Carlo Ubbiali (MV Agusta) war nach zwei 125-er Titeln in Folge (1955 und 1956), sowie erstmals einem in der Viertelliter-Klasse im Vorjahr, für die kleineren Klassen natürlich der Mann, welchen es 1957 zu schlagen galt. Die unförmigen Verschalungen sollten übrigens schon bald von der Bildfläche verschwinden, was auch höchste Zeit war, da sie die Lenkbarkeit der damaligen Motorräder drastisch negativ beeinflusste.

Das zweite Saisondrittel mit WM-Runde 3 in den Niederlanden

Nach zwei von seit dem Vorjahr nur noch 6 Runden sah die Situation für sämtliche Titelverteidiger nicht besonders erquickend aus, bevor es von der TT weiter nach Assen ging. Ubbiali hatte mit Provini in der kleinsten Klasse einen erbitterten Gegner gefunden, der ihn bereits zwei Mal in Folge geschlagen hatte. Bei den 250-ern hatte er zwar den WM-Auftakt bei der Hockenheimring-Premiere gewonnen, war aber nach seinem Nuller an der TT punktgleich mit Teamkollege Luigi Taveri hinter Sandford und Colombo derzeit nur gerade Dritter im Zwischenklassement. Der amtierende 350 cm³ Weltmeister Bill Lomas hingegen hatte nach seinem Sturzpech in Imola genauso wie Superstar Geoff Duke mit demselben Schicksal den Auftakt der Saison komplett verpasst. Auch 500 cm³ Titelverteidiger John Surtees hatte keinen wunschgemässen Einstieg in die Saison 1957 erlebt und erst einen zweiten Platz auf dem Konto. Diesbezüglich galt es für alle amtierenden Weltmeister dringend, in den Niederlanden wichtige Punkte einzufahren, damit der Zug für eine Verteidigung ihres Titels nicht endgültig abfahren würde. Aber beim Grand Prix in Assen lief es für einige von ihnen alles andere als erfreulich.

Skizze des Kurses von Assen, als aus dem „Circuit van Drenthe“ ab 1955 eine permanente Rennstrecke mit etwas über 7.7 Kilometern Länge wurde.

Grand Prix der Niederlande bis 125 cm³

Für Titelverteidiger Carlo Ubbiali (MV Agusta) kam das Aus bereits nach einem gravierenden Sturz im Training. Seit ewigen Zeiten das erste Mal fiel der Italiener mit einer Handverletzung damit aus und somit war für den Mann aus Bergamo die Weltmeisterschaft 1957 so gut wie gelaufen. Es war damit Tarquinio Provini, welcher in Abwesenheit seines stärksten Landsmannes und Konkurrenten das Rennen der 125-er kontrollierte. Mit einem Rundenrekord und dem Durchschnitt von 123.48 km/h liess der Italiener seinen Gegnern keine Chance. Einzig Roberto Colombo (MV Agusta) vermochte dem schnellen Mann aus Roveleto di Cadeo (nahe Piacenza) halbwegs zu folgen, hatte aber trotzdem im Ziel ganze 43 Sekunden Rückstand auf den Sieger. Dessen Werksteamkollege Taveri schaffte es hinter ihm nach der Tourist Trophy zum zweiten Mal in der 125 cm³ Klasse in dieser Saison aufs Podium. Mit etwas über zwei Minuten hinter Provini sah dessen Mondial Teamkollege Sandford die Zielflagge, gefolgt von Libanori (MV) und Sammy Miller (Mondial. Der Tschechoslowake Bartos verpasste auf seiner CZ den letzten Punkterang mit Platz sieben.

Die FB-Mondial bereitete dem MV Werksteam mit ihren Aushängeschildern Ubbiali und Taveri in der Saison 1957 heftiges Kopfzerbrechen. Mit ihren Piloten Sandford, Miller und vor allem Provini waren die Zeiten, als in den vorherigen zwei Jahren die MV Agusta Piloten fast nach Belieben gewinnen konnten, offensichtlich endgültig vorbei.

Das Rennen der Viertelliter-Klasse von Assen

In Abwesenheit des an seinen Händen verletzten Titelverteidigers Ubbiali kam es zu einem wahren Mondial Festival. Sandford hatte zwar die Bestzeit im Training geholt, aber er musste sich seinem Teamkollegen Provini beugen. Den dreifachen Triumph des italienischen Werksteams komplettierte der drittplatzierte Miller, der vor der besten MV Agusta von Colombo die Ziellinie gekreuzt hätte, wäre dieser nicht von der Strecke abgekommen und gestürzt. Glücklicherweise verletzte sich der Italiener dabei nicht ernsthaft und sein Markenkollege Libanori wurde an seiner Stelle Vierter. Auch in diesem Rennen fiel mit einem Schnitt von 128 km/h der Rundenrekord. Dank Frantisek Stasny holte sich die kleine Truppe aus der Tschechoslowakei wenigstens hier dank seines fünften Ranges wertvolle Punkte. Den letzten davon holte Guzzi Privatfahrer Wheeler vor dem deutschen Beer auf Adler.

Tarquinio Provini (FB-Mondial) auf dem Weg zum Sieg – vor Assen hatte er noch nie beide kleineren Klassen gewonnen. Nach seinem ersten und vor 1957 ersten Sieg drei Jahre davor, war es der endgültige Durchbruch für den Norditaliener im Grand Prix Rennsport.

Tragisches Karrieren-Ende des Titelverteidigers überschattete das 350-er Rennen

Bill Lomas kam nach seiner in Imola erlittenen Verletzung erstmals zurück. Im Gegensatz zu diversen nicht korrekten Berichten dazu, war es nicht das 350-er Rennen zum „Conchiglia d’Oro“ (Shell Gold Cup), das seiner sehr erfolgreichen, aber viel zu kurzen Karriere ein Ende bereitete, sondern sein Sturz im Training zum GP der Niederlande in Assen. Mit schweren Kopfverletzungen musste er nicht nur auf die Rennen der grösseren beiden Klassen verzichten, sondern ab dann den berühmten Helm an den Nagel hängen und höchstens noch für Veteranen-Veranstaltungen aufsetzen. Während Geoff Duke seine Rückkehr noch bis zum GP von Belgien verschieben musste, sollte zudem auch Dale im Rennen stürzen und mit einem Knöchelbruch bis zum Saisonende ausser Gefecht gesetzt werden. Sogar Mc Intyre kam nicht sturzfrei durch das Training, aber der Schotte blieb dabei unverletzt. Er übernahm auch im Rennen kurz nach dem Start die Führung von seinem Gilera Werksteam-Kollegen Liberati. Auch Dale schloss wenig später zu den beiden auf und dann war es überraschend Campbell, der kurz danach sogar bis auf P2 vorstossen konnte. Es entwickelte sich ein spannender Kampf um die Positionen, als Dale durch Sturz ausfiel. Die Führung wechselte mehrmals und am Ende war es Campbell auf der Moto-Guzzi, der die Nase im Ziel vorne hatte, dahinter Mc Intyre, Liberati, Brett auf der schnellsten Norton, Bryen, Hartle und Minter (alle Norton).

Nach seiner schweren Verletzung beim Training zum GP der Niederlande war nicht nur die Saison, sondern auch die Rennfahrer-Karriere des erst gerade von seinen Blessuren in Imola kurierten Bill Lomas vorzeitig zu Ende. Der zu diesem Zeitpunkt erst 29-jährige Engländer war ein absoluter Publikumsliebling und blieb dem Rennsport noch für viele Jahre weiter sehr verbunden.

Sieg des Titelverteidigers in der Königsklasse

Mit Platz zwei an der Tourist Trophy hatte John Surtees seine Chancen auf die Verteidigung seines Titels weiterhin aufrechterhalten können, bevor es zur Dutch TT ging. Zwischen dem Engländer auf seiner MV Agusta und dem Schotten Mc Intyre (Gilera) entbrannte vom Start weg ein hartes Duell um die Spitze. Dahinter entbrannte zwischen Campbell auf der Guzzi V8 und Liberati (Gilera) ein Kampf um die Plätze. Ein Sturz von Mc Intyre sorgte letztlich dafür, dass es zwischen den beiden schon bald um Platz 2 ging, während Surtees ungefährdet davonzog und die Zielflagge mit einem Vorsprung von gut einer halben Minute auf seine Verfolger kreuzte. Aber auch der Australier fiel mit seinem technischen Wunderwerk aus und am Ende erbte damit Zeller auf der BMW hinter Liberati den dritten Rang von Campbell. Bevor er im Zweikampf mit Surtees durch seinen Crash ausgefallen war, hatte Mc Intyre noch eine neue Rekordrunde auf den Asphalt gezaubert.

Unsere Zusammenfassung mit den Resultaten, welche in drei von vier Soloklassen so gut wie sicher dafür sorgten, dass es zumindest in den kleineren 3 Kategorien einen neuen Weltmeister geben dürfte. Für Ubbiali und Lomas war die Saison, respektive Rennfahrerkarriere ab dem Training von Assen gelaufen und in der Königsklasse bis 500 cm³ sah es bei Halbzeit besonders spannend aus. Titelverteidiger Surtees, Mc Intyre und Liberati lagen mit je 14 Punkten im Zwischenklassement gleichauf in Führung.
Bob Mc Intire auf seiner 4-Zylinder Gilera wurde nach seinem Doppelsieg bis 350 und 500 cm³ an der TT zum ersten Mal wieder geschlagen. Die sogenannte Dutch TT brachte dem Schotten wahrlich kein Glück.

Viele Abwesende im Nachbarland für die 4. von 6 Runden

Die kurze Weiterreise von Assen ins nahe gelegene Spa-Francorchamps kam den Protagonisten der WM von 1957 natürlich sehr gelegen, in einer Zeit mit wesentlich längeren Anreisezeiten. Aber dies nützte zahlreichen Weltklasse-Piloten diesmal wenig, weil die Liste der Abwesenden so gross wie seit Jahren nicht mehr war. In Belgien fehlte nebst dem schwer verletzten Lomas als Titelverteidiger bis 350 cm³ auch der zweifache Weltmeister der beiden kleinsten Klassen, Carlo Ubbiali. Zudem war auch Superstar Geoff Duke noch nicht ausreichend von seinen Sturz-Verletzungen von Imola im April genesen und auch Mc Intyre und Dale mussten nach ihrem Crash im GP der Niederlande am vorherigen Wochenende passen. Bill Lomas sollte mit seinem Schädelbasisbruch nie mehr zurückkehren und Dale mit zwei gebrochenen Knöcheln hätte seine Maschine sowieso nicht anschieben können. Eine schwere Gehirnerschütterung hinderte Mc Intyre nach seinem Sturz in Assen daran, wieder in den Sattel zu steigen. Aber trotz der zahlreichen Abwesenden Stars wurde in den Ardennen natürlich gefahren und in den kleinere Klassen kam es dabei zu einer Vorentscheidung, obwohl danach noch 2 Rennen auszutragen waren.

Skizze der Rennstrecke von Spa-Francorchamps aus der damaligen Zeit.

Tragische Ausgangslage vor dem Rennen der kleinsten Kategorie

Nach seinem zweiten Rang beim Saisonauftakt auf dem Hockenheimring und zwei Siegen danach, waren bei Mondial Ass Tarquinio Provini alle gespannt, ob er den Hattrick in Spa schaffen würde. Ohne seinen Erzrivalen Ubbiali und durch den Rückzug von Gilera aus der Kategorie bis 125 cm³ mit Spitzenfahrer Romolo Ferri, war die Aufgabe für Provini wesentlich leichter geworden. Der plötzliche Tod von Ferruccio Gilera (dem Sohn des Firmenchefs) im Oktober 1956 warf mittlerweile große Schatten über alle Gilera-Rennaktivitäten. Nach dem Ausfall von Ferri in Hockenheim war die 125-er Klasse das erste Opfer und schon bald sollte bekannt werden, dass sich der italienische Hersteller komplett aus dem Rennsport verabschieden würde. Von besonderer Tragik war jedoch der Grund, weshalb auch MV Agusta in dieser Kategorie nach dem Training gar nicht erst zum Rennen antrat. Übrigens hatte in Assen bereits der Deutsche Josef Knebel im Trarining der Seitenwagen sein Leben verloren und nur eine Woche später setzte sich die schwarze Serie im Nachbarland Belgien weiter.

Eine MV Agusta aus der Anfangszeit der Weltmeisterschaft, in welcher ab 1950 der Name Roberto Colombo in den Ranglisten auftauchte. Nach vielen Jahren als Privatpilot hatte der Norditaliener auf die Saison 1957 die Aufnahme ins bis dahin erfolgreichste Werksteam der beiden kleinsten Klassen an der Seite von Carlo Ubbiali und Luigi Taveri geschafft.

Ein weiterer Spitzenfahrer verlor in Spa-Francorchamps sein Leben
Roberto Colombo war ab 1952 einer der erfolgreichsten Fahrer in den kleineren Klassen. Der am 5. Januar 1927 geborene Norditaliener hatte als erster Ausländer zum NSU Team gehört, als der deutsche Hersteller im vierten Jahr der Weltmeisterschaft ihren Einstand gab. Davor waren die besten Fahrer und Marken aus Deutschland gar nicht zugelassen gewesen. Roberto war erst zum Jahresende von den Neckarsulmern verpflichtet worden und holte beim Saisonfinale in Monza auf Anhieb zwei Punkte mit seinem fünften Rang. Danach setzte NSU auf einheimische Piloten und ab 1954 kam Colombo mit MV und Moto-Guzzi Maschinen zu einigen Achtungserfolgen, gekrönt von Platz zwei beim letzten WM-Lauf in Barcelona. Im Jahr danach startete er bei den 350-ern und holte beim GP von Frankreich auf einer privaten Guzzi mit Rang 3 sein zweite Podium der Karriere. In der Saison 1955 trat der Italiener sogar in drei Kategorien an und wurde bis 250 cm³ Vierter in der Weltmeisterschaft.

Roberto Colombo (MV Agusta) war nach den vielen Ausfällen vor dem GP der Niederlande in Assen das nächste Opfer des Zweirad-Rennsports, als er beim Training in Spa-Francorchamps tödlich verunfallte.

Der endgültige Durchbruch und das jähe Ende
Roberto wurde 1957 ins Werksteam von MV aufgenommen und vermochte weiter zu überzeugen. Seine Karriere endete jedoch abrupt durch den tödlichen Unfall auf der Rennstrecke von Spa-Francorchamps während der offiziellen Testfahrten, als er in der Stavelot-Kurve die Kontrolle über seine MV verlor. Der Pilot erlitt sehr schwere Verletzungen und die erste medizinische Behandlung war erfolglos. Die Maschine kam direkt von der Strecke ab und stürzte eine tiefe Böschung hinunter. Der MV Agusta Werksfahrer erlitt schwere Rippen- und Wirbelsäulenverletzungen und blieb lange liegen, bevor die Rettungskräfte ihn erreichten. Es gab keine Ärzte im medizinischen Zentrum der Strecke und der Sprecher rief dringend einen Arzt. Als endlich zwei Mediziner angerannt kamen, hatte der Krankenwagen eine Panne, was die Rettung zusätzlich verzögerte. Roberto Colombo verstarb am 6. Juli 1957 während des Transports ins Krankenhaus. Als WM-Dritter bis 125 cm³ und in der Zwischenrangliste auf P2 liegend, lagen sämtliche Hoffnungen von MV nach der Verletzung von Ubbiali auf seinen Schultern. Womöglich war diese Last für den aus Casatenovo (nördlich von Mailand) stammenden Rennfahre zu schwer.

Am Feldbergrennen von 1953 war Roberto Colombo dem Tod bereits einmal von der Schippe gesprungen. Als frisch gebackener NSU Werksfahrer war der 1953 erst 23-jährige schon kurz nach dem Start abgeflogen. Mit einem laut den Ärzten nicht lebensgefährlichen schädeldeckenriss kam er laut Augenzeugenberichten wesentlich glimpflicher davon, als DKW Werkspilot Karl Hofmann (Armbruch und Gehirnerschütterung) aus Stuttgart. Am 13. Juni hatte der Schwabe Horst Hermann (Norton) noch mehr Pech gehabt und nach dem sogenannten Sprunghügel durch einen tödlichen Sturz mit erst 23 Jahren sein Leben verloren.
Unsere viel zu lange Liste der Todesopfer des Zweiradsports in Spa-Francorchamps. Roberto Colombo war in der Nachkriegszeit der bereits sechste Pilot, welcher auf dem Hochgeschwindigkeits-Kurs sein Leben verlor. Nach dem Unfall in Spa mehrten sich wieder die Stimmen der Kritik an der FIM, welche jahrelang die in ihrer Pflicht stehende Durchsetzung einer ausreichenden medizinischen Versorgung vernachlässigt hatte. Selbst als ein Fahrzeug mit dem schwerst verletzten Colombo an Bord auf der Strecke unterwegs war, hatten die Verantwortlichen Funktionäre noch nicht einmal das Training sicherheitshalber ab- oder unterbrochen!

Das 125-er Rennen mit dem Favoritensieg

Nachdem Gilera mit Ferri und Galliani gar nicht erst antrat und auch MV fehlte, standen nur gerade acht Piloten am Start. Nach kurzer Zeit war Provini seinem Werksteam-Kollegen Miller und allen anderen Verfolgern bereits weit enteilt. Der Italiener fuhr dabei auch eine neue Rekordrunde mit einem Schnitt von 166.59 km/h, wobei er die bestehende Bestmarke wahrhaft pulverisierte und dabei um mehr als 4 km/h schneller war. Viel Spannung kam durch diese Demonstrationsfahrt von Provini nicht auf und als Marken-Kollege Miller auch noch mit Zündungsproblemen aufgeben musste, war das Rennen endgültig vorzeitig entschieden. Taveri (MV) holte sich mit Platz zwei eines der besten Saisonresultate vor Sandford auf einer weiteren Werks-Mondial, mit bereits Rundenrückstand dahinter dem Tschechoslowaken Bartos, Webster, Maddrick und Tinker (alle MV).

Der Schweizer Luigi Taveri erlebte nach zwei sehr erfolgreichen Jahren trotz dem Pech von MV Stallkollege Ubbiali wenigstens in der kleinsten Klasse bis 125 cm³ eine erneut durchaus gute Saison. Um Provini aber ernsthaft zu bedrängen, reichte es für den kleinen Mann mit italienischen Wurzeln aus Horgen am Zürichsee jedoch nicht.
Für den Doppelweltmeister von 1956, Carlo Ubbiali (MV Agusta) war die Saison nach seiner Verletzung in Assen gelaufen. Er sollte erst beim Saisonfinale zum Grand Prix der Nationen in Monza wieder zurück sein und um den Sieg kämpfen.

Der 250-er Grand Prix von Belgien

Wie in der kleinsten Klasse hatte Provini auch hier das Training dominiert und galt ohne Konkurrenz durch den verletzten Ubbiali damit erst recht als haushoher Favorit. Der Italiener hätte das Rennen bestimmt auch mit deutlichem Vorsprung gewonnen, wäre nicht seine Batterie plötzlich kaputt gegangen. Hartle auf dem MV Twin lag zu diesem Zeitpunkt bereits über eine Minute zurück. Der Engländer war eben erst von Conte (Graf) Agusta verpflichtet worden, nachdem der für Assen als Ubbiali Ersatz geholte Fortunato Libanori mit den Rängen 4 bis 250 und 5 bis 125 cm³ nicht die gewünschte Performance gezeigt hatte. Mit Hartle gelang für Spa hingegen ein Glücksgriff und der schnelle 23-jahre junge Mann aus Chapel-en-le-Frith (südostlich von Manchester) bedankte sich für das in ihn gesetzte Vertrauen prompt mit einem überraschenden Sieg. Als Dank bekam er dafür von MV einen Vertrag für die nächste Saison. Geschlagen um 7.1 Sekunden musste sich Sammy Miller als Zweiter vor seinem Mondial Werksteam-Kollegen Cecil Sandford, der mit einem Respektabstand folgte. Wheeler holte sich Rang 4 vor CZ Werkspilot Bartos aus der Tschechoslowakei und Günter Beer auf seiner privaten Adler.

Tarquinio Provini und seine FB-Mondial waren die Kombination, welche es 1957 zu schlagen galt, wollte man in dieser Saison in den kleineren beiden Klassen ganz zuoberst auf das Podest.
MV Agusta mit dem neuen 250 cm³ Twin – die Mühe für die Saison 1957 zahlte sich durch das Pech mit ihren Werksfahrern für die Italiener nicht aus. Nach Ubbialis Ausfall infolge seiner Sturzverletzungen schlug das Schicksal bei Roberto Colombo gnadenlos zu. Übrig blieb damit lediglich noch Luigi Taveri.

Das Rennen bis 350 cm³ in Spa-Francorchamps

Als zweites Rennen an diesem Tag ausgetragen, sollte auch hier der meistgenannte Favorit ausfallen, als nach John Hartle auf seiner privaten Norton (in Runde zwei), John Surtees im fünften Umlauf ausfiel. Keith Campbell hatte mit seiner Moto-Guzzi die schnellste Zeit im Training hingelegt und kam nach dem Start auch vor Werksteam-Kollege Bryen am besten weg. Während der Trainingsschnellste seine Führung bis ins Ziel nie abgab, balgten sich dahinter sein australischer Landsmann und Liberati auf der in Abwesenheit von Duke und Mc Intyre schnellsten Gilera um Position zwei. Nach den Ausfällen von Hartler und dem bis dahin auf P4 gelegenen Surtees, war Milani zum Zündkerzenwechsel zu einem Boxenstop gezwungen, der den Italiener weit zurückwarf. Damit war Bob Brown, der als Ersatz für Duke dessen Werks-Gilera fuhr, auf Position 4 liegend. Aber hinter ihm machte Montanari auf der drittschnellsten, aber privaten Guzzi Druck und wenig später war der Routinier auch am Australier vorbei und setzte sich leicht von diesem ab. Daran änderte sich bis zum Schluss nichts mehr und Colnago holte sich mit Rang 6 auf der Werks-Guzzi den letzten WM-Punkt.

Libero Liberati (Gilera) vor Keith Bryen (Moto-Guzzi) im Zweikampf um Rang 2.

Die Königsklasse mit einem weiteren abwesenden grossen Namen

Nach Platz 3 in Assen gab es mit BMW Ass Walter Zeller einen weiteren Abwesenden. Beim Deutschen war es jedoch keine Verletzung, die ihn zur Aufgabe drängte, sondern ein persönlicher Grund. Weil sein Bruder Kurt verstorben war, sah er sich gezwungen mitten in der Saison aufzuhören, um sich ab sofort um den elterlichen Betrieb (ein Stahlwerk in Hammerau) zu kümmern. Damit Stand BMW per sofort ohne einen Werksfahrer da, aber die Firma aus Bayern sollte zum Saisonende mit einer sehr überraschenden Verpflichtung auf sich aufmerksam machen. Weil das Rennen bis 500 cm³ von einem Skandal infolge fragwürdiger Auslegung der Reglemente von Funktionären überschattet wurde, hagelte es absolut zu Recht von der Gilera Konkurrenz Proteste.

Mit dem überraschenden Rücktritt von Walter Zeller (BMW) verlor der deutsche Rennsport ihren besten Piloten der Königsklasse der 1950-er Jahre und BMW für den Rest der Saison ihr Aushängeschild. Der lange Bayer sollte danach jedoch genauso wie Bill Lomas später noch oft an Veteranenveranstaltungen auftauchen und damit dem Rennsport weiter verbunden bleiben.

Der zweite Skandal am Grand Prix von Belgien
Womöglich hätte Roberto Colombo trotz seiner schweren Verletzungen im Training bei rascher ärztlicher Hilfe überlebt. Wären nicht die Funktionäre so verantwortlungslos gewesen, sich nicht um eine prompte und zuverlässige Erstversorgung der Piloten zu kümmern, hätte der Italiener zumindest eine Chance gehabt. Aber auch was ihre eigenen Reglemente betraf, erwiesen sich die Verantwortlichen der FIM ein weiteres Mal als höchst fehlbar und dem Sport schadend, welchem sie eigentlich dienen sollten. Wir hatten bereits im Teil 4 von 1954 darüber berichtet, wie skandalös sie sich gegenüber Fergus Anderson damals verhalten hatten und in Teil 1 von 1956 findet sich ein weiteres Beispiel deren Schandtaten. In Spa-Francorchamps machten sie und der Veranstalter sich jedenfalls geradezu lächerlich. Diesmal begann es vor dem Rennen der 500-er, als der Gilera Teammanager Zündprobleme an Liberatis Motor feststellte und die Rennleitung um den Tausch mit Bob Browns Maschine anfragte. Diese gab nach Rücksprache mit der FIM ihre Zustimmung, worauf Liberati mit Browns Maschine – und sogar dessen Startnummer – ins Rennen ging.

Jack Brett (Norton) fuhr zwar nicht als erster übers Ziel, wurde danach aber offiziell als Sieger gefeiert. Doch am Ende blamierte sich die FIM im Januar 1958 bis auf die Knochen, als sie den Engländer rückwirkend auf Platz 2 zurückverwiesen und Liberati trotz doppeltem Reglements-Verstoss den Sieg zusprachen. Zum Glück hätte der Italiener die Weltmeisterschaften auch so gewonnen, aber dem Sport wurde durch die FIM erneut Schaden zugefügt.

Schwarze Flagge für den späteren Sieger – ein sportlich schlechter Witz
Natürlich war jedem Beteiligten sofort klar, dass Gileras von der Rennleitung abgesegnetes Vorgehen absolut irregulär war. Deshalb hagelte es auch bereits während des Rennens berechtigte Proteste von der Konkurrenz. Mit der falschen Startnummer eines Temkollegen auf dessen Motorrad unterwegs, hatte das Team und dessen Fahrer Liberati gleich doppelt gegen das Reglement verstossen. Höchstens ein Wechsel der Zündung wäre, wenn auch höchst fragwürdig, so doch ausnahmsweise erlaubt gewesen und vor dem Start auch so zugesagt. Um das angerichtete Chaos nicht komplett zu machen, hätten die Funktionäre dies vor Ort einsehen müssen und den Italiener mit schwarzer Flagge aus dem Rennen nehmen sollen. Aber die Courage dazu fehlte ihnen offensichtlich und so kreutzte Liberati als Erster die Zielflagge, wurde jedoch von der Rennleitung kurz danach disqualifiziert. Aber auch diese Entscheidung wurde Monate später aufgrund eines Protests von Gilera dagegen nochmals von der FIM über den Haufen geworfen. Noch inkonsequenter und inkompetenter ging und geht wohl auch nicht. Übrigens trat Gilera letztlich sogar auf die nächste Saison vom werksseitigen Einsatz in der Weltmeisterschaft zurück. Mehr dazu siehe die nächsten beiden Teile zu 1957 und 1958.

Unsere Zusammenfassung der Resultate des Grand Prix von Belgien 1957, einem Event mit zahlreichen, aufgrund ihrer gravierender Verletzungen, abwesenden Piloten. Vielleicht ist damit halbwegs zu erklären, weshalb für einmal der Sieger der Königsklasse langsamer unterwegs war, als Campbell bei den 350-ern. Optische Gründe veranlassten uns übrigens, ausnahmsweise die Reihenfolge unten zu vertauschen.
Tarquinio Provini war zwei Runden vor Schluss der Titel bis 125 cm³ kaum mehr zu nehmen. Aber die Weltmeisterschaft der Viertelliterklasse war zwei Runden vor Schluss noch völlig offen.

Wo nicht anders erwähnt gilt bei allen Bildern (© MotoGP).