Zum Gedenken an einen französischen Zweiradhelden

Olivier Chevallier war ein französischer Motorrad-Rennfahrer. Er kam am Sonntag, dem 06. April 1980, beim Rennen zum „Moto Journal 200“ auf der Rennstrecke von Paul Ricard ums Leben. Olivier war eine der beliebtesten Figuren im Continental Circus. Sein Todestag jährte sich dieses Jahr zum vierzigsten Mal. Aus diesem Anlass wollten wir unseren Teil dazu beitragen, dass eine der prägendsten Figuren Frankreichs im Motorrad-Rennsport der 1970-er Jahre nicht vergessen gehen soll. Leider sind Wiki und ähnliche Internetportale oft durchaus hilfreich, aber viel zu häufig unpräzise und dazu manchmal schlicht fehlerhaft. Daher sind viele Berichte, die wir im Internet über Olivier Chevallier fanden, in zahlreichen Punkten mehr als unvollständig und inhaltlich zum Teil falsch. Beispielsweise wurden dabei auch gerne mal sein Bruder Alain und sein beinahe-Namensvetter namens Roger Chevalier (man beachte dabei das eine „L“ im Nachnamen statt deren zwei) verwechselt. Letzterer war französischer Meister bis 500 cm³ 1963 (Kategorie national). Da wir unter anderem im Besitz einer riesigen Sammlung französischer Moto- und Rennsportjournale des vorigen Jahrhunderts sind, konnten wir für vorliegenden Nachruf dankbar darauf zurückgreifen.

Vendôme im Département Loir-et-Cher in der Region Centre-Val de Loire – der Geburtsort von Olivier Chevallier.

Geburt und Herkunft
Olivier Chevallier wurde 1949 in Vendôme in Frankreich geboren. Dies ist eine französische Kleinstadt mit etwas über 15-tausend Einwohnern im Département Loir-et-Cher in der Region Centre-Val de Loire. Vendôme liegt am Fluss Loir, welcher die Altstadt mit zwei Armen umgibt. Die Kleinstadt liegt etwa in der Mitte zwischen Le Mans und Orléans, rund 170 Kilometer südwestlich von Paris. Er wurde zu Beginn von seinem Vater, einem Hobby-Motorradfahrer, gefördert. Er war es, der den jungen Olivier von Zeit zu Zeit mitnahm, um die Rennen von Le Mans und Linas-Montlhéry zu besuchen. Dadurch wurde der Sohn bereits früh für den Motorsport begeistert. Er war der fünfte einer Familie mit acht Kindern. Dies erklärte, weshalb er Zeit seines Lebens sehr Familienverbunden blieb.

Alain Chevallier – Oliviers Bruder war selbst längere Zeit eng mit dem Rennsport verbunden.

Oliviers Bruder Alain
Sein älterer Bruder Alain (nicht er wie in einigen Foren fälschlicherweise behauptet wurde, sondern ein Roger Chevalier gewann auf Triumph die französische 500 cm³ Meisterschaft) wurde Motorradkonstrukteur. Im Jahr 1982 fuhr Didier de Radiguès mit einem von Chevallier entworfenen Fahrwerk und Yamaha Triebwerk zum Sieg beim 350 cm³ Grand Prix von Jugoslawien. In der Weltmeisterschaft wurde der Belgier hinter dem Deutschen Toni Mang (Kawasaki) 350-er Vize-Weltmeister. Sein Chevallier-Yamaha Teamkollege Eric Saul gewann den Großen Preis von Österreich und beendete die Meisterschaft auf dem vierten Platz. Im Jahr darauf landeten sämtliche drei Piloten von Chevalliers Team mit de Radiguès, Thierry Espié und Jean-François Baldé (beide Frankreich) in den Top Ten der 250 cm³ Weltmeisterschaft. Baldé gewann 1983 auch den 250-er Grand Prix von Südafrika. Nach 1986 nahmen keine Chevallier-Yamaha mehr an Grand Prix Rennen teil. Alein Chevallier arbeitete später auch als Designer für die französische Marke Voxan. Er starb am 3. Oktober 2016 mit 68 Jahren an Krebs.

„Les jeunes Tigres“ eine Nachwuchsserie unter dem Patronat von Esso – Olivier Chevallier mit Startnummer 2 im Vordergrund als dritter von rechts. Aus der französischen Zeitschrift „Scooter et Cyclomoto“ Nr. 172 von 1966.

Rennsport-Begeisterung und die ersten Schritte
Als Sportfan begann der junge Chevallier als Teenager mit Go-Kart-Rennen. Oliviers erstes eigenes Kleinmotorrad war eine 50-cm3-Motobi Sport, welche er sich von seinen Ersparnissen im Alter von 16 Jahren kaufte. Kurze Zeit später wechselte er auch im Rennsport auf zwei Räder und nahm 1966 im Alter von 17 Jahren an der „Jeunes Tigres Challenge“ teil. Die von der Mineralöl- und Treibstoff-Firma Esso gesponserte Serie wurde gegründet, um junge Talente zu entdecken und zu fördern. Die Aufsicht hatte damals Georges Monneret, ein seit den 1930er Jahren bekannter französischer Motorrad-Rennfahrer. Für die jungen Fahrer galt es, diese über eine komplette Rennsaison zu fördern und sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Olivier Chevallier gewann den Titel des „Jungen Tigers“. Der Grundstein für seine Rennsport-Karriere war damit gelegt.

Die vielleicht früheste Fotografie des jungen Rennfahrers Olivier Chevallier – aus der französischen Zeitschrift „Scooter et Cyclomoto“ Nr. 172 von 1966. Links davon die Rangliste eines Meisterschaftslaufs, mit Olivier auf Rang 6.
Eine 250 cm3 Aermacchi Ala D’Oro – das Motorrad hatte eine Leistung von über 25 PS und erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von rund 180 bis 190 Km/h.

Weitere Schritte und ein kurzer Unterbruch vor der Rückkehr
Es folgten nationale Rennen in der Kategorie 250 cm³ mit einer 1-Zylinder 4-Takt 250 cm³ Aermacchi Ala D’Oro. Damit hatte Olivier Chevallier auch 1967 einige Erfolge zu verbuchen. Am Ende der Saison beschloss er jedoch, den Rennsport für eine Weile aufzugeben und sein Architekturstudium wieder aufzunehmen. Aber die Leidenschaft für den Rennsport brannte weiter in ihm und deshalb kehrte er nach 2 Jahren wieder auf die Pisten zurück. Olivier gewann die französische Meisterschaft mit einer Yamaha TD1C 250 mit Siegen in Magny-Cours, Le Mans und Linas-Montlhéry.

Ein Zeitungsbericht in der Ausgabe Nr. 177 im März 1967 von „Scooter et Cyclomoto“ über Olivier Chevallier und seinen Wechsel in die 250 cm³ Klasse.

Erster internationaler Erfolg
Im September 1970 wurde Olivier Chevallier von dem Briten Peter Darvill engagiert. Es ging darum, auf einer Honda 750 den Standardfahrer Norman Price zu ersetzen. An der Seite von Darvil trat er im daher im September zum prestigeträchtigen Bol d’Or in Linas-Montlhéry an. Der Bol d’Or (französisch goldene Schale) gehörte bereits seit den 1920-er Jahren zu den bekanntesten 24-Stunden-Motorrad-Rennen. Er wurde erstmals 1922 in Vaujours en Seine St Denis ausgetragen. In der Regel findet der Bol d’Or am dritten Wochenende im September statt. Das Rennen wird üblicherweise am Samstag um 15:00 Uhr gestartet und endet am Sonntag um 15:00 Uhr. Die Tradition dieser Veranstaltung, mit einem Unterbruch während dem 2. Weltkrieg von 1940 bis 1946, hat noch heute Bestand. Die britisch-französische Paarung Darvill-Chevallier belegte den sensationellen 2. Gesamtrang hinter den Siegern Tom Dickie/Paul Smart auf einer Werks-Triumph 750. Spätestens ab nun war der erst 21-jährige Olivier als Rennfahrer im ganzen Land und über dessen Grenzen hinaus bekannt.

Titelseite des französischen Magazins „Cyclo Moto“ Nr. 213 von 1970 – der Bol d’Or war die Titelstory dieser Ausgabe. Für Olivier Chevallier war dieses Rennen der erste internationale Höhepunkt in seiner Karriere.

Auszug aus der Siegerliste vom 34. Bol d’Or in Montlhéry vom 12. bis 13. September 1970

Harte Zeiten zu Beginn der frühen 70-er Jahre
Nach durchaus nicht nur mittelmäßigen Ergebnissen in der Saison 1971 entschied Chevallier, dass er sich nicht mehr alleine auf seinen Vater verlassen sollte, um seine Rennkarriere fortzusetzen. Damit begann seine fast endlose Suche nach Sponsorengeldern. Immerhin hatte er bereits beachtliche Erfolge bei nationalen und internationalen Rennen vorzuweisen. Platz 3 in Linas-Monthlery in der 125-er und 250-er Klasse folgte Rang 2 in Reims in der Kategorie 250 cm³. Am 20. Juni 1971 kam ein dritter Platz in der Klasse 350 bis 500 cm³ in Magny-Cours dazu. Im Herbst holte Olivier sich noch einen 2. Rang bei den 250-ern, sowie zwei dritte Plätze (250 cm³ und 350-500 cm³) in Linas-Monthléry. Dank seiner Hartnäckigkeit gelang es ihm, 1972 zum „Continental Circus“ in den GP-Sport aufzusteigen. Er kaufte zwei Yamaha Production-Racer Motorräder, um in den Kategorien 250 und 350 cm³ teilzunehmen.

Eine 250 cm³ Yamaha aus der Zeit der Anfangsjahre in dieser Klasse von Olivier Chevallier.

Vergebliche Anreise nach Deutschland
Für fast sämtliche Piloten in den 1970-er Jahren waren die Zeiten für Privatfahrer in der Regel extrem hart. Wer sich darüber ein Bild machen möchte, dem seien Bücher wie beispielsweise das über die Geschichte von Gustl Auinger empfohlen. Der Österreicher und ehemalige GP-Pilot ist heute vielen als Co-Kommentator bei Servus TV bekannt. Oft lebten die Fahrer damals von der Hand in den Mund und bei internationalen Rennen herrschte in diesen Jahren eine ziemlich fragwürdige Zulassungs-Politik. Dies erlebte auch Olivier Chevallier, als er zum GP von Deutschland 1972 anreiste. Die Organisatoren verweigerten seine Teilnahme am Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring und er durfte tatenlos wieder zurückreisen. Noch im selben Jahr sollte sich herausstellen, dass die Entscheidung der Rennleitung vom Nürburgring ein indiskutabler Fehler war, den Franzosen damals nicht zum Training und Rennen antreten zu lassen.

Rodney Gould (Yamaha), Dieter Braun (Maico) und Barry Sheene (Yamaha) in der 250 cm³ Klasse 1972 waren einige Gegner von Olivier Chevallier in dessen erster GP-Saison.

GP-Premiere beim Heimrennen – erster Punkt in Finnland
Seine erste WM-Erfahrung fand eine Woche später beim Großen Preis von Frankreich in Clermont-Ferrand statt. Chevallier schloss sich im 250 cm³ Rennen einer Gruppe vor ihm liegender Fahrer an, bevor ein mechanisches Versagen sein Rennen beendete. Die beiden Engländer Rodney Gould und der blutjunge Barry Sheene gehörten damals zu seinen Konkurrenten. Der Superstar und Weltmeister hieß in diesem Jahr noch Jarno Saarinen und stammte aus Finnland. Die große Zeit des Barry Sheene sollte erst noch kommen. Olivier Chevallier erzielte beim letzten GP der Saison das beste Ergebnis. Beim Großen Preis von Finnland in Imatra erreichte der Franzose den beachtlichen 7. Platz und holte sich seinen ersten WM-Punkt. Zu dieser Zeit war das System für die Vergabe von Weltmeisterschafts-Punkten noch eine halbe Wissenschaft. Je nach Kategorie zählten damals nur die besten 5 oder 7 Rennen eines Fahrers pro Saison. Olivier belegte am Saisonende in der 250 cm³ Klasse zusammen mit 5 weiteren Fahrern den 43. Gesamtrang.

Die Technik in den frühen 70-er Jahren war noch denkbar einfach, hier als Beispiel der Einzylinder-Viertakt-Motor einer 125 cm³ Ducati. Im Rennsport begannen sich zu dieser Zeit immer mehr die Zweitakter durchzusetzen. Nach der Saison 1974 verschwanden die Viertakt-Motoren im GP-Sport fast vollständig, bis für das Jahr 2002 die MotoGP Klasse eingeführt wurde. 8 Jahre danach löste die Moto2 die 250 cm³ Klasse ab und 2012 erfolgte die Einführung von 250 cm³ Einzylinder-Viertaktmotoren der Moto3 anstelle der 125-er Kategorie. Damit wurden die Zweitakter endgültig aus dem GP Sport verbannt.

Weiter geht es in Kürze mit Teil 2 über Olivier Chevallier..