Unsere Aufnahme mit im Vordergrund der Haupttribüne von Assen am bitterkalten WorldSBK-Sonntag von 2019 kurz vor dem Start. Am Vortag hatte aufgrund der eisigen Temperaturen und Schneefall im April sogar der erste Lauf abgesagt werden müssen. Daher gab es statt dem Tissot-Sprintrace und Lauf 2 am Sonntag zwei Rennen über die volle Distanz.

Das dritte Event von 2024 – mit hoffentlich offenem Ausgang

Für Kenner der Szene war nach Bekanntgabe der für diese Saison neu festgelegten Drehzahl-Limits der WorldSBK die ersten beiden Runden eigentlich an Ducati gehen müssten. Statt die zum Saisonende des Vorjahres gültigen Maximaldrehzahlen beizubehalten, wurde durch die FIM wieder auf die Werte vom Jahresbeginn zurückgestellt. Damit war erneut die Ducati Panigale V4R gegenüber der Konkurrenz vor allem von Yamaha und Kawasaki klar bevorzugt, welche in Beschleunigung und Topspeed auf den ersten beiden Kursen deutlich benachteiligt waren. Die wenigen Kilo Zusatzgewicht, welche Alvaro Bautista seit dieser Saison auf sein Motorrad packen muss, entsprechen nur der Hälfte seines Gewichtsvorteils nach Einführung des Minimalgewichts für Pilot und Maschine per 2024. Der Spanier hatte in Barcelona jedoch das Pech, bei den ersten beiden Rennen von ungewohnt weit hinten starten zu müssen, womit er selbst auf dem Circuito de Cataluña nahe Barcelona nicht mehr die Überlegenheit der beiden Vorjahre mehr ausspielen konnte. Damals hatte er ohne unnötige Risiken eingehen zu müssen sämtliche jeweils drei Läufe gewonnen. Aber ohne lange Start-Zielgerade in Assen rechnen die Experten beim dritten Event dieser Saison mit einem hoffentlich endlich wieder offenem Ausgang.

Streckenskizze der „Cathedral of Speed“ nahe Assen, mit dem aktuellen Layout seit 2006, seitdem die Strecke das letzte Mal verkürzt wurde und nun 4.555 Kilometer misst. Mit vielen schnellen und flüssigen Passagen ist dies einer der Lieblingskurse von Rekord-Weltmeister Jonathan Rea. Damit könnte der Nord-Ire hier erstmals auf der für ihn immer noch recht neuen Yamaha R1 womöglich endlich wieder in den Kampf um die Spitze mitkämpfen.
In Rotschrift die Zahl, welche eine Mehrleistung gegenüber Yamaha und Kawasaki von rund 10 bis 15 PS bedeutet und damit wie seit 2019 fast durchgehend üblich, klar die MotoGP Replica von Ducati bevorteilt.
Der bisher schlimmste Unfall in der WSBK passierte 1996 bei Crash von Yasutomo Nagai, der nach seinem Sturz von seiner Yamaha tödlich getroffen wurde und 2 Tage später an den dadurch erlittenen Verletzungen verstarb. Mehr über die früheren Jahre siehe auf dieser Seite unter „History“ in unserer reich illustrierten Geschichte der Superbike Weltmeisterschaft.

Die lange WorldSBK Geschichte und die erfolgreichsten Piloten

Von bis 2023 insgesamt 36 Weltmeisterschaften der World Superbikes fand ab 1992 ununterbrochen jährlich eine Runde in Assen statt. Den Rekord mit je 12 Siegen in Assen teilten sich bis 2019 der Beste und Zweitbeste Fahrer der WSBK Geschichte, Jonathan Rea aus Nord-Irland und der Engländer „King“ Carl Fogarty. Nachdem Rea 2019 auf sämtlichen schnelleren Strecken materialbedingt gegenüber der MotoGP Replica von Ducati mit Bautista klar benachteiligt war, konnte er ab 2020 trotzdem die alleinige Führung übernehmen, da der Spanier auf der Honda für zwei Jahre zur Randfigur wurde. Jonathans Marke von mittlerweile 17 Siegen in der „Cathedral of Speed“ dürfte für geraume Zeit, wenn nicht gar auf ewig, wohl unerreicht bleiben. Nebst „Foggy“ beinhaltet die Liste der Assen-Sieger fast sämtliche großen Namen der WSBK-Historie. Nebst Troy Corser fehlen dabei höchstens die beiden Italiener Max Biaggi und Marco Melandri, sowie der Waliser Chaz Davies.

Unsere Statistik der WorldSBK Sieger von Assen bis 2019, dem Jahr in welchem sich für die Superbike Weltmeisterschaft durch Einführung der MotoGP Replica von Ducati der gravierendste Eingriff in ihrer Geschichte ereignete. Obwohl Rea aufgrund seiner Ausnahmeklasse seinen Titel auch in dieser Saison verteidigen konnte, veränderte sich ab diesem Jahr die ganze Serie. Echte Superbikes sind und waren Motorräder, die man beim Händler kaufen konnte, um damit sportlich im öffentlichen Straßenverkehr unterwegs sein zu können. Die Panigale V4R war jedoch rein für die Rennstrecke konzipiert.
„King Carl“ Fogarty – der hinter Johnny Rea zweitbeste Pilot in der WorldSBK Geschichte. Bis jemand seine 4 Titel von 1994 bis 1999 übertreffen wird, dürfte noch sehr viel Zeit vergehen. Leider wird durch das ab 2019 neu eingeführte Sprintrennen und dessen von der Mehrheit fehlinterpretierten Bedeutung seine Zahl von 59 Rennsiegen (wohlgemerkt über die volle Distanz) unsinnigerweise drastisch abgewertet.

Die kuriose Geschichte um den ersten Assen Sieger der WSBK

Den ersten Sieg in einem WSBK Lauf in Assen sicherte sich am 13. September 1992 der US-Amerikaner Doug Polen, welcher in seiner zweiten Saison der Superbike Weltmeisterschaft erfolgreich seinen Titel aus dem Vorjahr verteidigen konnte. der im selben Jahr auf seiner privaten „Fast by Ferracci“ Ducati auch den WM-Titel haushoch überlegen vor Titelverteidiger Raymond Roche (Frankreich) auf dessen Werks-Ducati gewann. Viele Jahre später versuchte der italienische Hersteller gar, die Geschichte zu fälschen und Polen im Nachgang zum Werksfahrer zu erklären, aber die Programmhefte aus den 90-ern lügen nicht. Selbst dies hinderte fragwürdige Journalisten der späteren Jahre nicht daran, diesen Statistik-Betrugsversuch zu unterstützen. Wahr und belegbar ist jedoch, dass nach der Blamage des Werksteams 1991 durch das US-Amerikanische Team des genialen Eraldo Ferracci und seines Piloten Doug Polen, die Integration in die offizielle Werksmannschaft erst auf das Folgejahr eingeleitet wurde. In der Tuningszene gehörte Ducati-Spezialist Eraldo Ferracci zu den ganz Großen. Der italienisch stämmige Auswanderer lebte ab Ende der 1960-iger Jahre in den USA. Was er und sein Fahrer 1991 geleistet haben, als sie auf den für sie fast allesamt unbekannten Rennstrecken auf Anhieb die Konkurrenz deklassierten, ist selbst heute noch schwer zu fassen.

Rekordsieger Doug Polen in der Bildmitte mit links von ihm dem Zweitplatzierten Stephane Mertens, seinem Teamkollegen aus Belgien in der Ducati-Werksmannschaft, auf dem Podium nach dem ersten Lauf 1992 in Assen. Im Jahr davor hatte der US-Boy auf seiner privaten Ducati 888 eine unglaubliche Siegesserie als 17-facher Gewinner hingelegt, welche erst 27 Jahre später vom besten Fahrer aller Zeiten egalisiert wurde.
Unsere Aufnahme im Paddock von Assen 2019 mit Jonathan Rea auf seinem Kawasaki-Kurzstreckenflitzer. In diesem Jahr bei großer Kälte war er auf der ZX-10RR chancenlos, aber in den beiden Folgejahren holte er nicht weniger als 5 weitere Siege, um seither als 17-facher Gewinner wohl einen Rekord für die Ewigkeit zu halten. Ob er auf der Yamaha R1 ab 2024 diese Zahl noch erhöhen kann, gilt derzeit eher als fragwürdig.

Offene Ausgangslage für Assen 2024?

Mit Alvaro Bautista und seinem neuen Werks-Ducati Teamkollegen Nicolo Bulega sollten die Aruba.it Männer nach dem Dreifachsieg des Spaniers im Vorjahr laut Papier den Sieg unter sich ausmachen. Aber allzu sicher können sich die beiden trotz schnellstem Material in den Niederlanden trotzdem nicht sein. Weil Toprak Razgatlioglu auf der für diese Saison stark verbesserten BMW M-1000RR auf Anhieb siegreich war, gehört das türkische Ausnahmetalent selbstverständlich zu den Topfavoriten für die oberste Stufe auf dem Podium. Da in der „Cathedral of Speed“ womöglich die Vorteile der PS-stärkeren MotoGP Replica von Ducati zudem weniger als in den ersten beiden Runden zu tragen kommen, haben auch Piloten wie Alex Lowes (Kawasaki) und dessen ehemaliger Teamkollege Johnny Rea (Yamaha) jedoch ebenfalls wieder gute Chancen, um den Sieg ein ernsthaftes Wörtchen mitzureden. Zumindest beim Kampf um das Podium gehören dazu auch die Yamaha Piloten Andrea Locatelli, Domi Aegerter und Remy Gardner, sowie Danilo „Petrux“ Petrucci und Andrea „The Maniac“ Iannone auf ihren privaten Ducatis genauso wie Lokalmatador „Magic Michael“ van der Mark (BMW) zu den Anwärtern auf die vordersten Plätze.

Troy Bayliss auf der Werks-Ducati, welche zu Saisonbeginn 2000 noch von WSBK Ikone Carl Fogarty bewegt wurde. Dessen schwere Verletzung in der Heimat des Australiers zu Saisonbeginn hatte dazu geführt, dass Troy seine Karriere statt in der britischen Meisterschaft BSB in der Superbike Weltmeisterschaft fortsetzte. Damit wurde er in Folge drittbester WorldSBK Pilot der Geschichte und bis heute der Einzige, welcher (2006 beim Saisonfinale in Valencia) einen MotoGP Grand Prix gewinnen konnte, natürlich auf Ducati. Mit sechs Siegen (über die volle Distanz, sprich auch mit voller Punktzahl) ist er der drittbeste WSBK Held in Assen.
Das Cover des Programmhefts der WSBK von Assen vor 30 Jahren – mehr über die Geschichte der Superbike Weltmeisterschaft siehe auf unserer Seite unter „History“. In den goldenen 90-er Jahren hatte die Prototypen WM sehr oft deutlich weniger Zuschauer als die WorldSBK. Dies lag bestimmt auch daran, dass die damals antretenden Motorräder zu den Verkaufsrennern bei den Herstellern gehörten, sowie Piloten wie „King Carl“ Fogarty, Pierfrancesco Chili, Colin Edwards, die beiden australischen Troys und „Nitro Nori“ Haga absolute Helden für die Fans waren.

Die Situation in der Weltmeisterschaft nach 2 Runden

Nachdem die ersten vier der Zwischenrangliste nur durch 16 Punkte getrennt sind, kann die WM-Führung bereits nach Lauf 1 am Samstag ändern. Aber auch die zweite Gruppe mit Iannone, Petrux, Locatelli und van der Mark liegt nicht allzu weit zurück, um mit guten Resultaten am zweitletzten April-Wochenende den Top 4 näher zu rücken, oder womöglich gar dazuzustossen und diesen illustren Kreis zu erweitern. Davon kann Yamaha Neuzugang Jonathan Rea derzeit erst für den Sommer hoffen, sollte er die riesige Lücke bis dann schließen wollen, was aus eigener Kraft derzeit jedoch fast unmöglich scheint. Erfreulich ist jedenfalls aktuell der Umstand, dass mit Toprak und Alex Lowes zwei Konkurrenzfabrikate von Ducati mal wieder vorne mit dabei sind. Nach zwei fürchterlich eintönigen Jahren, als der Sieger mit Bautista meist schon vor dem Start feststand, ist dies das herausragendste Merkmal vor der dritten Runde in Assen.

Andrea Locatelli (Yamaha) vor Lokalmatador Michael van der Mark (BMW), Alex Lowes (Kawasaki) und dem Australier Remy Gardner (Yamaha) – diese vier gehören definitiv zum Kreis der Podest-Anwärter für 2024 in der dritten Runde der WorldSBK. Natürlich muss man auch die auf dieser Aufnahme dahinter liegenden Alvaro Bautista (Ducati) und Dominique Aegerter (Yamaha, mit der 77) mit auf der Rechnung haben. Bei Danilo Petrucci mit der Nummer 9 hingegen wird es nichts mit einer Rückkehr nach Assen, da er nach einer schweren Verletzung beim Motocross Training in Italien mit zahlreichen Brüchen im Spital liegt.

Das WM-Programm der dritten von 12 Runden

Während die für das weibliche Geschlecht eingeführte Meisterschaft noch bis Misano warten muss, bildet der R3 World Cup das Rahmenprogramm in Assen. Die beiden Rennen dieser Nachwuchsserie finden um 11:50 Uhr am Samstag und Sonntag statt. An den Zeiten für die Weltmeisterschafts-Trainings und Rennen hat sich gegenüber Barcelona nichts geändert. Laut Wetterprognose für den Circuit van Drenthe ist mit erneut recht tiefen Temperaturen zu rechnen, was zweite Aprilhälfte in dieser Region auch wenig wundert. Eine etwa 30 bis 40-Prozentige Regenwahrscheinlichkeit macht die Sache auch nicht besser. Ausser 2021, als im Sommer gefahren wurde, lagen nach 2018 die Temperaturen stets deutlich unter 20 Grad Celsius und diesmal droht wie 2019 das Thermometer am Wochenende gar unter 10 Grad zu fallen. Aber seit vielen Jahrzehnten gehörte Kalenderplanung nicht zu den Stärken von FIM und Dorna, weshalb dies von den Fans jeweils so akzeptiert werden muss.

Unsere Aufnahme von der Paddock Show 2019 mit einem trotz verpassem Sieg strahlenden Jonathan Rea, damals noch im Kawasaki Outfit. Seit 2010 hatte er bis dahin einzig in der Saison 2013 in Assen keinen Lauf gewonnen, was sich leider 2023 wiederholen sollte. Nicht nur seine Fans hoffen, dass er auf der Yamaha R1 auf einer seiner absoluten Lieblingsstrecken diesmal wieder um den Sieg mitkämpfen kann.

Wo nicht anders erwähnt gilt bei allen Bildern (© WorldSBK).