Beinharte Positionskämpfe prägten das erste Rennen des Jahres, mit wie erwartet BMW Neuzugang Toprak Razgatlioglu (vorne im Bild vor Locatelli, Petrucci, Van der Mark und Sam Lowes) als einer der prägendsten Figuren. Zu den Hauptakteuren gehörten aber vor allem auch Rookies wie Bulega und Iannone (© BMW Motorrad WorldSBK).

Ein denkwürdiger erster Renntag der Saison 2024 in Australien

Mit Ausnahme des Kampfs um den Sieg konnten durchaus sehenswerte Kämpfe um die Positionen erwartet werden, bevor in Phillip Island die Ampeln zum ersten Mal in dieser Saison zum Start ausgingen. Wie im Vorfeld bereits von uns befürchtet, war es eine Aruba.it Ducati, welche ab kurz nach dem Stopp zum Reifenwechsel bei Halbzeit ungefährdet in Führung lag. Dank der ihr zugestandenen Vorteile in Bezug auf die Maximaldrehzahl konnte Nicolo Bulega nahtlos an seine zahllosen Bestzeiten in den Vortests anschliessen und der amtierende WorldSSP Weltmeister gewann das Rennen völlig locker. Weshalb danach viele Kommentatoren von einer Überraschung sprachen, ist nur schwer nachzuvollziehen und trotzdem etwas, das wir seit Jahrzehnten im Rennsport beobachten konnten. Wäre Bulegas Team-Kollege Alvaro Bautista jedenfalls nicht zu ungestüm ans Werk gegangen, hätte es vermutlich eine Fortsetzung der Ergebnisse des Vorjahres-Sonntags gegeben, als der Spanier zusammen mit seinem damaligen Stallkameraden Rinaldi dem Feld auf und davon fuhr. Nachfolgend die wichtigsten Ereignisse des ersten Renntages der Saison 2024.

Nicolo Bulega (Aruba.it Ducati) vor Andrea Iannone (GoEleven Ducati) – zwei der Hauptakteure am Samstag und für echte Experten mit ihrer Topleistung alles andere als eine Überraschung. Ersterer dominierte bereits die Vortests und zweiterer lieferte in Down Under früher bereits in der MotoGP eine beeindruckende Show ab.

Das dritte freie Training am Samstagmorgen

Während Bautista und Rea früh beweisen wollten, wieviel ihre Erfahrung nach dem verpatzten Freitag wert war, gelang der Anschluss zur Spitze vorerst nur dem Spanier. Kawasaki Ass Alex Lowes knüpfte gleich zu Beginn an seine hervorragenden Resultate des Vortages an, während sein Zwillingsbruder Sam in Kurve 11 heftig abflog. Auch Scott Redding stürzte auf seiner Bonovo Action BMW kurz danach. Razgatlioglu machte wie Alvaro Bautista seine Ankündigung vom Vortag wahr und schaffte in der Schlussphase des dritten freien Trainings eine beruhigend schnelle Zeit, nachdem er am Freitag nur Neunter gewesen war. Domi Aegerter bewies kurz vor Schluss ebenfalls, dass seine bescheidenen Rundenzeiten vom Freitag wenig aussagekräftig waren und lag eine Minute vor Schluss vor GYTR Yamaha Team-Kollege Remy Gardner auf P4. Auch Garrett Gerloff vermochte am letzten freien Training am Samstagmorgen mit Position sechs zu überzeugen, während Yamaha Neuzugang Rea am Ende nur dreizehnter wurde.

Streckenskizze des Kurses von Phillip Island mit in Kurve 4 (ehemals Honda Corner, seit einiger Zeit nach „Jack-Ass“ umbenannt) dem harmlosen Long Lap Penalty Bereich, bei welchem bestrafte Piloten in der Regel kaum Zeit oder gar Positionen verlieren.

Die sechzehnte Superpole von Phillip Island mit vielen Überraschungen

Von den „Big Three“ konnte einzig Toprak Razgatlioglu auf der für ihn noch recht neuen BMW M-1000RR überzeugen, als er immerhin die fünftbeste Zeit schaffte. Der amtierende Weltmeister Bautista hingegen musste sich mit Startplatz 9 begnügen und Rekordweltmeister Jonathan Rea mühte sich mit Problemen auf der für ihn noch ungewohnten Yamaha R1 ab, womit am Ende nicht mehr als P11 für den Nord-Iren drin lag. Aber auch „Magic Michael“ van der Mark musste aufgrund eines Sturzes mit dem unliebsamen 16. Startplatz einen Rückschlag einstecken, sowie Danilo Petrucci als nur zwölfter, Garret Gerloff mit P14 und Kawasaki Neuzugang Axel Bassani auf Startposition 15. Ähnlich schlecht lief es auch für den im Vorjahr noch zweifachen Zweiten Michael Ruben Rinaldi auf der Motocorsa Ducati mit Platz 10. Damit waren es vor allem Rookies wie Bulega als schnellstem, Iannone (P2) und Sam Lowes als achtem, welche die sechzehnte Superpole von Phillip Island prägten. Dazu der bereits 2023 in der ersten Startreihe stehenden Dominique Aegerter (Yamaha), diesmal als vierter vor Toprak und dessen vormaligem Yamaha-Teamkollegen Locatelli.

Gruppenbild der drei ersten mit einem australischen WSBK-Vizeweltmeister, von rechts Kawasaki Ass Alex Lowes (P3), Nicolo Bulega (Ducati, Polesitter), Andrea Iannone (Ducati, P2) und Chris Vermeulen (ehemals MotoGP Pilot, WSSP Weltmeister 2003 und WorldSBK Vizeweltmeister 2005).

Blitzstarter Bautista und sein erster fataler Fehler der Saison

Wie wenig seine 5 oder 6 Kilogramm Mehrgewicht durch die neue Regelung seinen Vorwärtsdrang bremsen konnten, bewies der kleine Spanier gleich beim Start auf eindrückliche Weise. Von dem laut ihm dadurch erlittenen Nachteil war nichts zu spüren, als er von Startplatz 9 aus bis Kurve 1 auf Position zwei vorstiess. Wenig später wurde der Spanier jedoch von Iannone kassiert und eine Runde später auch noch von Alex Lowes und Toprak. Danach zwängte sich Sam Lowes innen an Bautista, konnte aber die Linie nicht halten und somit verloren gleich beide mehrere Positionen, weil innen sofort einige Piloten an ihnen vorbeiziehen konnten. Es folgte des kleinen Ducati Aushängeschilds erster fataler Fehler der Saison, der ihn durch seinen Crash auf den letzten Platz des Feldes zurückfallen liess. Nach 6 Führungsrunden hatte Iannone von Bulega Gesellschaft erhalten, der nicht lange fackelte und einen Umgang später die Spitze übernahm. Dahinter beim Boxenstopp nach 9 Runden Alex Lowes, Iannone, Razgatlioglu und Petrucci. Der Türke fuhr einen Tick zu früh wieder auf die Strecke, was eine Zeitstrafe nach sich zog. Der danach kurz führende Locatelli blieb wie einige weiteren bis Runde 11 draussen, bevor er wie vorgeschrieben ebenfalls seine Reifen an der Box wechseln ging.

Alvaro Bautista (Aruba.it Ducati) auf dem Hosenboden – so hatte sich der amtierende zweifache Weltmeister den Saisonstart wahrlich nicht vorgestellt. Nachdem er von Sam Lowes kurz davor nach aussen gedrängt worden war, versuchte es der 8-fache WSBK Rekordsieger von Phillip Island mit der Brechstange, was wie dieses Bild von Runde 4 beweist, gehörig in die Hosen ging.

Die Rückkehr der Eintönigkeit – kein echter Kampf um den Sieg

Kurz nach den Boxenstopps passierte, was wir im Vorfeld bereits befürchtet hatten, siehe auch unser Beitrag mit dem Titel „Die Erklärung“ vom 21. Februar 2024. Betrug sein Vorsprung vor dem Boxenstopp nur etwa eine halbe Sekunde, waren es für Bulega in Runde 11 bereits über 3 Sekunden, um die er seine nächsten Verfolger distanziert hatte. Nach 14 von 20 Umgängen waren es bereits über 4 Sekunden und ab nun ging es nur noch um die Plätze dahinter. Dabei zeigte sich Andrea Locatelli von seiner besten Seite und er bewies damit auch gleichzeitig, wie gut die Yamaha im Vergleich zur restlichen Konkurrenz immer noch ist. Vor Iannone sorgte der WSSP Sieger von 2020 in Australien und damals auch überlegene Weltmeister der ersten Pandemie-Saison für einen dreifachen italienischen Triumph. Dahinter Toprak, der jedoch zu knapp vor Alex Lowes die Zielflagge kreuzte, womit er infolge seiner Zeitstrafe nur fünfter wurde. Aegerter holte auf der zweitbesten Yamaha Rang 6 vor Van der Mark (BMW), Petrucci (Ducati), Gerloff (BMW) und Vierge (Honda) als Zehntem. Bautista mit P15 und nur einem Punkt vor Oettl und Rea (beide Yamaha).

Remy Gardner stürzte unschuldig und Übeltäter Axel Bassani erhielt dafür einen Long Lap Penalty, was in Phillip Island jedoch kaum Zeit kostet und daher eine mehr als milde Strafe bedeutete. Auch Bradley Ray landete im Gras, konnte aber wie Bautista weiterfahren, wurde danach jedoch letzter.

Das Fazit vor dem letzten Renntag in Down Under

Für Jonathan Rea dürfte es eines seiner belastendsten Erlebnisse werden, was seine Premiere bei Pata Yamaha betrifft. Nur noch ein Wunder kann ihm das derzeit komplett fehlende Vertrauen in die R1 noch rechtzeitig zurückgeben, womit ein frustrierender Saisonauftakt für den besten Superbike Piloten aller Zeiten zu befürchten ist. Ganz anders die Situation für Bautista und Toprak, weil beide derzeit sicher sein können, dass ihr Motorrad sehr konkurrenzfähig ist und ein Podium bei den letzten beiden Läufen des Wochenendes deshalb das Ziel sein muss. Klare Vorteile hat dank der Bevorzugung durch FIM und Dorna immer noch das Ducati Werksteam, womit Bulega und Bautista die klaren Favoriten für den Sonntag sind. Dahinter können Nuancen entscheiden, aber sofern die beiden fehlerfrei fahren, dürfte es ähnlich wie im Vorjahr ausgehen. Am 26. Februar 2023 hatte Locatelli auf Rang 3 über 9 Sekunden Rückstand auf Alvaro und dessen Werksteam-Kollege Rinaldi fuhr zwei ungefährdete zweite Plätze ein. Voraussichtlich könnte höchstens Regen (die Prognose zeigt allerdings eine geringe Wahrscheinlichkeit dafür) oder Fahrfehler wie am Samstag der von Bautista diesmal etwas daran ändern.

Dank Andrea „The Maniac“ Iannone (GoEleven Ducati, hier vor Lowes, Toprak und Bulega) war zu Beginn das erste Rennen noch absolut spannend und abwechslungsreich. Selbst Jonathan Rea (Yamaha, mit der 65 vor van der Mark auf der Kuppe) war hier noch in halbwegs aussichtsreicher Position. Leider wurde es aber kurz nach dem Zwangs-Boxenstopp (aufgrund der Gefahr, dass sich die Reifen zu stark abnützen würden, bevor die Gesamtdistanz erreicht wird) verflog jedoch die Spannung beim Kampf um den Sieg.

Wo nicht anders erwähnt gilt bei allen Bildern (© WorldSBK).