WM-Lauf mit dem GP der Schweiz
Die erste 125-er Motorrad-Weltmeisterschaft 1949 feierte ihr Debüt beim Schweizer GP. Nello Pagani auf FB-Mondial, der italienische 250 cm³ Meister von 1938 war der Mann, der dem ersten 125 cm³ Weltmeisterschaftslauf der Geschichte seinen Stempel aufdrückte. Mit seinem Sieg und der schnellsten Runde holte er sich in der ersten Runde somit 11 WM-Punkte. Das komplizierte Reglement von damals wird in einem Absatz weiter unten ausführlich erklärt. Zweiter wurde Renato Magi (Morini) vor Celeste Cavaciuti (FB-Mondial) und Carlo Ubbiali mit seiner Zweitakt MV. Mit Rang 5 komplettierte Umberto Masetti auf Morini den Triumph der Italiener und ihrer dominierenden Fabrikate. Platz 4 beim ersten WM-Lauf der Geschichte durfte sich für Ubbiali durchaus zeigen lassen, zumal sein Teamkollege Franco Bertoni leer ausgegangen war.

GP der Schweiz im Bremgarten-Wald bei Bern – die Gaststätte des ersten 125 cm³ WM-Laufs der Geschichte. Es fanden 1949 in dieser Klasse nur gerade 3 Runden innerhalb von 2 Monaten statt. Nach dem fürchterlichen Unfall beim Autorennen von Le Mans am 11. Juni 1955 wurden Rundstreckenrennen in der Schweiz ab sofort verboten. Daher kam es nach 1954 bereits nicht mehr zu einer Austragung der bereits auch vor dem Krieg bei Fahrern und Zuschauern schon sehr populären Veranstaltung.
Streckenkarte des GP von Bern.

Der GP von Assen mit der 2. WM-Runde von nur deren drei
Für den zweiten 125 cm³ Grand Prix der Geschichte ging es in die Niederlande, wo traditionsgemäß die Rennen bereits am Samstag stattfanden. Dies war ein geschichtsträchtiger Moment für Ubbiali und MV Agusta. Es gewann Bern-Sieger Pagani vor Mondial-Teamkollege Oscar Clemencich. Der Name des serbisch-stämmigen Italieners wurde oft falsch geschrieben. Dieser verlor durch einen Sturz beim Rennen von San Remo am 23. April im nächsten Jahr sein Leben. Mit 13 Sekunden Rückstand auf den Zweiten holte Carlo das erste Podium seiner Karriere. Dies galt natürlich auch für die Marke MV, es war ein Markstein in der Geschichte dieser Firma. Diese sollte in den 2 folgenden Jahrzehnten die Weltmeisterschaft zum Teil in sämtlichen Klassen und später in den höchsten Kategorien dominieren. Auf den Plätzen 4 und 5 folgten Carlos Landsleute Bertoni und Matucci (beide MV). Wie beim GP von Bremgarten in der Schweiz holten beim 2. von 3 WM-Runden nur Italiener Weltmeisterschaftspunkte. Mangels ernsthafter Konkurrenz aus den anderen Ländern holten 1949 auch keine Motorräder aus anderen Nationen in diesem Jahr WM-Zähler.

Vorstellung des 125 cm³ Racers von MV-Agusta in einer französischen Motorrad-Zeitschrift von 1949.

Die glücklose 3. und letzte WM Runde im Heimatland
Nachdem die von der Armee als Luftlandebasis genutzte Strecke von Monza kurz vor Ende des 2. Weltkriegs durch Luftangriffe arg in Mitleidenschaft gezogen wurde, war sie auf das Jahr 1949 wieder hergestellt worden. Im Land mit der Form eines Stiefels gastierte ab nun die Grand Prix Szene noch für sehr lange Zeit meist zum Saisonabschluss ausschließlich in Monza. Ubbiali ging diesmal genauso wie seine MV-Teamkollegen jedoch leer aus. Den GP der Nationen gewann Gianni Leoni (Mondial), der auch die schnellste Runde gefahren war. Zweiter wurde Umberto Masetti (Morini) vor Umberto Braga und Renato Magi (Morini). Nello Pagani reichte Platz 5 zur Sicherung seines WM-Titels.

Der 125 cm³ Weltmeister von 1949 – Nello Pagani auf seiner FB-Mondial. Im Jahr darauf trat er für Gilera in der 500 cm³ Klasse an und wurde WM-Vierter.

Erfolgreiche erste WM-Saison mit Entscheid zum Markenwechsel
Die Behauptung in einigen Berichten, Ubbiali hätte die Goldmedaille beim prestigeträchtigen internationalen Sechs-Tage-Zeitfahren in Wales geholt, hielt unseren Nachforschungen nicht stand. Trotzdem hatte der Italiener in seinem ersten WM-Jahr eine erfolgreiche Saison gezeigt. Ein dritter und ein vierter Platz in der ersten WM-Saison konnten sich durchaus sehen lassen. Offenbar konnte er sich mit MV Agusta nicht für die nächste Saison einigen und fand für 1950 daher bei Mondial Unterschlupf. WM-Rang vier hinter Weltmeister Paganni auf FB-Mondial und den beiden Morini Piloten Magi und Masetti war für Carlo Empfehlung genug. Und die Entscheidungsträger für seine Verpflichtung sollten ihre Wahl durchaus nicht bereuen. Ihre Mannschaft hatte bereits für die Saison 1949 als haushohe Favoriten auf den WM-Titeln gegolten und war dies auch für das Folgejahr.

Der MV 125 cm³ Zweitakt-Renner.

Randbemerkung zur ersten WM-Saison 1949

Mit Einführung der Motorrad-Weltmeisterschaft ging es fast genauso weiter wie vor dem Krieg, nur waren die deutschen Fahrer nicht zugelassen. Aber im Prinzip handelte es sich um eine daher sogar reduzierte Europa-Meisterschaft. Im Vergleich zu heute war die Anzahl der WM Runden damals mehr als überschaubar. In den ersten der Motorrad-WM waren es sogar meist weniger Rennen als in der Europa-Meisterschaft vor dem 2. Weltkrieg. Die 500-er Königsklasse bestritt 6 Rennen und die Saison dauerte keine 3 Monate. Dies war im Vergleich zu den kleineren Klassen sogar noch viel, da es exakt pro Kategorie tiefer eine WM-Runde weniger gab. Somit hatte Carlo Ubbiali im ersten Jahr der Weltmeisterschaft gerade einmal 3 Rennen (in Worten drei), um sich zu beweisen. Die letzte Europa-Meisterschaft von 1939 war in sämtlichen Klassen noch über 7 Runden ausgetragen worden.

Georg „Schorsch“ Meier – der Europameister von 1938 und Vize-Europameister 1939 wurde 1949 zum 3. Mal in Folge Deutscher 500 cm³ Meister. In der WM war Meier als Deutscher in den ersten 3 Jahren jedoch nicht startberechtigt.

Die Weltmeisterschaft 1949 bis 1951 – eine Farce

Carlo Ubbiali konnte in den ersten 3 Jahren der Weltmeisterschaft nicht gegen Piloten aus Deutschland um seinen Titel kämpfen. Diese wurden als Begleit-Erscheinung der Repressalien gegenüber dem ehemaligen Nazi-Deutschland pauschal für ihr Land zusammen mit der Bevölkerung bestraft. Wir reden hier von einem Zeitraum von bereits 4 bis 7 Jahren nach Kriegsende. Sportlich gesehen eine mehr als fragwürdige Handlungsweise. Gerade wenn man bedenkt, dass die Versailler Verträge nach dem 1. Weltkrieg mitunter die Nazi-Herrschaft überhaupt erst begünstigt hatten. Offensichtlich hatte man aus der Geschichte jedoch rein gar nichts gelernt.

Ewald Kluge – der 250 cm³ Europameister von 1938 und 1939 auf DKW war ebenfalls ein Opfer der unsinnigen Repressalien, noch viele Jahre nach dem 2. Weltkrieg. Bei nicht zur WM zählenden Rennen fuhr er genauso wie Schorsch Meier bis 1952 noch zahlreiche Siege ein.

Das Beispiel von vor dem Krieg
Tatsache bleibt, ohne Startberechtigung der deutschen Piloten fehlten natürlich auch die Werke wie BMW, DKW und NSU. Nachfolgend zur Verdeutlichung eine Statistik der letzten Europameisterschaft von 1939 mit 7 Runden à je 3 Rennen. Mehr als die Hälfte von diesen 21 Läufen wurden von Fahrern aus Deutschland gewonnen. Fast alle dieser Piloten waren auch nach dem Krieg noch aktiv. Georg „Schorsch“ Meier wurde wie 1938 nach dem 2. Weltkrieg sogar mehrfacher Deutscher 500 cm³ Meister. Auch Heiner Fleischmann kam, wie bereits vor dem Krieg schon, auch danach nochmals zu nationalen Titel-Ehren. Dazu war auch Ewald Kluge nach dem Krieg wieder sehr erfolgreich unterwegs.

Ewald Kluge und Siegfried Wünsche holten ab 1952 sogar wieder WM-Punkte. Obwohl sie nach dem 6 Jahre dauernden Krieg noch 7 Jahre für ihre WM-Teilnahme warten mussten, statt deren 4 wie die Fahrer aus allen andern Ländern.

Die Punktevergabe seit Einführung der WM

Nachfolgend die halbe Wissenschaft, welche zur Punkte-Berechnung der Motorrad-Weltmeisterschaft von der FIM (weltweit oberste Motorsportbehörde) in gewissen Jahren festgelegt wurde. In den ersten 20 Jahren kann man zusammenfassend festhalten, dass Konstanz nicht belohnt, sondern eher bestraft wurde. Nach heutiger Berechnungsweise hätte damals manche Weltmeisterschaft einen anderen Titelgewinner gehabt. Ein gutes Beispiel dafür findet sich in unserer History mit der Geschichte von Hans Georg Anscheidt, siehe Teil 2 über den mehrfachen Weltmeister aus Deutschland.

Erste 125 cm³ Fahrer-Weltmeisterschaft 1949

‚Im Gegensatz zu einigen falsch orientierten Quellen pilotierte Carlo Ubbiali in seiner ersten WM-Saison eine MV Agusta. Er war offizieller Pilot von MV Agusta (daher der * beim Bike des Italieners) in dieser Saison und unterschrieb erst für das Jahr 1950 bei FB-Mondial.

Nachdem damals nur die ersten 6 Fahrer eines Rennens WM-Punkte gewinnen konnten, hier zur Vollständigkeit auch die Piloten, welche bei einem GP auf Rang 7 bis 10 ins Ziel gekommen waren (mit den damals üblichen Ländercodes): A. Attolini (I, MV Agusta), Carlo Gobetti (I, Moretti), Hans Haldemann (CH, Puch), Tonnie Heinemann (NL, Eysink), Kees Huybregts (NL, Eysink), Jakob Keller (CH, MV Agusta), Gijs Lagerveij (NL, Sparta), N. Luybregts (NL, CZ), Dick Renooy (NL, Eysink), Jan Rietveld (NL, DMF), Toon van Zutphen (NL, Eysink), Luigi Zinzani (I, MV Agusta), W. Zijlaad (NL, MV Agusta).

Erste 125 cm³ Hersteller-Weltmeisterschaft 1949

Weiter siehe Teil 2 der Story über Carlo Ubbiali..