Ein historischer Moment der Motul WorldSBK – Jonathan Rea (Kawasaki) fährt beim 1. Rennen in Estoril am 17. Oktober 2020 als Weltmeister durchs Ziel. Auf der Tafel wird ihm der WM-Titel Nummer 6 in Folge signalisiert (© WorldSBK).

Die knappste Superbike WM seit vielen Jahren

Als Jonathan Rea im Herbst 2014 als WM-Dritter von Pata Honda zu Kawasaki wechselte, hätte anfänglich niemand darauf gewettet, dass er für Jahre die WSBK dominieren würde. Doch ab dann wurde es für Tom Sykes als sein Teamkollege ernst. Der Spassvogel der WorldSBK hatte zwei Jahre davor für Kawasaki nach ewig langer Pause seit 1993 endlich wieder den lange ersehnten Titel geholt. Eine Saison später war der mittlerweile 35-jährige aus Huddersfield um 6 Punkte an Sylvain Guintoli auf Aprilia gescheitert. Der Franzose hatte dem Engländer mit einem starken Schlussspurt mit 3 Siegen und einem 2. Platz am Ende noch den Titel weggeschnappt. Und dann kam Johnny Rea zu Kawasaki. Es folgten vier Jahre der absoluten Dominanz und danach eine harte Saison mit elf Rennen ab Saisonbeginn ohne Sieg. Am Ende setzte er sich aber überzeugend gegen Alvaro Bautista durch und sicherte sich den Titel zum 3. Mal in Folge vorzeitig in Magny-Cours. Ein Jahr später wurde es jedoch wesentlich knapper.

Jonathan Rea nach seinem ersten Sieg in der Saison 2019 in Imola, der bisher längsten Durststrecke, seit er für Kawasaki fährt. Am Ende holte er sich Titel Nummer 5 und 2020 war es für ihn erneut kein Kinderspiel, aber er schaffte den 6. WM-Titel in Folge.

Der bisher härteste Gegner des Rekord-Weltmeisters – Scott Redding

Nach dem überraschenden Weggang von Alvaro Bautista als Vizeweltmeister von 2019 musste Ducati für die Saison 2020 einen Ersatz suchen und wurde dabei schnell fündig. Mit dem ehemaligen MotoGP Piloten Redding stand ein Aspirant in den Startlöchern, der auf Anhieb die British Superbike Meisterschaft (BSB) gewonnen hatte. Der Engländer hatte die stark besetzte Landesmeisterschaft auf einer Panigale V4R dominiert, kannte also sein künftiges Arbeitsgerät bereits. Allerdings waren für den 27-jährigen aus Quedgeley, westlich von London viele Strecken im WorldSBK Kalender neu. Doch beim Saisonauftakt in Phillip Island war dies noch nicht der Fall, diesen Kurs kannte er bereits aus der MotoGP bestens. Und prompt fuhr Scotty in Down Under auf Anhieb dreimal in Folge aufs Podium.

Scott Redding (Ducati, vorne im Bild) von uns beim Start zum 1. Luf der BSB in Assen (Niederlande) fotografiert. Auf der Be Wiser Ducati war er der klare Dominator der Saison 2019.

Die starke erste WorldSBK Saison des Engländers
Hinter Alex Lowes als WM-Leader reiste Redding zurück nach Europa, weil der ursprüngliche Kalender aufgrund der Corona-Pandemie ins Wasser fiel. Eigentlich hätte es in Losail (Katar) weitergehen sollen, doch erst am 1. August fand aufgrund der Corona-Pandemie auf dem Circuito de Jerez die Fortsetzung mit einer verkürzten Saison statt. Während die Kawasaki Piloten in Andalusien Probleme hatten, schlugen vor allem die Ducati Piloten zu und Scott holte sich mit zwei Siegen und einem 2. Platz im Superpole-Race hinter Rea die WM-Führung. Doch dann kam die 3. Runde in Portimão und der Weltmeister schlug zurück. Der Ducati Pilot strauchelte mit zwei 7. Plätzen in den ersten zwei Rennen und schaffte es erst im letzten Lauf mit P2 aufs Podium.

Von links, Jonathan Rea, Spassvogel Scott Redding und Maximilian Scheib nach dem 2. Rennen in Phillip Island von uns an der Paddock Show festgehalten. Der Chilene hatte soeben nach wortreichen Ausführungen seiner allesamt englischsprachigen Vorredner erklärt, er werde sich aufgrund seiner bescheidenen Sprachkenntnisse etwas kürzer fassen. Darauf streichelte ihm Scotty unter großem Gelächter der Anwesenden mitfühlend über die Mütze.

Der Bombenstart in Aragon und die verfrühte Hoffnung
Auf der Strecke des Motorland Aragon hatte Alvaro Bautista auf der Panigale V4R die gesamte Konkurrenz im Vorjahr in Grund und Boden gefahren. Doch im Vergleich zum kleinen Spanier ist Redding wesentlich schwerer und die Vorteile dieses pfeilschnellen Bikes hielten sich bei ihm durchaus in Grenzen. Trotzdem gewann er erwartungsgemäß den ersten Lauf des Doppel-Events und übernahm mit einem Punkt Vorsprung auf Rea wieder die WM-Führung. Der Nord-Ire war hinter Chaz Davies nur dritter geworden und so tönte Redding nach seinem ersten Triumph „von mir aus kann es so weitergehen, wieso nicht noch 5 weitere Siege hier?“.

Jonathan Rea (Kawasaki) vor Scott Redding (Ducati) und Tom Sykes (BMW). Die Superbike-WM 2020 wurde in erster Linie zu einem Zweikampf zwischen dem Weltmeister und dem Ducati-Neuzugang (© WorldSBK).

Wie Reddings Träume im Kies endeten
Doch im Superpole-Race gewann tags darauf überraschend der Weltmeister vor Scott und Michael van der Mark (Yamaha). Im 2. Rennen am Nachmittag kam es für den Ducati Piloten noch schlimmer. Das Kawasaki Ass gewann und er schaffte nur P4. Am zweiten Wochenende dann das Drama mit einem Abflug ins Kiesbett von Redding im 1. Rennen, während Rea gewann. Ab nun ließ sich der Weltmeister die Butter nicht mehr vom Brot nehmen. Zusammen mit Chaz Davies war er in Barcelona der fleißigste Punktesammler und am verregneten Wochenende in Magny-Cours holte er sich den Gesamtsieg. In Estoril brachte Johnny Rea seinen sechsten Titel in Folge in trockene Tücher und Redding musste sich mit dem zweiten Platz in der Gesamtabrechnung begnügen. Noch vor dem ersten Rennen hatte er zu Protokoll gegeben, er hoffe auf Fehler oder technische Ausfälle des Kawasaki Piloten. Tags darauf hätte sich der Moto2 Vizeweltmeister von 2013 wohl am liebsten die Zunge abgebissen. Wer nämlich aufgrund eines technischen Defekts im 1. Rennen ausfiel, war er selbst, wodurch Jonathan Rea als Weltmeister feststand.

Aragon 2 Lauf – Scott Redding (Ducati) im Kies. Ein vorentscheidender Moment in der WSBK Saison 2020, mit welchem der Engländer auf einen Schlag sehr viel an Boden auf Jonathan Rea verlor (© WorldSBK).

Viele Fehleinschätzungen vermeintlicher Experten

Es war schon bei den Tests sehr amüsant zu beobachten, wie viele Fehleinschätzungen von diversen vermeintlichen Experten es vor allem zu Beginn der Saison gab. Die meisten Schreiberlinge waren sich offenbar gar nicht bewusst, dass es erst Punkte gibt, wenn die roten Ampeln am Start ausgehen. Daher wurden ein Alvaro Bautista oder Alex Lowes nach Tests und ersten Trainings in Phillip Island bereits wie Verlierer dargestellt. Auf der anderen Seite wurde nach einige schnelle Rundenzeiten Tom Sykes bereits wie ein klarer Podiums-Kandidat gehandelt. Letzterer blieb jedoch nicht nur in Australien völlig blass, sondern erlebte die erfolgloseste Saison seit 2012. Ein einziges Top 5 Resultat bei 24 Rennen und WM-Rang 12 ist schlicht unterirdisch für den BMW-Piloten und sein Team.

Michael van der Mark (Pata Yamaha als Leader zu Beginn im Superpole Race in Phillip Island, von uns im Honda Corner festgehalten. Hinter dem Niederländer sieht man noch den Helm des zweitplatzierten Johnny Rea und rechts von ihm Kawasaki-Teamkollege Alex Lowes. Innen Toprak Razgatlioglu (Pata Yamaha), vor Loris Baz (Ten Kate Yamaha), Leon Haslam (HRC Honda) und Sandro Cortese (Outdo TPR Kawasaki). Hinter Rea und Lowes kann man noch knapp Scott Redding mit dem schwarzen Helm und Tom Sykes (Rot-Blau), sowie Xavi Fores in Grün erkennen.

HRC Honda und Lowes straften ihre Kritiker Lügen
Bautista und Lowes straften in Australien ihre Kritiker Lügen und zeigten erstaunliche Leistungen, der Kawasaki Fahrer verließ Phillip Island gar als WM-Leader. Nun wurde er von denen, die ihn nach dem Training noch abgeschrieben hatten, plötzlich als potenzieller WM-Kandidat gehandelt. Aber auch dabei irrten diverse vermeintlichen Experten, am Ende reichte es nur für WM-Rang 6 für den Engländer. Und während BMW fürchterlich unterging, holte der nach den Tests völlig unterschätzte kleine Spanier bereits in Aragon sein erstes Podium. Alvaro Bautista und Leon Haslam leisteten auf der HRC Honda trotz schwieriger Ausgangslage infolge Corona bereits in der ersten Saison erstaunliches. Beide Fahrer lagen am Saisonende in den Top Ten und damit deutlich vor den beiden BMW Piloten im zweiten WM-Jahr des Deutsch-Englischen Teams.

Alvaro Bautista (HRC Honda) – bereits nach wenigen Rennen kamen die ersten Achtungserfolge für den kleinen Spanier und seinen Teamkollegen Leon Haslam (© HRC Honda).

Auch Toprak von vielen falsch eingeschätzt
Doch auch Toprak Razgatlioglu (Pata Yamaha) wurde nach einer starken zweiten Saisonhälfte 2019 und einem prima Start in die neue Saison von vielen überschätzt. Prompt zeigte der junge Türke danach weniger gute Rennen und ab Aragon war meist Teamkollege Michael van der Mark der schnellere. Dass der Schützling von Supersport Rekordweltmeister Kenan Sofuoglu in Aragon nicht stark sein würde, war aufgrund seiner Vorjahres-Resultate allerdings zu erwarten. Trotzdem war er deutlich besser unterwegs als noch 2019. Erst beim Saisonfinale schlug Toprak wieder zu und konnte dank eines Sturzes von „Magic Michael“ diesen in der WM noch um 5 Punkte distanzieren. Doch von einem echten WM-Mitfavoriten wird mehr Konstanz erwartet und diese fehlt Razgatlioglu definitiv zurzeit noch.

Toprak Razgatlioglu (Pata Yamaha) bei seinem Crash im Superpole-Race in Portimão. Der junge Türke ist unbestritten einer der schnellsten Fahrer, hat aber durchaus noch seine Schwächen. Um in den Kampf um den WM-Titel einzugreifen, müsste er sich auf einigen Strecken steigern und konstanter werden (© WorldSBK).

Die negativen Themen zur WorldSBK Saison 2020

Dass keine Zuschauer bei den meisten Rennen zugelassen waren, sorgte vielerorts für Stirnfalten, vor allem auch bei wenig finanzkräftigen Teams aufgrund ihrer dadurch schwindenden Sponsorengelder. Dazu fielen aus diesem Grund auch etliche Rennen aus dem Kalender, der aufgrund der Corona-Pandemie komplett überarbeitet werden musste. Der hässliche Sturz von Sandro Cortese im 1. Rennen von Portimão kostete den „Italo-Schwaben“ um ein Haar das Leben. Es war viel Glück im Spiel, dass er trotz seiner Wirbelbrüche wieder vollständig genesen wird. Aber hinter seiner Rückkehr auf sein Bike setzen wir ein sehr großes Fragezeichen.

Sandro Cortese auf GRT Yamaha vor dem Start in Aragon 2019. Nachdem der Berkheimer seinen Platz beim Junior Team zum Saisonende verloren hatte, fand er im letzten Moment für 2020 bei Outdo TPR Kawasaki noch Unterschlupf. Doch im 7. Rennen der Saison in Portugal kam mit einem bösen Sturz das vorzeitige Saisonende.

Viele Abwesende für 2021 und unsicherer Kalender
Sollte das Projekt für den Einstieg eines deutschen Teams Bonovo mit Jonas Folger scheitern, droht nächstes Jahr eine Saison ohne deutsche Fahrer in der WSBK. Schade ist auch, dass mit Chaz Davies, Eugene Laverty, Leon Camier und Xavi Fores einige altgedienten Helden der Superbike WM womöglich keinen Platz für 2021 mehr finden. Auch Maximilian Scheib dürfte es genauso wie Jordi Torres schwer haben, nochmals zurückzukommen. Genauso Markus Reiterberger und Randy Krummenacher, wobei letzterem zumindest in der Supersport 600 WM eine Rückkehr gelingen könnte. Wo und wie überall nächstes Jahr gefahren werden kann, steht derweil noch in den Sternen. Der von Red Bull Medias Chefredaktor Günter Wiesinger (auf der Speedweek-Lügenseite) vor einigen Monaten per Oktober versprochene Corona-Impfstoff lässt noch länger auf sich warten. Insofern wird es vorerst keinen fixen Kalender für 2021 geben, sofern sich die Corona-Pandemie weiterhin derart negativ auswirkt wie seit Anfang 2020.

Dieser Start von Markus Reiterberger in Aragon 2019 ging gehörig schief. Der Deutsche hatte eine Berührung mit Jonathan Rea und flog noch vor der ersten Kurve ziemlich heftig ab. Wir waren nach diesem Foto erleichtert, dass er sich dabei nicht ernsthaft verletzt hatte und beim nächsten Rennen wieder dabei war. In der nächsten WM-Runde von Assen schlug er in der Superpole zu und fuhr sich sensationell in die erste Startreihe. Mit zwei sechsten Plätzen wurde es Reitis erfolgreichstes Wochenende im BMW-Werksteam.

Die Fahrer-Weltmeisterschaft – 7 verschiedene Sieger

Im Vergleich zum Vorjahr gab es in der verkürzten Corona-Saison 2020 zwei Sieger mehr. Mit immerhin 7 verschiedenen Siegern in nur 24 Rennen war es ähnlich wie im selben Jahr in der MotoGP. Seit 2013, als Tom Sykes seinen bisher einzigen Titel auf Kawasaki holte, gab es nie mehr so viele verschiedenen Sieger in einer Saison. Und seit 2014 wurde nie mehr eine WM in der letzten Runde entschieden. Damals reiste Tom Sykes (Kawasaki) als amtierender Weltmeister mit 12 Punkten Vorsprung auf Silvain Guintoli (Aprilia) nach Losail (Katar) zum Saisonfinale. Der Franzose, welcher 2020 immer noch Testfahrer für Suzuki ist, gewann beide Rennen im Wüstenstaat und der Engländer wurde zweimal dritter. Damit holte sich Guintoli den Titel, nach Raymond Roche 1990 auf Ducati als erst zweiter Franzose in der Geschichte der Superbike WM.

Der alte und neue Weltmeister, zum 6. Mal in Folge Jonathan Rea auf seiner Kawasaki ZX-10RR, statt der er für nächste Saison eine völlig neue Waffe im Kampf um die WM erhalten wird (© Kawasaki Racing Team).

Die Hersteller-WM 2020 – knapper geht es nicht

In erster Linie hatte es Kawasaki natürlich wieder Jonathan Rea zu verdanken, dass es zur sechsten Marken-Weltmeisterschaft in Folge reichte. Doch es war eine Ironie des Schicksals, dass der kurz zuvor bei Puccetti Racing in Ungnade gefallene Xavi Fores im letzten Rennen der Saison die entscheidenden Punkte für die Grünen holte. Nachdem sein Team den Franzosen Lucas Mahias als Supersport 600 Vizeweltmeister per 2021 in die WSBK befördert, ist für den Spanier kein Platz mehr. Vielleicht revanchieren sich die Japaner ja noch bei Fores und helfen ihm, für nächste Saison in einem der anderen Kawasaki-Teams unterzukommen.

Xavi Fores (hier hinter Rinaldi und Rea) holte mit Platz 8 beim letzten Rennen der Saison die entscheidenden Punkte, um Ducati trotz der Stürze von Alex Lowes und Johnny Rea doch noch den Hersteller-Titel um einen winzigen Punkt vor der Nase wegzuschnappen (© Kawasaki Racing Team).

Der verkürzte Kalender von 2020 – aufgrund der Corona-Pandemie

Statt anfangs März in Losail (Katar) kam der sogenannte Lockdown in den meisten Ländern und es gab einen Unterbruch bis im Sommer. Die Dorna konnte in Zusammenarbeit mit der FIM jedoch einen Notkalender auf die Beine stellen, nachdem zahlreiche Events nur mit Zuschauern denkbar gewesen wären. Leider fiel dadurch auch die geplante Premiere in Oschersleben ins Wasser, stattdessen begann an diesem Termin in Jerez de la Frontera die Fortführung der Saison. Der einzig planmäßige Termin fand nebst dem Saisonstart in Phillip Island (Australien) als Premiere auf dem Circuito de Catalunya bei Barcelona statt. Anstelle der geplanten 13 Runden waren es am Ende jedoch nur noch deren 8 und es kam mit Estoril noch ein Ersatztemin als Finalrennen in den verkürzten Kalender. Von Runde 2 bis 8 gab es deshalb auch in der Supersport 600 WM Doppelrennen.

Während es in der MotoGP insgesamt 5 Zusatzrennen gab, kam es nach 3 Runden in der Motul WorldSBK nur zu demjenigen in Aragon.