Nachfolgend ein Interview mit Lenz Leberkern, anlässlich eines Besuches an seiner Wirkungsstätte, geführt vor Saisonbeginn 2019. Lenz Leberkern ist eine Ikone des Motorsports in Deutschland, insbesondere als langjähriger Kommentator bei Eurosport, in den letzten über 10 Jahren meist mit Dirk Raudies als Co-Kommentator.

Frage: Wer wird SBK Weltmeister 2019?

Lenz: (lacht schallend), der war gut. Kann ich den nochmal in Zeitlupe haben?

Die Frage hätte eigentlich anders formuliert sein müssen. Warum wird Johnny Rea wieder Weltmeister (lacht).

Ähm, Johnny Rea ist ein exzellenter Fahrer. Johnny Rea hat das Glück gehabt, Glück und Pech, erstensmal sich mit Honda die Knochen kaputt fahren zu müssen und ein Motorrad permanent überm Limit bewegen zu müssen und mit der Kawasaki ein Motorrad hingestellt zu bekommen, das ein Tom Sykes so genial konstruiert hat, oder nicht konstruiert hat, sondern mit entwickelt hat das er sich darauf setzen hat können und quasi rumrollen hat können. Also der hat völlig entspannt diese Rennen fahren können. Und was vor allem bei Johnny Rea noch mit reinspielt, er hat sehr, sehr oft das Glück des Tüchtigen. Johnny fährt relativ fehlerfrei, oder äußerst fehlerfrei, macht ganz, ganz wenige Fehler und wenn er dann doch mal einen Fehler macht, oder doch mal Pech hat und es doch mal nicht so gut läuft, dann läuft’s für die anderen noch schlechter. Die anderen machen viel mehr Fehler, die anderen haben viel öfter ein technisches Gebrechen, was auch immer, Johnny wird dritter oder vierter, gewinnt mal nicht und seine Hauptkonkurrenten werden fünfter, sechster, siebter. Das ist halt das Glück des Tüchtigen, das er auch hat.

Frage: Wer wird JR‘s grösster Gegner in der Saison 2019?

Lenz: Das ist schwierig. Ein Michael van der Mark, den ich persönlich auch gern mag, von der Art her, überschätzt sich ein bisschen, Lowes ist nach wie vor zu ungestüm, zu unstetig, die V4 ist für mich persönlich noch relativ schwer einzuschätzen. Die hat genauso viele Vorschuss Lorbeeren gekriegt wie ne R1 und wie lange hat ne R1 gebraucht bis sie gewonnen hat? Und ein Chaz Davies macht mir zu viele Fehler, der macht mir zu oft, zu viele Fehler.

Frage: Und der Alvaro Bautista?

Lenz: Alvaro ist noch schwer einzuschätzen. Also, ich halte den Alvaro für einen guten, aber der hat auch ne Umstellung zu bewältigen, wie alle anderen auch, zum teil auch mit Rennstrecken sich erstmal zurechtzufinden. Im ersten Jahr denke ich jetzt mal, wird er gut daran tun, sag ich jetzt mal, sich mit dem Chaz Davies so viel wie möglich auseinander zu setzen und von Ihm so viel als möglich über die Strecken und das Motorrad zu lernen. Der Vorteil für ihn ist, dass sie beide bei null anfangen was die V4 betrifft. Ähm, aber ja, trau ich mich nix zu sagen, muss ich ganz ehrlich sagen. Weiß ich nicht.

Antwort auf die Frage, die du nicht gestelllt hast, Reiti und Tom Sykes. Ich habe letztes Jahr schon gesagt und bin fest davon überzeugt, BMW hat sich kaum einen besseren Mann holen können als den Tom Sykes. Es gibt kaum einen besseren Entwickler in der Superbike WM, bin ich der Meinung. Der hat aus einem Motorrad das für ne schnelle Runde gut war, ein Sieg-Motorrad gemacht, ein WM Motorrad gemacht, von dem auch ein Johnny Rea heute noch profitiert. Ein Reiti, wenn er sich gut mit dem Tom versteht, der Tom ist ein exzellenter, also auch menschlich ein exzellenter Mensch. Dann kann er viel von Tom lernen. Inwiefern die beiden kompatibel sein können ist ne andere Geschichte. Weil wenn man z.B. jetzt anschaut, Chaz Davies und Melandri, die konnten überhaupt nix voneinander wollen. Die haben komplett unterschiedliche Set Up’s gefahren, von der Statur her komplett unterschiedlich. Leute, die auf Melandri’s Motorrädern gesessen sind und gefahren sind, die haben sich gefragt wie der auf dem Ding überhaupt fahren kann. Der hat ne ganz komische Einstellung (Anmerkung Interviewer: damit ist natürlich das Setup des Motorrades gemeint, nicht etwa Melandris Einstellung zum Rennsport). Das glaube ich bei Reiti und Tom nicht. Weil von den Staturen her sind sie sich relativ ähnlich und der Reiti ist auch ein „Stop and Go Fahrer“, also der, der weniger den Corner Speed mit nimmt, sondern eher spät bremst, das Ding reinwirft und früh wieder rausballert. Und der Tom, jein. Der zwar eher den flüssigeren Style bevorzugt, soweit ich ihn kenn, aber da nicht zu weit weg ist von dem, was der Reiti braucht. Zumindest aufgrund seiner Erfahrung, ihm wahrscheinlich auch helfen kann bei seiner Fahrweise sich da zu entwickeln.

Frage: Was traust du Sandro Cortese zu?

Lenz: Ich bin das letztes Jahr schon gefragt worden bei der Supersport WM. Und ich habe gesagt, jemand, der im Grandprix Zirkus Weltmeister wird, der ist auch gut genug um in der Superbike WM Weltmeister zu werden. Ob er es schaffen kann, ist ne andere Geschichte. Weil was man auch nicht vergessen darf, es gibt so viele Fans die sagen, schau dir die scheiß Runde an der Mistbock geht überhaupt nicht. Die Luft da oben ist so dünn und die Fahrer da oben sind von der Spitze her so eng beieinander, da ist ne halbe Sekunde, ne Welt. Und eine Fireblade die ne halbe Sekunde hinten dran ist, als Motorrad zu bezeichnen, was ein scheiß Bock ist, da muss ich mich schon sehr weit aus dem Fenster lehnen. Und genauso ist es mit den Fahrern. Also wie gesagt, wenn das Paket stimmt, wenn – sag ich mal – das Puzzle zusammen gekriegt wird, du musst wirklich dieses Puzzle komplett zusammen kriegen, oder möglichst komplett zusammen kriegen, damit du vorne mitfahren kannst. Sobald dir ein paar Steinchen fehlen, fehlen Zehntel, fehlt ne halbe Sekunde wie nix, das geht so schnell. Und wie gesagt, wenn der Sandro es schafft, mit seiner Mannschaft sich ein Motorrad hinzustellen, das ihm taugt, das ihm passt, dann ist da viel möglich. Wobei ich auch nicht ganz sicher bin wie gut der Sandro mit so einem großen, schweren Motorrad zurechtkommt. Weil, er ist ja bis jetzt eigentlich immer kleineres Material gefahren. Ich kenne genügend Fahrer, die eine irrsinnige Umstellungs-Problematik hatten. Von einer Moto 2 auf eine Moto GP oder, von einem Supersport Motorrad auf ein Superbike Motorrad. Ich erinnere mich noch Karl Muggeridge hat mir mal gesagt, „Brands Hatch, der Grandprix Kurs, mit dem Supersport Motorrad ich hab diesen Kurs geliebt. Als ich zum ersten Mal mit dem Superbike in Brands Hatch unterwegs war, ich hab mich eingenässt“. Und das von jemandem der Supersport Weltmeister war. Das sind so Sätze, die habe ich mir halt einfach auch gemerkt. Und ich könnte mir vorstellen, das ein Sandro vielleicht ein ähnliches Erlebnis hat, wo er merkt, oh das ist jetzt doch ein Unterschied. Nicht allein nur die Leistung, sondern eben auch das Gewicht, das du dann in Verbindung mit der höheren Geschwindigkeit auch händeln musst. Aber wie gesagt, die Yamaha ist ein Motorrad das gewinnen kann, das haben die Jungs ja schon gezeigt, die ist mittlerweile soweit und die Mannschaft, die er hat, ist auch gut. Ich traue ihm durchaus Top fünf Plätze zu, ob es gleich für ein Podium reicht im ersten Jahr, wird man sehn. Siege sehe ich eigentlich spontan erstmal noch nicht, aber ich lasse mich gerne überraschen.

Frage: Kann Honda zum Erfolg zurückkehren?

Lenz: Natürlich! Die Frage ist, ob es mit Moriwaki funktioniert. Die Japaner haben schon sehr oft den Fehler gemacht, dass sie gemeint haben sie brauchen nur mit einer heimischen Mannschaft, weil die Kommunikation dann besser ist, hier auftauchen und dann funktioniert das. Es gibt ja auch so Sprachen übergreifende Offiziere, die da zwischen den Welten tanzen sollen. Ist schon mal ein Klimmzug, der zu absolvieren ist. Ich habe es mit Yoshimura gesehen, die gemeint haben, Du wir räumen hier in der AMA ab wie wir lustig sind. Es ging mal in die Superbike WM, ja die sind ja sowas von durch gewatscht Heim gelatscht. Zum einen, nimm den Mario Illien, auch ein extremer Sympatico, genialer Konstrukteur in der Formel 1. Der hat ja auch gemeint, er kommt hier mit Formel 1 Technik rein und wischt hier mal kurz den Boden mit den Jungs. Nix.

(Interviewer wirft kurz ein: Petronas damals mit diesen Dreizylindern war ja auch….)

Ja aber das war ne andere Geschichte. Ich, wenn ich ein kriegen könnt, ich würde mir sofort eine holen. Ich bin sowieso auf dem Dreizylinder Trip. Das Problem war, die Motorräder wurden aufgebaut auf einem Reglement, das durchaus die Möglichkeit gegeben hätte, den Dreizylindern ne Chance zu geben. Aber bevor die Motorräder fertig waren haben die das Reglement wieder geändert und dann waren die Motorräder chancenlos. Die Fahrer hatten keinen Stich und konnten sich den Arsch abfahren. Da ging einfach nix mehr.

Frage: Wie würdest du die Supersport Kategorie umbauen nachdem kaum mehr 600ccm Sportmotorräder verkauft werden?

Lenz: Es ist im Motorradbereich ne ähnliche Problematik, seh ich auch wie im Autobereich. Es gibt zu viele Rennserien. Wenn heute ein junger Sportler gut daher kommt und in irgend einer Rennserie unterwegs ist, die vielleicht nicht übers Fernsehen promotet wird und der wird dort Meister, bügelt alle nieder, fährt die in Grund und Boden. Und dann fragen die Leute, ähm welche Meisterschaft? Jeder will Geld machen, Chassishersteller, Motorradhersteller, „Cup Dingenskirchen“, „Cup Ballermann“, „Cup irgendwas“. Aber man tut dem Sport, meiner Meinung nach, keinen Gefallen damit. Breiten Sport ist eine Geschichte, das ist was das Circuit Magazin z.B. sehr gut macht, diesen breiten Sport, The Art of Motorbike Racing oder Culture of Motorbike Racing wie sie es nennen, finde ich ganz klasse. Das ist eine Geschichte, aber im Spitzensport muss es übersichtlich bleiben. Weil sonst haben Leute die erfolgreich sind und/oder erfolgreich sein können, keine Chance an Sponsorengelder ran zu kommen, weil das einfach zu unübersichtlich wird, ist meine Meinung.

Thema Supersport, wir haben die Supersport WM schon ein paar Mal tot geredet, wir hatten Rennen, ein Rennen in Doha, glaub ich mal, da hatten wir 16 Bikes in der Supersport WM, da hab ich gesagt, das Ding ist tot. Mittlerweile sind wir wieder an einem Punkt wo wir doppelt so viel Supersportmotorräder in der Startaufstellung haben wie Superbikes. Leicht übertrieben gesagt. Aber es ist schon richtig, du musst heute, wenn du ein Sieg fähiges Supersportmotorrad haben willst, musst du ähnlich viel Geld investieren, das Team Puccetti musste das z.B. machen, die zahlen für ne Supersport WM ähnlich viel wie für ne Superbike WM, weil einfach die Motorrevisionen so häufig und so teuer sind. Und so eine Supersport-Maschine ist auch nicht mehr viel billiger als ne Superbike. Ist ne schwierige Frage. Also ich finde die 300 richtig, weil sie einfach weltweit die höheren Verkaufszahlen hat und Marketingtechnisch für die Firma wichtig sind. Die Supersportler, die Supersport Kategorie, ich finde, die braucht es. Weil du kannst keinen von einer 300 auf ein Superbike setzen. Du musst die haben. Was ich eher machen würde, ich würde die vom Reglement her einfacher stricken, wie eine Stock Kategorie. Dann ist der Sprung auch ein bisschen höher zum Superbike. Ich seh es anders rum z.B. bei den Straßenrennen, bei der TT, es gibt für mich keinen Grund mehr ein Superbike Motorrad beim Senior-TT einzusetzen. Du kannst mit einem Superstock Motorrad nahezu genauso schnell fahren. Auf einem 66 km Kurs, auf der Isle of Man, fährt ein Superstock Motorrad, jetzt lass mich lügen, ich glaube drei Sekunden langsamer. Oder lass es fünf Sekunden sein. Und die fahren mit profilierten Reifen. Ne Schmarrn, tschuldige nein, Fehler von mir, die haben da ja auch schon die Slicks drauf. Aber wie gesagt das Chassis ist einfach weicher, es lässt sich bequemer fahren. Über sechs Runden ist es das entspanntere Motorrad. Und selbst wenn das Superbike Motorrad vielleicht am Anfang etwas schneller ist, aber du kannst, wenn du nicht Michael Dunlop heißt, das Ding nicht sechs Runden lang über den Parcours prügeln. Das geht nicht. Deshalb fahren viele, wie auch Hutchinson, wie auch Hickman, die fahren ein Stockmotorrad mit einem Superbike Motor drin. Weil es einfach bequemer zu fahren ist. Und ein Superbikemotorrad kostet Faktor drei, von einem Stockmotorrad! Also alleine vom Promoter würde ich hergehen und sagen, weg mit dem Superbike Zeugs, weg mit dem überkandidelten Mist. Dafür gibt’s die Superbike WM, dafür gibt es die IDM Superbike oder so. Das sind ja einfach Stockmotoräder mit ein bisschen mehr Freiheiten. Halt diese sündhaft teuren Gabeln, die sündhaft teuren Federelemente, spezielle Rahmen und so, einfach weg. Weil dann wird die ganze Geschichte auch ein wenig günstiger und dann wird die Spitze auch ein bisschen dichter. Dann ist es nicht so, wie das letzte Mal wo der Hutchinson hinfällt und dann geht es einfach bloß noch darum um wie viele Sekunden wird der Michael Dunlop vor allen anderen sein. Den „Best of the Rest Cup“ und dann kommt Hickman (lacht). Nee egal. Es ist schwierig, ich bin der Meinung, es braucht eine Supersport Kategorie, aber ne entschärfte, ne finanziell entschärfte.

Frage: Weisst du wann die SBK Europa Tests sind und wird Eurosport etwas übertragen?

Lenz: Wenn Dorna nicht einen richtigen Batzen Geld auf den Tisch legt, damit irgendwas gezeigt wird, wir bringen keinen Jahresrückblich mehr. Das haben wir Jahrelang gemacht, was ich so schade finde und glaubst Du dass wir irgendwas von Tests bringen? Also mich würde es wundern, mich würde es echt wundern.

Frage: Was war dein schönstes Erlebnis als Teammitarbeiter in der Superbike WM?

Lenz: Ähm, schönstes Erlebnis, ist schwierig. Die Zusammenarbeit mit Akira Yanagawa, fantastischer Mensch, fantastische Familie. Die Kinder auch, seine Frau, das war einfach extrem angenehmes Arbeiten. Das habe ich sehr genossen, die Zeit mit Akira.

(Zwischen Frage des Interviewers: Und das Verhältnis zu Andrew Pitt?)

Das Verhältnis zu Andrew Pitt ist da. Andrew ist hochprofessionell, Andrew ist aber, introvertiert ist der falsche Ausdruck. Wenn du nicht wirklich auf seiner Schiene bist und er dich zu seinen Freunden zählt, dann ist er freundlich, dann ist er nett zu dir, arbeitet mit dir, macht das, was er machen soll. Ich habe mit ihm fürs PS Magazin, mit Jürgen Gassebner, einen schönen Artikel gemacht, als er gerade seinen Führerschein gemacht hat, da ist er gerade Weltmeister geworden und hat danach den Führerschein gemacht. Und da sind wir hier bei uns in der Gegend rumgefahren, mit der ZX 12, haben Wheeles gemacht und alles mögliche, bis die Kupplung verglüht war. Auch ein phasenweise ganz schräger Vogel, also wenn es um Frauen ging, ist ne ganz witzige Geschichte. Der Harald hat ihm ne groß gewachsene Blonde und ne Schwarze hingestellt, zwei super hübsche Mädels. Ich bin dann irgendwann hingegangen und dann ist er mit denen zum Abendessen und ich hab ihn gefragt und welche nimmst jetzt mit? Die, die ja sagt (Lenz lacht). Am anderen Tag ist er mit beiden frisch geduschten Mädels zum Frühstück gekommen (Lenz lacht). Anyway, den Rest überlass ich der Fantasie.

Der konnte schon trocken sein. Aber wie gesagt er war immer ganz knallhart in die Richtung, er hat genau gewusst, was er will, hat genau gewusst, was er machen soll. Bei einigen Sachen wo er sich nicht so wohl gefühlt hat, hat er halt gesagt, würde ich jetzt ungern machen. Hätte ich jetzt nichts dagegen, wenn wir die Nummer jetzt nicht machen würden. Oder ein anderes Mal wo ich der Meinung war, es wäre jetzt wichtig, hat er gemeint, komm jetzt stell dich nicht so weibisch an. Also der weiß schon was er will und er selektiert auch sehr genau mit wem er gut Freund sein will und wen er einfach braucht. Ich denke mal, ich war irgendwo bisserl zwischendrin. Wir haben uns verstanden, wir haben rumgeblödelt miteinander, ich hab schöne Kombis von ihm, eine der WM Kombis habe ich von ihm. In Brünn hat er mir die Moriwaki Kombi gegeben, als er damals für Moriwaki in der Moto GP fuhr. Ja also wie gesagt, ich bin gut mit ihm ausgekommen, aber ich würde mich nicht unbedingt dazu hinreißen lassen, zu sagen, ich wär einer seiner Freunde.

Frage: Und was vermisst du aus der Zeit am meisten, was hat sich am meisten verändert?

Lenz: Das hat sich schon verändert in der Zeit, als ich noch bei Kawasaki war. Das war im zweiten Jahr, 2000, Mitte der Saison, Misano. Da waren Freunde von mir, die haben uns besucht in Misano. Da waren die Mechaniker noch, haben die Wheelie Competition im Fahrerlager gehabt mit den Scootern und da war alles noch….

Mit Troy Bayliss saß ich in Valencia auf dem Teerboden im Paddock, während die italienischen Ducati-Mechaniker zu mir in mein verlaustes, verwanztes Wohnmobil gekommen sind, um bei mir einen Espresso zu machen, weil ich der einzige im Fahrerlager war der eine Pavoni hatte. Ich konnte mit dem scheiß Ding nicht umgehen, aber die haben einen Espresso raus gezaubert aus dem Ding, da, da hast du mit der Zunge geschnalzt. Und haben uns dann, wenn der Troy gesagt hat, für mich bitte auch einen, uns dann einen Espresso rausgebracht. Ich habe meine Skateboards dabei gehabt, die Kinder von Troy sind hinter uns mit den Skateboards gefahren, wir sind auf dem Teer gesessen, Rubén Xaus kam dann mit dazu, saß dabei, Chris Walker war mit dabei. Das ist heute alles nicht mehr da. Du hast im Moto GP Paddock, ein Paddock im Paddock. Also Leute die in der Moto 2 und Moto 3 fahren, haben keinen Zugang ins Moto GP Paddock. Das ist so armselig! Das ist so Formel 1. Es ist so diskriminierend. Als der Boxer Cup noch lief, da mussten die sich die Tickets gegenseitig in die Hand geben damit einer ins Fahrerlager rein konnte während die Moto GP fuhr. Das sind so Sachen die gehen gar nicht. Entweder, man ist eine Motorsportfamilie und man macht einen Bewerb am Wochenende miteinander, unabhängig davon in welcher Klasse man fährt, sicherlich mit der ein oder anderen Restriktion, vielleicht dass man sagt „Du pass auf, ihr kriegt’s zwei Tickets und gut is“, aber dann kannst Du da überall hin und nicht so ein Scheißdreck. Das ist für mich enttäuschend, das ist für mich herablassend und eine Herabminderung der Anderen. Weißt die kommen hier mit 5,5 Tonner Motorhome’s reingerollt und haben es nicht nötig und die Anderen setzen die Hälfte ihres privaten Hab und Guts mit ein um in irgend einer Support Klasse rumzufahren und werden behandelt wie Kuhmist. Das finde ich nicht in Ordnung. Und das war damals anders und eben lange Rede kurzer Sinn, das ist etwas, was für mich verloren gegangen ist. Professionalität ist eine Geschichte, aber ich sag mal dieser Zusammenhalt, diese, ich möchte nicht sagen Lockerheit, ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll, das war einfach kameradschaftlicher. Nennen wir es einfach mal so. Es ist natürlich völlig klar, wenn du auf WM Level arbeitest und Sponsoren Millionenbeträge investieren, damit du Weltmeister wirst, dass Du natürlich nicht den anderen soviel weiter hilfst, das die dich dann auf der Strecke schlagen. Aber es war gang und gäbe, wenn einer irgend ein spezial Werkzeug gebraucht hat und es ging irgendwas kaputt, dann ist man in die Nachbarbox rüber gelaufen und in 9.5 bis 10 Fällen hat man das bekommen. Und das gibt es zum Teil auch noch, aber ich würde mal sagen, das ist fast die Ausnahme und weniger die Regel. Auch Ducati-Mechaniker die mit anderen zusammen gesessen sind, mit Honda-Mechanikern und tralala, das ist heut eher selten geworden.

Frage: Glaubst Du an den von einigen Skeptikern behaupteten, baldigen Untergang der Superbike Serie?

Lenz: Nein, es ist ne Frage der Positionierung, ich mein‘ ich komme da wieder darauf zurück, es gibt zwar zu viele Rennserien, aber Du brauchst ein WM Niveau für Prototypen was die Moto GP ist, das ist ganz klar die Nummer eins, aber die Superbike WM, sag ich mal, wenn sie sich richtig positioniert und dadurch dass das jetzt alles unter einem Dach ist mit der Dorna, besteht da auch die Möglichkeit. Man kann Ressourcen gemeinsam nutzen, man kann, das ist ja auch was die Dorna vor hat, die Rennstreckenverträge die da sind, werden modifiziert, sprich, was zusammen passt mit der Moto GP, wird für die Superbike WM angepasst und alles was an Rennstrecken da ist, die nur die Superbike WM fährt unter Umständen, wird man auf Dauer nicht halten können oder wollen. Das ist eine rein finanzielle Geschichte. Und man kann natürlich auch steuern dass sich die Termine nicht so überschneiden. Weil man nimmt sich ja gegenseitig Zuschauer und Potenzial weg. Das kann man auch noch in den Griff kriegen. Aber wie gesagt, man sieht es in der BSB. BSB ist für mich die stärkste regionale Rennserie die wir haben, weltweit. Unheimlich starkes Fahrerfeld, international, unheimlich geile Rennstrecken, sehr flexibel mit Reglementänderungen/Anpassungen, man geht auf Zuschauer-Wünsche ein und so weiter und so fort. Ich erinnere mich noch mein erstes oder zweites Jahr mit Kawasaki, da waren wir in Brands Hatch, jetzt müsste ich lügen, ob es 1999 oder 2000 war, da war zwei Wochen vorher Silverstone Grandprix, total verregnet. Da hat es 125.000 Zuschauer gehabt beim Formel 1 Grandprix. Brads Hatch hatten wir 140.000 beim Superbike WM Lauf. Das ist natürlich schon ne Hausnummer. Ich meine mittlerweile sind die Geschichten auch wieder ein wenig anders, die Zahlen auch wieder ein wenig anders, weil die wirtschaftliche Situation in den jeweiligen Ländern ist auch klar. Man hat es halt gemerkt in Spanien, mit so vielen Rennen in Spanien mit Superbike und MotoGP, so oft können sich die jungen Leute gar nicht leisten an die Strecke zu fahren. Das ist auch etwas was ich sage, wenn man nicht anfängt völlig horrende und schwachsinnige Eintrittspreise zu verlangen, würde man auch die Klientel behalten. Sobald die anfangen mit den Preisen anzuziehen, denke ich mal, wird man auch ne hohe Abwanderung der Zuschauer haben, also, „on Site Zuschauer“.

Frage: Was sind deiner Meinung nach die Vozüge von Superbike gegenüber Moto GP?

Lenz: Ich meine, die Moto GP ist die Königsklasse. Punkt. In der Moto GP sind die Stars. Johnny Rea ist ein „Sympatico“, Johnny Rea ist ein mehrfacher Weltmeister. Aber wenn ein Johnny Rea heute in München durch die Fußgängerzone läuft, dann geht der einmal von vorne bis hinten durch und es sprechen ihn drei Leute an. Mach das mit dem Valentino Rossi, der kommt hinten gar nicht an. Das ist natürlich auch viel Kultstatus, die Leute wollen ihre Helden sehen, die Leute wollen Superman und Batman sehn, nicht bloß den Robin. Das ist der Grund warum. Wie gesagt Moto GP ist Königsklasse, die Superbike WM wird dementsprechend auch, sag ich mal ihre Berechtigung haben in dem Sinn und auch weiter existieren. (Lenz fragt: Und wie war die Frage jetzt genau? – Interviewer antwortet: die Vorzüge von Superbike). Es ist eben einfach heimeliger, Du hast mehr Zugang, nimm die BSB dann im Gegenzug, die machen noch ein bisschen mehr richtiger, meiner Meinung nach, es ist noch ein offeneres Paddock, man hat noch mehr Zugang zu den Fahrern und zu den Teams auch. Ich war völlig platt, als ich oben war, zum ersten mal auf der Isle of Man. Diese Fahrerlager, denkst nach 20 Jahren, Du hast schon alles gesehen, dann kommst Du in dieses TT Fahrerlager und da wird noch richtig Motorsport betrieben, wie vor 20–30  Jahren in der Moto GP. Da geht es zu wie in den 70er Jahren Moto GP. Da wird Material ausgeliehen, da hüpfen die Leute kreuz und quer durcheinander und hocken beieinander. Ich habe mich lange unterhalten mit einem australischen Seitenwagen Team. Er in den 60ern, sie in den mitt-40ern. Er war aus Sydney, sie war aus der Nähe von Melbourne und das ist ne nationale Rennserie und die fahren an einem Wochenende 4000 km, um zu einem Rennen zu fahren. Also sie fliegt nach Sydney, steigt da in den Transporter mit ein und dann fahren die hoch nach Hobart, oder wo auch immer die Rennstrecken gerade sind. Ich meine Sydney-Melbourne sind 1500 km, Sydney-Brisbane sind 1500 km und dann wenn du hoch fährst Surfers Paradise, das sind nochmal 1000 km. Also sie aus Melbourne ist dann schnell mal 4000 km unterwegs. Und das ist eine nationale Rennserie. Und dann kommen die hier, fliegen rüber mit ihrem Gespann und fahren die Isle of Man. Diesen Enthusiasmus, wo er sagt, ich bin Witwer, ich bin erstens Rentner und zweitens jetzt Witwer und ich verballere die Pension meiner Frau hier bei der TT (Lenz lacht). Die sind halt auch trocken, die Australier und das ist halt auch ne Einstellungsgeschichte. Unser eins, der geneigte Deutsche würde verzweifeln, wenn plötzlich nach 40 Jahren irgendwas nicht so läuft 9:5 mäßig wie er es gewohnt war die letzten 40 Jahre. Er sagt, Du pass auf, Schicksalsschlag hin oder her, wer weiß wann es mich erwischt, Hurra die Gänse. Und diese Einstellung, diese Mentalität, da komme ich jetzt wieder zu Superbike, ich mein‘ das ist TT, das ist BSB und Superbike ist halt auch Dorna, sage ich jetzt mal, aber mit dem Flamini war das auch alles noch ein bisschen lockerer, die ganze Geschichte. Aber es ist halt insgesamt alles ein bisschen heimeliger. Du kriegst halt auch ein bisschen ein günstigeres Gesamtpaket, mit ein bisschen mehr Star-Nähe als in der Moto GP. Die Paddock Show, genau richtig, Superbike WM – die ist der Hammer. Ich mein‘ die ganzen Leute die, die Haupttribünen Tickets kaufen, sind angearscht, aber diese Nummer mit hinten rein fahren und dann Infield, boaaa, find ich geil, finde ich super die Idee. Ich denke mal, das werden sie in der Moto GP unter Umständen auch demnächst machen. Weil der Umkehrschluss ist ja der, wenn die Leute wissen im Infield ist das Podium, im Infield geht der Punk ab, dann kaufen die auch Infield Tickets. Und die kannst Du teurer verkaufen als ein Tribünenticket. Weil Du hast Zugang zur Paddock Show, du kannst da ein Paket draus machen, da ist Paddock Show dabei, da ist Pit Walk dabei… – Und dann kriegst du, kriegst du, kriegst du. Schau in der Nascar oder im Champ Car diese Infield Karten, die reisen teilweise drei Wochen vor dem Rennen an so einen Nudeltopf an, um sich ins Infield reinzustellen, nur damit sie einen Platz kriegen. Und da drinnen geht der Punk ab. Wenn da noch die Mädels aus Silikon Valley kommen, da hast du dein Foto-Album voll. Da geht der Punk ab. Da geht’s zu wie zwei Tage vor dem Apple Shop, wenn das neue iPhone raus kommt.

Frage: Wieso hat bei Rossi damals niemand reklamiert, als er fünf Mal hintereinander Weltmeister wurde und bei Rea heißt es dann sofort, es werde langweilig etc. – hast Du dafür ne Erklärung?

Lenz: Das ist ne gute Frage. Ich versuche gerade, mich ein bisschen an die Zeit mit Rossi zu erinnern. Ich denke mal, was es ausgemacht hat, wenn ich mich richtig zurück erinnere: Rossi hat um seine Siege immer kämpfen müssen. Das waren immer harte Zweikämpfe, ob das gegen Capirossi war, ob das gegen Sete Giberau war, Biaggi – was auch immer. Es hat immer solche Erzfehden gegeben. Es hat diese knallharten Lager gegeben und vor allem, es war nicht diese Dominanz da wie bei Johnny Rea. Wie ich vorhin schon gesagt habe, der Johnny Rea, selbst wenn der Fehler macht, dann ist er immer noch besser, Punkt. Der hat einen dritten, vierten Platz rein gefahren und hat gesagt, „boah, war ein scheiß Wochenende“ und baut seinen Vorsprung in der Meisterschaft aus. Weil die anderen noch mehr Fehler machen. Das konnte sich ein Rossi nicht leisten, zu der Zeit. Wenn der Rossi einen Fehler gemacht hat, waren die anderen vorne. Ich denke mal, das ist der Unterschied  zur Dominanz von Johnny Rea, der Johnny Rea kann sich nur selber ein Bein stellen. Weil es ging ja die letzten Jahre nicht nur darum ob Johnny Rea Weltmeister wird, sondern wieviel Rennen vor Kalenderende, er es geschafft hat. Das war das einzige, wenn man ehrlich ist, was anfang Jahr auf dem Tablett gestanden ist. Man hätte extra Wetten aufmachen können, nicht wer Weltmeister wird, sondern bei welchem Rennen wird Johnny Rea Weltmeister. Und wenn ich mich da richtig zurück erinnere, dann war das bei Rossi nie der Fall. Der hat immer kämpfen müssen und es waren immer beinharte Zweikämpfe. Die Duelle waren klasse, die Rennen waren klasse und da muss man halt auch der Ehrlichkeithalber sagen, wir hatten Rennen in der Superbike WM, wo wir gesagt haben, lasst den zufahren, was hat der teilweise Vorsprung gehabt, 12 Sekunden, glaub ich erinnere mich einmal in Spanien in Aragon. Das ist glaub ich der gravierende Unterschied, das die Dominanz von Johnny Rea das Salz aus der Suppe rausnimmt. Und es geht eigentlich nur noch um diesen „Best of the Rest Cup“. Und das ist halt einfach letztendlich schade. Ich denke, das ist der Hauptunterschied, wenn ich mich da richtig zurück erinnere.

Anmerkung der Redaktion/des Interviewers zur Bemerkung, Jonathan Rea hätte im Gegensatz zu Valentino Rossi nie kämpfen müssen:

In den Jahren 2001 bis 2005, sowie 2008 dominierte Valentino die WM nach Belieben:

  • 2001 gewann er die letzte 500 cc WM mit einem Vorsprung von 325 zu 219 auf Max Biaggi und stand somit 3-4 Rennen vor Saisonende als Weltmeister fest. Er gewann 11 von 16 Rennen, seine Überlegenheit war erdrückend.
  • 2002, im ersten Jahr mit 990 cc Viertaktern, gewann Rossi mit 355 zu 215 Punkten Vorsprung auf Max Biaggi die WM und gewann ebenfalls 11 von 16 Rennen. Nach 12 von 16 Rennen war ihm der Titel sicher.
  • 2003 gewann Valentino die WM mit „nur“ 9 zu 4 Siegen (bei 16 Rennen) gegenüber dem Vizeweltmeister Sete Gibernau, in Punkten 357 zu 277. Man kann auch hier von einer drückenden Überlegenheit sprechen und der Titelkampf war spätestens im Drittletzten Rennen der Saison entschieden.
  • Lediglich 2004 war es etwas knapper, allerdings gewann Rossi auch damals 9 von 16 Rennen und gewann die WM mit 304 zu 257 Punkten auf Sete Gibernau. Zumindest nach dem zweitletzten WM-Lauf war die WM entschieden.
  • 2005 sahen wir wieder 11 (von insgesamt 16) Rennen, in welchen Valentino als Sieger abgewunken wurde. Die Dominanz und der Abstand auf Vize Marco Melandri mit 367 zu 220 Punkten war erdrückend. Die letzten 5-6 Rennen hätte Valentino auch auf einem Roller teilnehmen können und wäre noch Weltmeister geworden.
  • 2008 gewann Valentino die Hälfte der 18 Rennen und wurde mit einem Abstand von 373 zu 280 Punkten auf Casey Stoner Weltmeister. Also auch hier eine Dominanz und 4-5 Läufe vor Saisonende war die WM entschieden.