Teil 1 der Geschichte über den Deutschen Ausnahme-Rennfahrer

Hermann Paul Müller erblickte am 21. November 1909 in Bielefeld als Sohn eines Gastwirt-Paares das Licht der Welt. Er besuchte hier die Schule bis zur mittleren Reife und begann danach bei einem Hersteller von Industrie-Nähmaschinen zu arbeiten. Die im Jahr 1860 gegründete Firma existiert unter dem Namen Dürrkopp Adler noch heute, ist jedoch seit 2005 in chinesischer Hand. Mit dem Wunsch Pilot zu werden, absolvierte er 1929 in Münster die sogenannte Fliegerschule. Doch bereits im Jahr davor hatte er begonnen, mit einer Imperia an Motorrad-Rennen teilzunehmen. Daher entschied er sich letztlich für eine Karriere im Motorsport und wechselte kurz darauf auf eine Victoria. Nach den ersten erfolgreichen Einsätzen wurde H. P., wie er später meist nur genannt wurde, Lizenzfahrer und trat auch in der Gespann-Klasse mit derselben Marke an.

Imperia – eine Motorradmarke der Vorkriegszeit in Deutschland, gegründet im Jahr 1924 als Kölner Motorrad- und Maschinenbau. Die in Köln-Kalk domizilierte Firma wurde 1935 wieder aufgelöst.

Die erste Verpflichtung Müllers als Rennfahrer
Es war die Firma Victoria, welche den jungen Hermann Paul unter Vertrag nahm, als Versuchs- und Werksfahrer wie dies damals genannt wurde. Zu einem der ersten Male bei einem der wichtigeren Rennen in Deutschland tauchte er in der Rangliste der Kategorie D und E vom Rennen auf dem Nürburgring von 1931 auf. Vor DKW Fahrer Frentzen holte er in diesem Lauf zur deutschen Meisterschaft Rang 7. Ein Jahr später fuhr er in der Lizenzklasse beim international stark besetzten Schauinsland-Bergpreis auf Rang 10 und holte sich den deutschen Meistertitel bis 600 cm³ in der Gespann-Meisterschaft. Es folgten 1933 zahlreiche Achtungserfolge beim von 1932 bis 1938 ausgetragenen Großwartenberger Dreiecks-Rennen, auf der Eifel und beim Riesengebirgs-Rennen. Mit Platz 2 im Lizenzrennen der 350 cm³ Klasse am Ratisbona-Bergrennen in Kelheim an der Donau verpasste er den Sieg hinter Ernst Loof (Godesberg, Imperia) nur knapp.

Poster zum Riesengebirgs-Rennen mit dem Schloss Liegnitz, der ehemaligen Residenz der Piastenherzöge im heutigen Szklarska Poręba in Polen. Hierbei handelte es sich um eine Herrscherdynastie in Polen (samt zeitweiligen Abspaltungen mit Masowien und Schlesien), die zwischen dem 10. und 17. Jahrhundert zahlreiche Herzöge und Könige stellte. Beim Rennen an dieser geschichtsreichen Stätte holte sich H. P. Müller am verregneten 30. Juli 1933 eine seiner ersten Podiumsplatzierungen.

Siege und Spitzenplatzierungen in den mittleren 1930-er Jahren
Beim Hohensyburg-Rennen gewann er 1934 das 350-er Rennen mit der Tagesbestzeit aller Klassen und einem Schnitt von 102,9 km/h. Im international besetzten Eilenriede-Rennen holte er gleich zu Saisonbeginn Rang 3 in der 350 cm³ Klasse. Im Pressebericht wurde vermerkt, dass er seine Victoria-Jap selbst vorbereitet hatte. Am 19. Mai verpasste Hermann Paul das Podium beim Solitude Rennen hinter Werner Mellmann, Paul Rüttchen (beide Werks-NSU) und Bernhard Petruschke (Rudge) nur knapp. Die Presse fragte sich nach dem Rennen bereits, wann dieser hervorragende Fahrer endlich einen Werks-Vertrag erhalten würde. Mit seinem Material von Victoria war er nämlich mittlerweile privat unterwegs, wodurch er gegen die NSU Meute meist chancenlos blieb. Doch er war ein Kämpfer durch und durch und machte seine fehlenden PS oft mit fahrerischen Mitteln gut, zumindest wo immer dies möglich war.

H. P. Müller (2. v. rechts) nimmt am 7. April 1935 die Gratulation für Platz 3 an der Eilenriede-Siegerehrung in Hannover entgegen. Das Rennen wurde vom Engländer Ted Mellors auf NSU vor Henry Tyrell-Smith (Irland, AJS) gewonnen. Eine der frühesten Aufnahmen mit dem aus Bielefeld stammenden jungen Rennfahrer Müller, der aus beruflichen Gründen lange in Nürnberg wohnhaft war. Dies wurde notwendig, weil dort die Victoria Werke beheimatet waren, bei welchen er angestellt war.
Henry G. Tyrell Smith auf seiner AJS in einem internationalen Rennen von 1934. Beim Eilenriede-Rennen im Stadtwald von Hannover belegte der Ire Platz 2 hinter Ted Mellors (England, NSU).

Empfehlung für ein Werksteam durch gute Leistungen
Auf der Avus in Berlin legte H. P., wie er sich meist selbst nur nannte, eine weitere Kostprobe seines Könnens ab. Dabei gelang ihm am 26. Mai 1935, nur eine Woche nach dem Stuttgarter Rennen, ein Podestplatz hinter dem 350 cm³ Sieger Hans Richnow und einem gewissen Bernhard Petruschke (beide Rudge). Mehr über Letztgenannten siehe unter History auf unserer Seite. Ganze 4 Tage später ging es für Hermann Paul mit dem Marienberger Dreiecks-Rennen weiter. Etwas weiter südöstlich als Zschopau von Chemnitz gelegen, quasi die Heimstrecke von DKW. Dass er nur Platz 5 in der 350 cm³ Klasse holte, konnte dem Bielefelder diesmal egal sein.

Die respektvolle Vorstellung im Jahr 1935 von H. P. Müllers selbst aufgebauter 350 cm³ Victoria-Jap in einem deutschen Motorsport-Magazin. Bis im Jahr 1933 war Müller als Versuchs- und Werksfahrer der Nürnberger Victoria-Werke tätig, danach setzte er seine Maschine privat ein.

Die Premiere mit dem DKW-Zweitakter
Mittlerweile war endlich DKW auf ihn zugekommen, nachdem er davor bereits zahlreiche Male für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Seine Premiere auf der DKW konnte kaum besser verlaufen, nachdem das altgediente Duo Arthur Geiß und Walfried Winkler bereits kurz nach dem Start mit Problemen ausgefallen waren. Somit begann der Kampf um den Sieg mit dem Namensvetter des Letzteren, dem in Bamberg geborenen Hans Winkler aus München. Müller unterlag diesem in seinem ersten Rennen auf dem Zweitakter nur knapp. Aber Platz zwei nur 15 km vom DKW-Werk in Zschopau entfernt war trotzdem ein hervorragender Einstand für den erst 25-jährigen. Der elf Jahre ältere Sieger des 250 cm³ Rennens sollte im Jahr danach beim Schottenring-Rennen in derselben Kategorie tödlich verunfallen.

Start zum Marienberger Dreiecks-Rennen von 1935, mitten in der Kleinstadt im sächsischen Erzgebirge. Ein Wendepunkt im Leben des jungen Rennfahrers aus Bielefeld.

Der große Durchbruch musste für H. P. Müller noch warten
Obwohl er bereits zahlreiche Achtungserfolge geschafft hatte, musste der ganz große Durchbruch für Hermann Paul noch etwas warten. Immerhin hatte er sich nun aber mit zahlreichen Top fünf Platzierungen in der Lizenzklasse etabliert. Dass er im Lauf der Saison von der Zschopauer Firma DKW unter Vertrag genommen wurde, war für ihn sehr wichtig. Mittlerweile war seine Victoria veraltet und gegenüber der Konkurrenz deutlich unterlegen. Dies zeigte sich auch in den Resultaten ab 1935, doch für die nächste Saison war der Bielefelder gerüstet.

Ewald Kluge (vorne links) und dahinter in der Mitte ein entspannter Herr namens Hitler, der gemütlich durch das Fahrerlager spazierte. Der junge Mann links im Bild sollte 1936 zusammen mit H. P. Müller auf DKW den Durchbruch in der sogenannten Lizenzklasse schaffen.

Die wichtigsten Erfolge Müllers seiner ersten Rennfahrer-Jahre

Deutsche Meisterschaft 1935 bis 250 cm³ und 350 cm³

In den beiden kleineren Klassen gewannen zwei der Favoriten den Meistertitel. Bei den 250-ern war es wie schon in den Jahren 1926, 1930, 1931 (ex aequo mit Hans Kahrmann auf Hercules-Jap) und 1933 wieder Altmeister Arthur Geiss. Der aus dem Bundesland Baden-Württemberg in der Kleinstadt Hockenheim stammende, kleingewachsene DKW-Werksfahrer hatte damit bereits 5 Meistertitel innert 10 Jahren gesammelt. Mit Stern (*) markiert sind die Streichresultate, welche aufgrund des damaligen Reglements nicht zur Wertung kamen.

Deutsche Meisterschaft 1935 bis 500 cm³ und Beiwagen

Oskar Steinbach holte im Jahr 1935 für NSU sogar zwei Titel, nachdem er auch bis 500 cm³ um einem Punkt vor DKW-Pilot Mansfeld die Meisterschaft abgeschlossen hatte. Hermann Paul Müllers Resultate lasen sich im Vergleich dazu bescheiden. Doch die nächste Saison sollte seine werden, da er nun bei DKW unter Vertrag stand. Die in Zschopau beheimatete Firma war mit Toni Bauhofer bereits 1930 und 1932, sowie mit Otto Ley im Vorjahr zu 500 cm³ Meister-Ehren gekommen.

Weiter siehe in Kürze in Teil 2 der Geschichte über H. P. Müller..