
Vor der dritten WM-Saison mit deutscher Beteiligung
Da es heute manchem schwer fällt, für die ersten 3 Jahre ab 1949 von einer Motorrad-Weltmeisterschaft zu reden, die diese Bezeichnung auch wirklich verdient, ging es ab 1952 erstmals richtig los. Aufgrund der politischen Situation nach dem zweiten Weltkrieg waren mit den Deutschen die erfolgreichste Nation der letzten Jahre bis 1939 durch die FIM vom Grand Prix Sport ausgeschlossen. Damit glich vor der vierten Saison die Weltmeisterschaft eher einem Länderkampf Italien gegen Grossbritannien. Aber nach einem Jahr Anlauf mit nur teilweiser Mitwirkung der Werke und Fahrer startete vor allem NSU dank ihrem erst zum GP von Deutschland ins Werksteam aufgenommenen Werner Haas höchst beeindruckend durch. Sofort war es mit der italienischen Dominanz in den kleineren Kategorien bis 125 und 250 cm³ vorbei. Damit befanden sich MV Agusta, Moto-Morini und Moto-Guzzi vor Saisonbeginn 1954 in der für sie ungewohnten Verfolgerrolle. Drei Wochen vor dem ersten Grand Prix des Jahres in Reims fand für die Deutschen die Generalprobe auf dem Hockenheimring statt, bei welcher Haas sowohl das 125-er wie auch das Rennen bis 250 cm³ gewann und Ray Amm (Norton) meldete bei den 350-ern seine Ambitionen an, diesmal mehr als Rang 3 in der Weltmeisterschaft (hinter den Moto-Guzzi Werksfahrern Anderson und Lorenzetti) zu holen. Unbestrittener Favorit in der Königsklasse war Gilera Werksfahrer Geoff Duke als amtierender Weltmeister.



Saisonauftakt in Reims mit der Kategorie bis 250 cm³
Nach Rouen war für den Grand Prix von Frankreich diesmal Reims an der Reihe und die 125-er waren hier im Gegensatz zum Vorjahr diesmal nicht ausgeschrieben. Auf dem Circuit de Gueux mit einer Länge von 8.347 Kilometern war deshalb die kleinste Kategorie diejenige bis 250 cm³. Schnellster im Training war der amtierende Weltmeister Haas mit einem Schnitt von 164.029 km/h bei einer Rundenzeit von 3:03.2 und in den grösseren beiden Klassen dominierte Lokalmatador Pierre Monneret. In Reims war das komplette neue NSU-Werksteam aus Neckarsulm angereist, bestehend aus Baltisberger, Haas, Hollaus und Müller. Nach dem Start duellierten sich anfänglich Haas und Müller an der Spitze. Nach der ersten von 18 Runden lagen fünf NSU in Front, angeführt von Haas vor Hollaus, Müller, Baltisberger und dem Privatfahrer Reichert auf seiner NSUSport-Max, der in der 6. Runde ausschied.

Die drückende Überlegenheit der NSU Werksmannschaft
Alle andern Piloten waren in diesem Augenblick bereits überrundet. Danach spitzte sich der Kampf um den Sieg auf Haas und Müller zu, die sich laufend in der Führung abwechselten. In der Schlußrunde hatte H.P. Müller die Führung, als auf den letzten Metern vor dem Ziel Weltmeister Haas aus dem Windschatten zog und mit halber Radlänge vor dem Bielefelder die Ziellinie kreuzte. Dahinter sorgten Hollaus und Baltisberger für einen Vierfachsieg von NSU. Erst mit zwei Runden Rückstand, was etwa 17 Kilometer ausmachte, folgte Tommy Wood auf Guzzi als fünfter. Die Werksmannschaft von NSU reiste direkt nach dem Rennwochenende aus Frankreich an die TT weiter. Man wollte beim Heimvorteil der Engländer nichts dem Zufall überlassen, um wenn vielleicht nicht für den Sieg, zumindest beim Kampf um die Podestplätze ein ernsthaftes Wörtchen mitzureden. Mit einer Streckenlänge von knapp über 60 Kilometern galt die Strecke auf der Isle of Man nicht nur als besonders herausfordernd, sondern es war seit jeher auch einer der gefährlichsten Kurse der Welt.

Die grösseren Klassen mit vielen prominenten Abwesenden
Traditionsgemäss blieben die meisten Engländer (mit Ausnahme vom amtierenden Weltmeister Duke) bis zur TT dem Kontinent fern, womit in der mittleren und grössten Klasse natürlich das Salz in der Suppe fehlte. Auch das Werksteam von Moto-Guzzi war zur Überraschung aller Konkurrenten nicht angereist, was natürlich in beiden Fällen wichtige Punkte beim Saisonauftakt kostete. Selbst NSU hatte nicht alle Eisen im Feuer gehabt. Die jüngsten Maschinen waren bereits auf dem Weg zur Isle of Man zur Vorbereitung der TT, trotzdem hatte es dank Abwesenheit von Guzzi in der Viertelliterklasse für ihren ersten Vierfachsieg gereicht. Während in der 350-er Klasse noch von einem Rennen mit einer gewissen Spannung im Kampf um den zweiten Rang gesprochen werden konnte, war der Lauf in der Königsklasse mit seinem Resultat schlicht nicht einer Weltmeisterschaft würdig. Dazu kam ein weiterer Aspekt und dafür konnte man nicht den Veranstalter verantwortlich machen..

Peinlich geringes Zuschauerinteresse
Während im zwei Jahre davor an die Solitude bei Stuttgart über 400-tausend Zuschauer für die Premiere des ersten Grand Prix von Deutschland der Geschichte gepilgert waren, sah es in Reims in diesem Thema dramatisch aus. Ganze 20.000 Besucher konnten die Organisatoren empfangen, was von den Reportern aus Deutschland mit Fassungslosigkeit kommentiert wurde. Dazu fehlten bis auf Geoff Duke fast alle Stars und dann hatte der amtierende Weltmeister auch noch fürchterliches Pech, als er aufgrund technischer Probleme die Box ansteuern und aufgeben musste. Damit war sämtliche Spannung weg. Ein Podium für den Franzose Collot in der Kategorie bis 500 cm³ trotz einem Rückstand von zwei Runden, war sportlich leider recht fragwürdig, was das Resultat betraf. Alle anderen klassierten Piloten hatten sogar mindestens drei Runden auf Sieger Monneret verloren, der als erster Franzose bei seinem Heimrennen einen Grand Prix gewann. Weil er im Vorjahr bei den 350-ern bereits zweiter beim GP von Frankreich in Rouen wurde, hatte er zweifellos Weltklasse-Format und diesen Triumpf vollauf verdient. Auch der Belgier Goffin als zweiter in der Kategorie bis 250 cm³ hatte sein Können bereits zuvor unter Beweis gestellt und Gilera Pilot Milani stand mit nur 16.6 Sekunden Rückstand auf Sieger Monneret im 500-er Rennen ausser Zweifel, was seine Fähigkeiten betraf. An der bevorstehenden Tourist Trophy sollte mit sämtlichen Weltstars jedoch sowieso alles wieder komplett anders aussehen.


Die Tourist Trophy lancierte die Saison erst richtig – aber dramatisch
Während in Reims viele Stars vor allem der grösseren Klassen noch gefehlt hatten, ging die Saison 1954 an der TT auf der Isle of Man natürlich erst richtig los. Tragischerweise kam es nach den 4 Todesopfern im Vorjahr auch nun wieder zu drei tödlichen Unfällen. Im Training erwischte es den Australier Laurie Boulter (Norton), als er seinen Landsmann Ken Kavanagh bei Handley Corner am Streckenrand erblickt hatte, sich kurz nach diesem umdrehte und danach mit dem Auto von einem Arzt kollidierte. Laurie flog über das Fahrzeug und gegen eine Steinwand, wonach für ihn jede Hilfe zu spät kam. Am 7. Juni 1954 verunfallte Raymond G. Ashford auf seiner 350-er BSA im Training bei Laurel Bank tödlich und nur 11 Tage danach verstarb Simon Sandys Winch (Velocette 350 cm³) an seinen Verletzungen nach einem schweren Sturz bei Highlander in der ersten Runde. Die Deutsche NSU Delegation hingegen hatte Glück und alle von ihren Werkspiloten sollten heil wieder zurückkehren.


Das sensationelle Rennen der Ultra-Lightweight Klasse
Mit Rupert Hollaus als NSU Neuzugang war offensichtlich ein neuer Stern im Grand Prix Zirkus geboren. Das deutsche Werk hatte zwei Jahre davor bereits mit der Verpflichtung des damaligen Nachwuchsfahrers Werner Haas ein goldenes Händchen gehabt und nun mit dem Österreich einen neuen Diamenten in ihr Team aufgenommen. Dazu die beiden Routiniers H. P. Müller und Hans Baltisberger, was eine ab 1954 nur schwer zu schlagende Kombination in den kleineren beiden Klassen darstellte. Nach dem guten dritten Rang in der Kategorie bis 250 cm³ in Reims folgte bei den 125-ern an der Tourist Trophy nun das Meister-Stück von Hollaus. Das junge Talent duellierte sich auf dem kleineren Clypse Course 10 Runden lang mit dem mehrfachen Weltmeister Carlo Ubbiali, bis er am Ende mit 4 Sekunden Vorsprung auf den Italiener (aufgrund seiner schmalen Augen von seinen Landsleuten oft „der Chinese“ genannt) gewann. TT-Kenner Cecil Sandford wurde von den beiden Kampfhähnen um über viereinhalb Minuten distanziert und belegte als Sieger von 1952 in derselben Kategorie diesmal Rang 3. Dahinter folgte Hans Baltisberger auf einer weiteren Werks-NSU vor den Engländern Lloyd, Purslow (beide MV Agusta) und Grace auf Montesa aus der englischen Enklave Gibraltar, am südlichsten Zipfel Spaniens.



Deutscher Triumpf bei der Lightweight Klasse
Im Jahr 1938 hatte mit Ewald Kluge auf DKW zum ersten Mal ein Deutscher in der Kategorie bis 250 cm³ gewonnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten seine Landsleute und Hersteller jedoch lange warten, bis sie überhaupt an der per 1949 neu geschaffenen Weltmeisterschaft teilnehmen durften. Ab 1952 war es soweit und innert einem Jahr schaffte es NSU mit Aushängeschild Werner Haas zum Doppeltitel in den beiden kleineren Klassen. Im Jahr danach dominierte ihr Neuzugang Hollaus bei den kleinsten und in der noch wichtigeren Viertelliter-Kategorie sollten sie den Sieger stellen, sowie vier Fahrer in die Top sechs bringen. Moto-Guzzi als vor zwei Jahren noch Mass aller Dinge wurde damit zum Statisten degradiert. Derart empfindlich geschlagen zu werden, muss für die Italiener höchst schmerzhaft sein, hatten diese doch mit Reginald Armstrong einen ausgewiesenen Spezialisten unter Vertrag. Der Ire stand an der TT bereits mehrmals auf dem Podium und hatte zwei Jahre davor sogar (auf Norton) die Senior Kategorie (bis 500 cm³) gewonnen. Für mehr als Rang 5 reichte es bei ihm jedoch letztlich nicht.


Deutschland vor Österreich und Irland bei NSU
In einer Zeit, als Ausfälle und technische Probleme das normalste der Welt waren, beeindruckte die Truppe von NSU die Motorsportwelt äusserst nachhaltig. Mit sämtlichen fünf Werksfahrern in den Punkten das Ziel zu erreichen, war damals mehr als selten. Anfänglich war Armstrong in Führung gegangen, bevor Haas diesen an der Spitze ablöste. Nach der ersten von 3 Runden auf dem Snaefell Circuit und damit gut 60 Kilometern, führte der Deutsche 6 Sekunden vor dem Iren auf der schnellsten Moto-Guzi, dahinter folgten Hollaus, Müller und Baltisberger (alle NSU). Ken Kavanagh als zweiter Kandidat für eine gute Platzierung für die italienischen Guzzis musste nach einer Kollision mit Altmeister H. P. Müller mit beschädigter Maschine aufgeben. Anderson verlor die Heckverkleidung und damit wurde der Weg für die beeindruckend zuverlässige, NSU-Werksmannschaft frei. Nach zwei von drei Runden lag Haas 33 Sekunden vor Armstrong, dem knapp dahinter Hollaus auf den Fersen war, gefolgt von Müller, Anderson und Baltisberger. Die erst kürzlich modifizierte und nochmals verbesserte Rennmax von NSU verblüffte die Konkurrenz und am Ende war es lediglich Guzzi Ass Anderson gelungen, mit P5 eine lückenlose Bilanz der Marke aus Neckarsulm zu durchbrechen und noch vor Hans Baltisberger im Ziel abgewunken zu werden. Aber der Jubel im Lager von NSU war natürlich unbeschreiblich und sie hatten damit Geschichte geschrieben.

AJS und die Rückkehr zum Erfolg
Die englische Marke hatte schon seit sehr langer Zeit keine Erfolge mehr an der TT zu bejubeln, aber vor allem in der 350-er Klasse war die Chance dafür durchaus vorhanden und sie wurde von ihnen 1954 auch genutzt. Weil sich die italienischen Werke von Gilera und MV damals vor allem auf die Königsklasse bis 500 cm³ konzentrierten, blieben in erster Linie Norton und Moto-Guzzi als ernsthafteste Konkurrenten. Deshalb hatten die Leute aus Wolverhampton nachgelegt und ihr weltbekanntes Modell „7R Boy Racer“ deutlich nachgeschärft. Damit gelang es Rod Coleman nach vielen Jahren der Erfolglosigkeit, endlich wieder an die Vorkriegszeit anzuknüpfen, als oft der Sieg nur über sie führte. Mit Bob Kessler (P3) und Peter Davey als fünftem schafften es einzig zwei Norton Piloten, in die AJS Phalanx einzubrechen. Weil Dickie Dale und Bill Lomas auf ihren MV’s förmlich untergingen, schaffte es nur der erstgenannte, sich überhaupt als siebter (aber damit ohne Punkte) zu platzieren. Seit 1922 und damit vollen 32 Jahren, hatte die Londoner Firma AJS auf ihren nächsten Sieg in der Junior Kategorie der Tourist Trophy warten müssen.

Das Abbruch-Rennen der Königklasse
Als der Nebel einsetzte, wurde es bei den 500-ern zu gefährlich, weshalb nach 4 statt 7 Runden das Rennen vorzeitig abgebrochen werden musste. Bereits in der ersten Runde waren bei Quarter Bridge ganze vier Piloten gestürzt. Der anfänglich noch führende Geoff Duke fiel nach zwischenzeitlicher Führung noch zurück, weil er sich offensichtlich dafür entschied, die Insel lieber lebend zu verlassen. Wenig überraschend entschied sich die Rennleitung viel zu spät für einen Abbruch, was den amtierenden Titelverteidiger somit den Sieg kostete. Aber der beste Fahrer seiner Zeit konnte immerhin Platz zwei hinter Nortons Aushängeschild Amm retten. Hinter Duke lagen beim Abbruch bereits mit deutlichem Rückstand Jack Brett (Norton) vor Armstrong (Gilera) und den beiden Nortons von Allison und Laing. Eigentlich war es nur pures Glück, dass es bei diesem Rennen nicht noch weitere Todesopfer gab, als anfänglich genannte drei Piloten, die bei dieser Ausgabe der TT ihr Leben liessen.


Vor der Fortsetzung in Ulster
Besonders weit mussten die Teams in diesem Jahr bis zum nächsten Grand Prix nicht reisen. Die Fähre von Douglas auf der Isle of Man nach Belfast in Nordirland benötigt dafür lediglich etwas über 100 Meilen in knapp 4 Stunden zurückzulegen. Die Situation in der Weltmeisterschaft war nach 2 von 9 Runden (bei den 125-ern waren jedoch nur 6 und bis 250 cm³ nur 7 Rennen ausgeschrieben) bis auf die Viertelliter-Klasse noch völlig offen. In der Königsklasse sollte es zudem nach dem vorzeitigen Abbruch an der TT auch in Nord-Irland unerwartete Probleme geben. Mit Werner Haas gab es vor der Weiterreise damit nur einen Piloten, der das Zwischenklassement mit deutlichem Vorsprung anführte. Mit 16 Punkten nach 2 von 7 Runden führte der amtierende Weltmeister vor Rupert Hollaus (10), Hermann Paul Müller (9), Armstrong und Baltisberger (beide 4), alle auf NSU.

Wo nicht anders erwähnt gilt bei allen Bildern (© MotoGP).
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