Jonathan Rea auf Kawasaki ZX-10RR in extremer Schräglage – ein Bild der Vergangenheit, nachdem der Nord-Ire kommende Saison für Pata Yamaha auf der R1 antreten wird und Toprak Razgatlioglu für viele völlig überraschend zu BMW gewechselt hatte, um auf deren M-1000RR sein Glück zu suchen. Für viele Fans ist deshalb die WorldSBK spannender als die MotoGP, in welcher mittlerweile Ducati nach Belieben dominiert.

Gedanken zur abgelaufenen Saison 2023 und 70 Jahre davor

Mancher kennt den Spruch „früher war alles besser“ zur Genüge und wir wollen hier keinesfalls in dieses Horn stossen. Trotzdem ist es jedem erlaubt, sich Gedanken darüber zu machen, was beispielsweise vor 70 Jahren besser als heute war und in welchen Punkten wir froh sein dürfen, hat sich vieles verändert oder gar verbessert. Natürlich wurden wir dazu angeregt, weil wir kürzlich mit einer wahren Mammutaufgabe, welche wir uns im Sommer bereits stellten, gestartet haben. Dabei geht es wie so oft auf unserer Seite um die Geschichte des Rennsports, vor allem weil man darüber heute fast nirgends mehr Informationen oder gar vernünftige Zusammenfassungen findet. Ein gutes Beispiel dafür ist die offizielle MotoGP Seite, auf welcher die ersten Jahre mehr als nur lückenhaft, wenn nicht sogar vielfach falsch aufgeführt sind. Wir sind zudem der Ansicht, die Motorradweltmeisterschaft wurde eigentlich erst 1952 und nicht drei Jahre davor, wie offiziell überall behauptet. Die Gründe dafür stehen in unserer riesigen Artikelserie über die Geschichte der MotoGP, beginnend ab dem ersten Jahr mit Beteiligung der Fahrer und Hersteller aus dem vor dem Zweiten Weltkrieg erfolgreichsten Land. Aber nun zu einigen Gedanken zur abgelaufenen Saison 2023 und 70 Jahre davor, besonders weil wir uns erst gerade derart intensiv mit dem Rennsport dieser Zeit auseinandergesetzt haben.

Gemütliches Zusammensitzen der grössten Stars der frühen 1950-er Jahre, mit von links Superstar Geoff Duke, Billy Doran, Rod Coleman (mit dem Rücken zur Kamera), Fergus Anderson, Ken Kavanagh, Ray Amm und Jack Brett. Der Anlass dafür war ein Boykott der Piloten von den beiden grösseren Klassen 1953 auf dem Schottenring. Dies aus dem Grund, weil sie diesen für viele Weltstars noch neuen Kurs nach verregneter Besichtigung als zu gefährlich einschätzten und die FIM sich ihrem Willen beugte und diesen Rennen vor dem Start den WM-Status entzog.

Was war vor 70 Jahren denn alles besser?

Nicht dass wir uns diesbezüglich als Experten aufspielen möchten, aber immerhin gruben wir sehr lang und intensiv in unserem riesigen Archiv und durchforsteten unzählige Dokumente aus dieser Zeit. Trotz natürlich dem Hauptzweck der Motorsport-Historie dienend, fällt einem dabei sehr viel am Rand auf und sei es nur über die Art der Berichterstattung oder wie damals die Leute miteinander umgingen. Dabei fiel uns aus sportlicher Sicht ein ganz wesentlicher Unterschied zur heutigen Zeit auf. Obwohl die Werke und ihre Piloten auch damals bereits miteinander konkurrierten und auf der Rennstrecke durchaus energisch um Siege und Erfolge kämpften, herrschte ein völlig anderer Geist als heute. Am besten liest man daher mal in Ruhe unsere Berichterstattung über den GP der Nationen von Monza 1952, mit dem Erlebnis von H.P. Müller kurz vor dem Start (und des damaligen Berichts darüber) als gutes Beispiel. Auch sollte man sich zu Gemüte führen, dass viele Teile von Europa damals erst wenige Jahre davor in Schutt und Asche lagen.

Luftaufnahme von Freiburg im Breisgau von 1944 – wo sich in den letzten Wochen vor Weihnachten 2023 über eine Million Besucher am beliebten Weihnachtsmarkt tummelten, war gut 70 Jahre davor der Stadtkern zu rund 85 Prozent zerstört. Die Menschen, welche dies überlebt hatten, wurden von ganz anderen Werten geprägt, als die heutige Generation. Einige davon leben noch und wundern sich, wie sehr sich das Leben in der Zwischenzeit geändert hat.

Vor diesem Hintergrund hatten viele und darunter auch die meisten Piloten in der Regel nur das Allernötigste, was man zum Leben brauchte. Respekt war damals zudem nicht nur ein Wort. Heute sind wohl die Mehrheit unserer Mitmenschen der westlichen Welt einzig auf ihren Vorteil bedacht und haben sich über die letzten 7 Jahrzehnte zu rücksichtslosen Egoisten entwickelt. Wer das Gegenteil behaupten will, soll sich kurz einmal zur Stosszeit in den Strassenverkehr oder auf eine viel befahrene Autobahn begeben, um wieder Realist zu werden. In der Covid-Pandemie reichte sogar ein kurzer Einkauf. Was früher auch noch anders als heute war, ist die Tatsache, dass fast sämtliche Kinder damals noch von den eigenen Eltern nicht nur begleitet, sondern erzogen wurden. Zudem lehrte man sie früh, Respekt vor anderen und Erwachsenen zu zeigen, davon spürt man heute höchstens in ländlichen Regionen noch etwas. Ähnlich verhielt es sich mit kleinen Distanzen, für welche man ganz selbstverständlich zu Fuss unterwegs war, während heute die Mehrheit kaum mehr einen „unnötigen“ Schritt freiwillig geht.

Titelbild zum Programmheft des Sachsenring-Rennens vor 70 Jahren – in der damaligen DDR wurde zu dieser Zeit noch auf einem Strassenkurs gefahren. Die heutige Strecke hat damit nur noch die Zielkurve, sowie die nachfolgende Gerade gemeinsam, auf welcher sich auch jetzt noch der Start befindet.

Die schlimmsten Aspekte der damaligen Rennsport-Jahre

Man darf beinahe beruhigend festhalten, dass die Verantwortlichen der FIM damals genauso überheblich und von Selbstüberschätzung und vielen Fehleinschätzungen zu Sicherheitsfragen geprägt waren, wie es auch die heutigen sind. Anders wäre es gar nicht erst zum Teil-Boykott des Grand Prix von Deutschland auf dem Schottenring 1953 gekommen, nachdem dort im Vorjahr der Niederländer Leonardus „Lous“ van Rijswijk tödlich verunfallte und Superstar Geof Duke sich bei einem Crash derart schwer verletzte, dass für ihn die Saison gelaufen war. Ein Jahr davor, am 13. Juli 1950 verlor Claudio Mastellari und nur zwei Tage danach Kurt Prätorius beim international ausgeschriebenen „Rund um Schotten“ Rennen ihr Leben, als tragische Nachfolger des am 15.7.1950 dort ebenfalls tödlich verunfallten Peter von Löwis. Auch heute noch sterben Fahrer bei ihrem geliebten Sport, aber die Sicherheitsbestimmungen und Schutzkleidung sorgen dafür, dass die Mehrheit aller Stürze glimpflich verläuft. Andrerseits galten Strohballen noch bis zum Ende des vorigen Jahrtausends als ausreichender Schutz vor natürlichen Hindernissen wie Steinen oder Bäumen. Deshalb überlebten viel zu viele Fahrer von damals (und an der TT sogar heute noch) ihre Rennsportkarriere nicht.

Ernie Ring (AJS) – tödlich verunfallt 1953 in Spa-Francorchamps im 500-er Rennen. Beim Grand Prix von Belgien flog der Australier in Kurve 9 ab, verletzte sich dabei schwer und verstarb noch auf dem Transport ins Spital. An der Tourist Trophy auf dem berüchtigten Snaefell Course verloren im selben Jahr ganze vier Piloten bei Unfällen ihr Leben, darunter auch der berühmte „Les“ Graham aus England, als 8-facher GP Sieger und 500 cm³ Weltmeister von 1949. Nur einen Tag davor hatte er noch seinen ersten TT Sieg in der Kategorie bis 125 cm³ (auf MV Agusta) gefeiert.

Was heute besser ist und uns 2024 erwartet

Beim Durchsuchen unseres riesigen Archivs stossen wir immer wieder auf Hinweise, wie unzuverlässig damals die Technik vor 70 Jahren war. Die Fahrer hatten stets Ersatz-Zündkerzen und Werkzeug mit sich, um notfalls während der Fahrt zu stoppen und bei einem Defekt selbst zu wechseln. Ähnlich war es auch im Privatverkehr nicht unüblich, dass auf langen Strecken bei Bedarf Hand angelegt werden musste, weil Pannendienste noch nicht innert kürzester Zeit zu Hilfe eilen konnten. All dies ist heute, genau wie auch die Qualität der Reifen und Bekleidung, um Welten besser. Nachdem Ducati zur Freude ihrer Fans nicht nur in der WorldSBK seit 2022 für lange Weile gesorgt hatte, sondern auch in der MotoGP einen Tick zu oft der Konkurrenz deutlich überlegen war, können die restlichen Rennsport-Begeisterten für nächste Saison wohl endlich aufatmen. Durch das längst auch in der WSBK überfällige und für 2024 viel zu spät beschlossene Minimalgewicht dürfte es wieder zu deutlich mehr interessanten Zweikämpfen als in den vorigen zwei Jahren kommen. Für viel Spannung sorgt zudem auch die Rochade bei Yamaha mit dem Platztausch von Rekordweltmeister Rea anstelle von Toprak (der zu BMW ging). Definitiven Sensations-Charakter hat natürlich auch der Wechsel von Marc Marquez zum Gresini Ducati Kundenteam in der MotoGP. Fast noch wichtiger ist dort aber die modifizierte Concession-Regelung, womit Honda und Yamaha hoffentlich ihre Vorteile nutzen, um zu ihren Gegnern punkto Performance aufzuschliessen. Insofern dürfen wir und auf ein hoffentlich spannendes 2024 freuen und wünschen allen Fans, sowie Teams und deren Piloten eine tolle, gesunde und verletzungsfreie nächste Saison.

Fergus Anderson (Moto-Guzzi) vor Ray Amm (Norton) 1953 – wie dieses und viele andern Fotos beweisen, war das auf der Innenseite ausgestreckte Bein in Kurven bereits in den 1950-ern absolut üblich. Journalisten behaupten heute oft, dies sei eine erst in der Neuzeit in Mode gekommene Fahrweise, vielleicht weil viele von ihnen schlicht zu faul sind, um sich mit der Geschichte des Rennsports ernsthaft auseinanderzusetzen.

Wo nicht anders erwähnt gilt bei allen Bildern (© MotoGP).