Joan Mir (Suzuki) als Passagier nach seinem Crash im 1. Rennen der Saison in Jerez de la Frontera. Wohl niemand hätte zu diesem Zeitpunkt auch nur einen Pfifferling auf ihn als kommenden Weltmeister gewettet. Doch die Saison 2020 hatte noch viele unglaublichen Überraschungen auf Reserve (© MotoGP).

MotoGP Jahresrückblick 2020 – die Startnummer 36

Nach seinem Fehlstart beim Saisonauftakt im ersten Rennen von Jerez erwies sich Joan Mir nebst Takaaki Nakagami (LCR Honda IDEMITSU) schon bald zum fleissigsten Punktesammler in der verkürzten Corona-Saison. Doch zuerst hatte er die Rückschläge vom Auftaktrennen in Jerez und Runde 3 in Brünn zu verdauen. Man muss sich vor Augen halten, dass der junge Katalane nach dem GP von Tschechien auf WM-Rang 14 lag. In der verkürzten Corona-Saison bedeutete dies schon beinahe ein Viertel des nur vierzehn Runden und 4 Monate dauernden MotoGP-Jahres 2020. Zwei Runden später reiste er als WM-Achter nach Misano. Mir hatte in Spielberg im ersten Chaos-Rennen Rang 2 belegt und war danach vierter geworden.

Joan Mir (Suzuki) vor Francesco „Pecco“ Bagnaia (Ducati) in der Saison 2019. Im Kampf um den Titel „Rookie of the Year“ in der MotoGP standen die beiden gegen Fabio Quartararo (Petronas SRT Yamaha) auf verlorenem Posten (© Suzuki Ecstar).

Das Geheimnis des sagenhaften Aufstiegs aus dem Nichts

Von Brünn bis 4 Runden später nach den beiden Doppelrennen von Spielberg und Misano hatte Joan Mir einen Sprung von Rang 14 auf Position 4 der Zwischenrangliste gemacht. Drei Podestplätze und ein vierter Rang hätten dafür gereicht. Zugegeben, in einer normalen Saison wäre eine derartige Verbesserung unmöglich. Aber sämtliche seiner Kontrahenten strauchelten auf zum Teil beinahe groteske Weise. Eigentlich müsste sein Arbeitgeber Suzuki an Michelin eine satte Prämie bezahlen. Weil mit Ausnahme von KTM dank deren Testvorteil vor Saisonbeginn hatten nur die Suzukis auf wundersame Weise die neuen Reifen meist im Griff. Oft waren sogar nur Mir und sein Teamkollege Alex Rins in der Lage, sich gegen Ende des Rennens zu steigern. Dies war das Geheimnis des sagenhaften Aufstiegs aus dem Nichts.

Alex Rins vor Maverick Viñales (Monster Energy Yamaha), seinem Teamkollegen Joan Mir und Alex Marquez (Repsol Honda) – laut praktisch sämtlichen Experten wäre er der logische Weltmeister für Suzuki geworden, nicht aber Joan Mir. Doch Rins fuhr nach heftigem Sturz beim Qualifying zum Saisonauftakt in Jerez mit angeknackster Schulter und kam erst zu spät in Fahrt (© MotoGP).

Der Weg zum Triumph – mit kurzer Schwäche zwischendurch

Beim Rennen in Barcelona profitierte Mir unter anderem von den Stürzen von Johann Zarco, Andrea Dovizioso, Valentino Rossi und Pol Espargaró. Zudem waren er und Suzuki Teamkollege Alex Rins in der zweiten Rennhälfte unglaublich stark gewesen und hatten kurz vor Schluss Gegner um Gegner geschnappt. Nach Platz 2 in Katalonien folgte zwischendurch bei feuchten Verhältnissen eine kurze Schwäche mit Platz 11. Weil erneut die wichtigsten Konkurrenten ebenfalls schwächelten, verteidigte Mir jedoch seinen zweiten Zwischenrang. Beim ersten Rennen in Aragon reichte Rang 3 hinter Rins und Alex Marquez zur WM-Führung. Dieselbe Platzierung führte gar am zweiten Wochenende zum Ausbau dieser Position. Mit dem Sieg im ersten Rennen von Valencia war der Käse so gut wie gebissen und ein Wochenende später reichte es für den Suzuki Piloten, als siebter durchs Ziel zu fahren, um sich als neuer Weltmeister feiern zu lassen.

Alex Rins (links) und Joan Mir – die Harmonie im Suzuki Team war im Gegensatz zu KTM nicht gespielt, sondern echt. Daher hatte Rins seinem Teamkollegen im ersten Rennen von Valencia absichtlich und möglichst unauffällig den Vortritt gelassen (© MotoGP).

Zum Wert von Joan Mirs Weltmeister Titel

Allen Unkenrufen zum Trotz, ob und wie viel der Weltmeister Titel von Mir in Abwesenheit von Marc Marquez und mit weniger Rennen wert war. Hierzu gibt es laut vielen früheren Champions nur eine Antwort: Genau so viel wie jeder andere! Andernfalls müssten künftig halbe Titel vergeben werden und wenn man in der Geschichte etwas zurückblättert, wären auch deutsche Piloten dabei unter den Opfern. Beispielsweise wurde Stefan Bradl im Jahr 2011 ausgerechnet durch die Aufgabe von Marc Marquez bereits vor dem Rennen kampflos Moto2 Weltmeister. Bei Sando Corteses Moto3 Titel könnte man monieren oder Abzüge anbringen, weil Maverick Viñales aufgrund von Differenzen mit seinem Team in Sepang (Malaysia) einfach abgereist war, statt seinen Titelkampf fortzusetzen. Und so weiter, aber so läuft es glücklicherweise nicht.

Marc Marquez auf der Bahre mit Halskrause, kurz nach seinem fatalen Crash im ersten Rennen von Jerez. Nach unzähligen sogenannten „Saves“ und pro Saison um die 30 Stürzen war diesmal fertig lustig. Ob, wann und in welchem Zustand er zurückkehrt, ist Gegenstand unzähliger Spekulationen (© MotoGP).

Viel naheliegender – Fragezeichen aus historischer Perspektive

Wesentlich naheliegender wäre eher nachzufragen, ob Suzuki wirklich den Fahrer- und Team-Titel verdient hat. Zumindest aus historischer Perspektive hat die Firma aus dem japanischen Hamamatsu keine wirklich weisse Weste, was deren Ursprünge im Motorsport betrifft. Doch wir werden darauf zu gegebener Zeit in einem anderen Artikel eingehen, da der Bezug zum aktuellen Titel doch etwas weit hergeholt erscheint. Zudem geht es beim Rückblick auf die Saison der Nummer 36 in erster Linie um den Fahrer. Wenn Suzuki Dreck am Stecken hat, kann Joan Mir genauso wenig dafür verantwortlich gemacht werden wie Brad Binder, sollte beispielsweise KTM in eine Schmiergeldaffäre verwickelt oder bei technischem Betrug erwischt werden.

TT Werbung von Suzuki im Jahr 1963 mit Ernst Degner – mehr über den DDR-Flüchtling und seine abenteuerliche Geschichte und Karriere, sowie weiterer Fahrer aus früheren Jahren siehe auf dieser Seite unter „History“ – „Riders“.

Die GP-Karriere von Joan Mir im Rückblick

Der junge Spanier hatte den klassischen Werdegang eines heutigen MotoGP Piloten mit zuerst zwei vollen Jahren in der Moto3. Allerdings war nur eine Saison in der Moto2 bereits recht untypisch. Besonders wenn ein sechster Platz in der mittleren Klasse heutzutage reicht, um in die MotoGP aufzusteigen. Dies ist dem Irrsinn in der heutigen Prototypen Weltmeisterschaft zu verdanken. Seit mit Marc Marquez und Fabio Quartararo natürlich sämtliche Teamverantwortlichen davon träumen, einen nächsten jugendlichen Überflieger zu entdecken. Mit 12,2 Punkten pro Rennen entschied der erst 23-jährige aus Palma de Mallorca die WM für sich. Im Vorjahr lag dieser Wert beim Weltmeister bei sagenhaften 22,1 Zählern. Selbst Vizeweltmeister Andrea Dovizioso kam auf einen Wert von 14,2 Punkten, ein Jahr davor waren es bei ihm noch 12,9. Man darf gespannt sein, wie sich dies in der nächsten Saison präsentiert.

Die Aussichten für Mir und Suzuki in der Saison 2021

Nachdem die Weiterentwicklung auf der Motorenseite für nächstes Jahr aufgrund der Corona-Pandemie eingefroren wurde, dürfte dies eher ein Vorteil für die Titelverteidiger aus Hamamatsu und ihre Piloten sein. Ihre Stärken lagen jedoch in erster Linie im Fahrwerk und dessen Abstimmung, insbesondere was die Renndistanz betrifft. In der ersten Saisonhälfte hatten die Suzuki Fahrer noch Probleme im Qualifying, welche sie jedoch mit der Zeit besser in den Griff bekamen. Mir hat exakt zwei Herausforderungen mehr zu bewältigen im nächsten Jahr. Auf der einen Seite wird er als Weltmeister der Gejagte sein und auf der anderen Seite muss er sich in einigen Punkten verbessern. Andernfalls wird er bei der Titelverteidigung scheitern. Zahlreiche Piloten und Teams werden sich gegenüber 2020 steigern, davon ist auszugehen. Insofern wird Joan Mir in der kommenden Saison gewaltig unter Druck stehen. Offen ist dabei nur noch, wann und wo überhaupt Rennen stattfinden werden, weil der aktuelle provisorische Kalender ist eher ein Schönwetterprogramm.

Johann Zarco (Esponsorama Ducati) vor Joan Mir (Suzuki) und Alex Marquez (Repsol Honda) in Aragon. Im nächsten Jahr dürften die beiden Gegner des Weltmeisters, welche hier abgebildet sind in ihrer zweiten Saison auf deren Bikes deutlich konkurrenzfähiger sein. Die Konkurrenz des Spaniers wird damit eher wachsen als abnehmen (© MotoGP).

Die Fahrerwertung der MotoGP 2020

Provisorischer kombinierter MotoGP & WSBK Kalender 2021

In Kursivschrift haben wir die Events aufgeführt, an deren Durchführung wir starke Zweifel anmelden. Fehlend ist aktuell die noch völlig offene, von der Dorna angedachte 13. WorldSBK Runde, sowie Phillip Island. Als Termin kommt dafür nur das Wochenende vor oder nach dem Rennen auf dem Mandalika Circuit in Indonesien infrage. Für Phillip Island und die WSBK ist dort der Vertrag noch nicht unterzeichnet. In Rotschrift stehen die MotoGP Renntermine, welche mit einem WorldSBK Wochenende kollidieren, was zeitlich jedoch nur beim GP von San Marino eine Überschneidung bedeutet. Aufgrund der Zeitumstellung in Japan und Indonesien ist dies hingegen unkritisch.

Ersatzstrecken für die MotoGP sind Portimao (Portugal), der neue Mandalika Racetrack in Lombok (Indonesien) abhängig von der Fertigstellung und Homologation, sowie der Igora Drive Circuit in St. Petersburg (Russland). Letzterer wird jedoch höchstens von Juni bis August infrage kommen, weil in den restlichen Monaten die Temperaturen nahe der finnischen Grenze viel zu tief für Motorrad-Rennen sind.