Die Supersport Weltmeisterschaftspläne mit Lukas Tulovic (links im Bild) und Thomas Gradinger (rechts) wurden endgültig abgeblasen. Nachdem viel zu spät mit dem Projekt gestartet wurde und am Ende das Geld dafür angeblich nicht ausreichte, kam nun die offizielle Meldung vom Rückzug.

Fragwürdiger Ausstieg aus dem Spitzenrennsport

Nun ist es leider amtlich: Das Kiefer Racing Team beerdigt sein Vorhaben, in dieser Saison in der Supersport WM anzutreten. Doch damit nicht genug, denn offensichtlich wurden damit auch zahlreiche Geldgeber um ihren finanziellen Zuschuss betrogen. Laut Insidern war nur schon die Summe von angeblich einer Million Euro für eine Saison mit 2 Fahrern in der WSSP 600 viel zu hoch gegriffen. Etwas mehr als die Hälfte sollte demnach ausreichen. Würde zudem Kiefer Racing sich auf die ESS (Europäische Supersport Meisterschaft) ohne die Übersee-Rennen in Australien, Qatar und Argentinien beschränken, hätten die Mittel sowieso locker gereicht. Nun aber wird das per Crowdfunding eingetroffene Geld einfach anders eingesetzt und der Großteil davon wird als Zustupf für Lukas Tulovics Einsatz in der spanischen CEV Moto2 Serie verwendet. Zweck war jedoch eindeutig die Teilnahme in der WSSP und zumindest für die Teilnahme an allen europäischen Rennen hätten die vorhandenen Mittel bestimmt locker gereicht. Vor allem beim Heimrennen in Oschersleben am 1./2. August wäre schon ein riesiger Werbeeffekt durch ein im Paddock vertretenes deutsches Team gegeben gewesen. Dies alles warf man nun hin und der bedauernswerte Österreicher Thomas Gradinger muss nun auf ein Wunder hoffen, um noch einen Platz für 2020 zu finden. Das Ganze ist eine einzige Blamage und ein ehemals ruhmreicher Name im Rennsport wurde dadurch unrettbar beschädigt.

Thomas Gradinger (Kallio Racing Yamaha) beim Weg zum Podium nach Platz 3 in Assen 2019.

Nach Stefan Kiefers Tod ging es nur noch bergab

Wie wir aus erster Quelle orientiert wurden, gab es nach dem tragischen Tod des Kiefer Racing Teamchefs Stefan Kiefer unter anderem ein sehr konkretes Angebot zur Unterstützung. Es ging dabei um völlig kostenlose Mithilfe bei administrativen und organisatorischen Themen durch in diesen Gebieten erfahrene Personen. Dazu lag sogar bereits ein Projekt zur Sicherung der Finanzierung für die Saison mit Dominique Aegerter und Sandro Cortese vor. Doch es kam gar nicht erst so weit, diese Pläne mit Jochen Kiefer zusammen durchzugehen. Der gute Mann fand es nicht einmal notwendig, auf die Kontaktaufnahme zu antworten. Dominique sicherte sich und seinem Team danach per durchaus erfolgreichem Crowdfunding wenigstens die Teilnahme als Einmannteam in der Moto2. Doch der Schweizer bekundete Probleme mit der KTM und wurde dazu auch noch von Verletzungspech im Motocross-Training heimgesucht. Er wechselte auf die Saison 2019 zu Forward MV und es wurde seine letzte Saison als Stammfahrer in der Moto2. Nachdem Domi in der zweiten Saisonhälfte meist hinter seinem Teamkollegen Stefano Manzi ins Ziel gekommen war, verlor er seinen Platz als Stammfahrer in der Moto2.

Dominique Aegerter mit Nr. 77 beim Jerez GP auf Forward MV – in der Saison 2018 trotz Verletzungspech immerhin noch 17. im Moto2 WM-Endklassement für Kiefer Racing.

Mit Tulovic endgültig in der Sackgasse gelandet
Nach dem Weggang des Sachsenring-Siegers 2014 Dominique Aegerter kam die bis dahin folgenschwerste Fehlentscheidung des oft überfordert wirkenden Jochen Kiefer. Durch die Vermittlung des umstrittenen Managers Peter Bales kam die Verpflichtung des jungen Deutschen Lukas Tulovic für die Saison 2019 zustande. Sein Leistungsausweis in den 3 Jahren davor waren die wenig ruhmreichen Ränge 23, 9 und 8 in der spanischen CEV Moto2 Meisterschaft. Absolut unbegreiflich dabei: Der Schweizer Jesko Raffin als überlegener Gewinner dieser Nachwuchsserie 2014 und 2018 erhielt für 2019 keine Chance bei Kiefer und musste sich daher in der MotoE und als Ersatzfahrer bei NTS für die Moto2 betätigen!

Von Kiefer bei der Fahrersuche unverständlicherweise übergangen – Jesko Raffin als Ersatzpilot bei NTS (Bildquelle Jesko Raffin).

Logische Konsequenz – der Rauswurf aus der Moto2

Nachdem der Dorna als Veranstalter Einmannteams seit jeher suspekt waren und diese dadurch jeweils nur mit Vorbehalt eine Chance erhalten hatten, wäre ein starker Fahrer unbedingte Voraussetzung für einen Verbleib in der Moto2 gewesen. Statt eines Jesko Raffin probierte man es jedoch mit dem in der WM erst recht völlig überforderten Lukas Tulovic. Als Ersatzfahrer für NTS in nur 2 Rennen hatte Raffin bereits gleichviele Punkte auf dem Konto, wie Kiefer mit Tulovic in der ganzen Saison. Nachdem Jochen Kiefer auch viele Themen nicht in der Professionalität wie sein viel zu früh verstorbener Bruder Jochen angegangen war, lief somit auch sportlich alles in eine Sackgasse. Dass Lukas Tulovic nur im Rennen von Argentinien Punkte holte, überraschte letztlich kaum jemanden, der sich in der Szene auskennt. Ohne den Ausfall zahlreicher vor ihm liegender Fahrer wäre Lukas übrigens auch in diesem Rennen leer ausgegangen. Am Spielberg GP in Österreich wurde bekannt, dass Kiefer von der Dorna und IRTA den Platz in der Moto2 abgesprochen erhielt. Es war die logische Konsequenz einer eigentlich absolut absehbaren Entwicklung.

Lukas Tulovic in Misano 2019 – Punkte holte er in dieser Moto2 Saison nur am GP von Argentinien.

Der nächste Fehler – Rückzug ins Schneckenhaus

Die Enttäuschung von Jochen Kiefer war soweit verständlich, als er diesen Entscheid von der Dorna erhielt und den Rauswurf aus dem GP Paddock akzeptieren musste. Als Teamchef war es aber falsch und auch ein wenig verantwortungslos, dass er sich zunächst ins Schneckenhaus zurückzog. Zuerst gab er nämlich zu Protokoll, die WSBK oder gar WSSP käme für sein Team als Ersatzlösung nicht infrage. Viel zur spät kam dann die Einsicht, man könnte es vielleicht doch probieren, aber sondiert wurde statt für einen WSSP-Einstieg zuerst für die Königsklasse der seriennahen WM. Dass Kiefer in der WSBK nicht einfach offene Türen einrannte, war ebenso absehbar wie davor der sportliche Absturz mit Tulovic in der Moto2. Erst auf den Rat von Yamaha Europa begann Jochen Kiefer mit der Planung einer Moto2 Saison. Dass mittlerweile November war, erschwerte die Aufgabe jedoch enorm. Seit der Moto2 Kündigung durch die Dorna per Anfang August waren bereits mehrere Monate nutzlos verstrichen. Nun war es fast unmöglich, weiteres Sponsorengeld für die WSSP Saison 2020 aufzutreiben. Der Rückzug ins Schneckenhaus strafte sich und plötzlich sah Kiefer Racing mit einem erklecklichen Fehlbetrag im Budget konfrontiert. Wieso allerdings das Budget von Kiefer mit einer Million Euro beinahe doppelt so hoch veranschlagt wurde, wie bei anderen WSSP Teams für eine WM-Saison mit 2 Fahrern, werden wir wohl nie erfahren.

Philipp Öttl kann (hier beim Valencia WSSP Test 2019 auf Kawasaki ZX-6R) von Glück reden, hat er bei Puccetti Kawasaki ein Angebot von einem seriösen und bisher bereits erfolgreichen Team erhalten (Bildquelle WSBK Motul).

Wie alles begann – mit dem Rennfahrer Stefan Kiefer

Yamaha Cup auf dem Schleizer Dreieck 1990 vor imposanter Zuschauerkulisse und bei prächtigem Wetter.

Zuerst Rennfahrer, später Teamchef
Jochen Kiefers Bruder Stefan war selbst von 1989 bis 1994 als Rennfahrer unterwegs, wenn auch bei weitem nicht so erfolgreich wie später als Teamchef. Immerhin holte Kiefer Racing unter seiner Leitung 2 WM-Titel. Den ersten 2011 mit Stefan Bradl in der Moto2 und 2015 mit Danny Kent in der Moto3. Aus der Zeit, als Stefan noch selbst als Rennfahrer im Yamaha Cup angetreten war, nachfolgend das Interview mit dem damaligen Fahrer nach dem Cup-Rennen von 1990 auf dem Schleizer Dreieck.

Siegerinterview mit dem 4. des Yamaha Castol Cups – Stefan Kiefer
Man wollte nicht immer nur die ersten eines Rennens interviewen, sondern auch einmal einen Vierten eines Rennens zu Wort kommen lassen. Hier das Interview mit Stefan Kiefer, dem viel zu früh verstorbenen ehemaligen Teamchef von Stefan Bradl als Moto2 Weltmeister. Geführt wurde es nach dem Rennen zum Yamaha Castol Cup, im letzten Existenzjahr der DDR, vor der Wiedervereinigung Deutschlands:
Stefan, wie waren Deine Eindrücke vom Rennen auf dem Schleizer Dreieck?
Stefan Kiefer:
„Klasse, es macht Spaß hier zu fahren. Bei Vollgas wird es allerdings ein bisschen eng auf der Strecke.
Der Yamaha Castrol Cup war zum ersten Mal in der DDR zu Gast. Dass Sie Yamaha-Motorräder fahren, ist klar – aber was für Maschinen sind das konkret?
Kiefer: „Es sind 250er mit Zweizylinder Motoren, sechs Gängen und Deltabox-Rahmen. Knapp über 200 km/h sind mit diesen Motorrädern drin.“
Der Bekanntheitsgrad dieses Cups und seiner Fahrer ist in der DDR natürlich noch nicht so groß. Machen Sie deshalb bitte für unsere Leser ein paar persönliche Angaben.
Kiefer: „Gerne, ich bin 24 Jahre alt, von Beruf Bürokaufmann und komme aus Bad Kreuznach.“
(die Red.: südwestlich von Mainz gelegen). „Nach dem Fachabitur begann ich ein Betriebswirtschaftsstudium, das ich allerdings unterbrochen habe. Aber nicht, weil es mich nicht interessierte, sondern um Rennen zu fahren.“
Was Nachwuchsfahrer besonders interessiert, wie wird man Yamaha Cup Fahrer?
Kiefer: „Um diese Rennen zu fahren, ist eine B-Lizenz nötig. Das Motorrad kostet inklusive Startgeld 10‘400 D-Mark, das ist doch ein kostengünstiger Einstieg.

Ein Satz zu Schleiz, bitte.
Kiefer: „Es war mit Sicherheit die schönste Siegerehrung.“ (die Red.: offensichtlich wurden damals nicht nur die ersten 3 des Rennens geehrt, sondern auch die dahinter klassierten Fahrer) „Für unsere Verhältnisse waren extrem viele Leute an der Strecke. Überhaupt – die Anteilnahme der Öffentlichkeit war riesig.

Das Porträt-Foto von 1990.

Viel zu früh verstorbener Chef und die Konsequenz für Kiefer Racing
Stefan Kiefer verstarb völlig überraschend im Alter von erst 51 Jahren an einem Herzinfarkt am Wochenende des GP von Sepang im Jahr 2017. Danach übernahm sein Bruder Jochen die Führung des Rennstalls. Da er sich davor in erster Linie nur um die Technik gekümmert hatte, war Jochen mit dieser Aufgabe offenbar in vielen Belangen überfordert. Dass er selbst gutgemeinte Hilfsangebote ausschlug und nach Aegerters Weggang auf einen für die Moto2 WM (zumindest 2019) noch zu wenig qualifizierten Piloten setzte, bedeutete in letzter Konsequenz den Rauswurf aus der Moto2.
Enttäuschender Rückzug
Schade für die Team-Mitarbeiter, die bereits verpflichteten Fahrer und den deutschen Motorsport im Allgemeinen ist nun vor allem auch, dass eine rechtzeitige WSSP Saisonplanung verpasst wurde und dadurch leider am Ende schiefging. Lukas Tulovic hätte bestimmt zumindest in der World Superbike WM das Zeug für Top Ten Resultate gehabt, während Thomas Gradinger dies bereits mehrfach unter Beweis gestellt hatte. Ob die Zweck-Entfremdung der Gelder aus dem Crowdfunding für nun geplante Einsätze in der spanischen CEV Moto2 Europameisterschaft rechtens ist, sollen die Spender selbst beurteilen. Wie ein Crowdfunding seriös und erfolgreich abzuwickeln ist, hätte Jochen Kiefer bei Dominique Aegerter abschauen können, der damit vor einem Jahr mehr Geld als zuvor erhofft aufgetrieben hatte. Nachdem es aber nicht einmal eine Webseite mit den wichtigsten Informationen dafür gegeben hatte, war ein Scheitern von Kiefers Aktion keine Überraschung. Für unzählige Fans und auch den Veranstalter der WM-Runde in Oschersleben ist der soeben kommunizierte Rückzug eine riesige Enttäuschung.