Teil 7: Erste Saisonhälfte 1991 – dem 4. Jahr der Superbike WM
In Donington begann diesmal die 4. Saison der seriennahen Weltmeisterschaft wieder an ihrem Ursprungsort, wo am 3. April 1988 alles begonnen hatte. Diesmal war es erneut sehr früh im Jahr, als am 30. März des Jahres 1991 die Motoren zum Auftakt der 4. Superbike WM das erste Mal aufheulten. Die Entry-List war riesig und umfasste nicht weniger als 54 Fahrer, eine heute fast unvorstellbare Zahl. Bis zum Ende der Saison sollten über 90 verschiedene Piloten WM-Punkte einfahren. Titelverteidiger war der Franzose Raymond Roche auf Ducati. Sein Teamkollege war wie im Vorjahr wieder Giancarlo Falappa. Der Italiener hatte nach einem fürchterlichen Unfall auf dem Österreich-Ring den Rest der Saison verpasst, siehe dazu auch unseren Bericht zur Saison 1990. Als Teamchef für die Ducati Werks-Mannschaft amtete im 3. Jahr der ehemalige 500 cm³ Rennfahrer Marco Lucchinelli, in der ersten WSBK Saison 1988 noch selbst Laufsieger in Donington Park.
Konkurrenz von der eigenen Marke
Der Titelverteidiger sollte für die Saison 1991 mit Doug Polen einen starken Konkurrenten aus den USA erhalten. Der in der AMA Superbike bereits sehr erfolgreiche US-Amerikaner trat für das private Fast by Ferracci Team an. Obwohl die Werksmannschaft bereits das neue Modell 888 einsetzte, erwies sich die Ducati 851 des Belgiers Stéphane Merkel und erst recht die 888-er des genialen Tuners Eraldo Ferracci von Doug Polen als mindestens ebenbürtig. Immer wieder gibt es schlecht orientierte Journalisten, oder solche die für seriöse Recherchen schlicht zu faul sind, die Doug Polen allen Ernstes eine Werks-Ducati unterstellen. Doch nicht nur beispielsweise Troy Corser sollte später auf einer privaten Ducati durchstarten, sondern davor auch der US-Boy aus Detroit in Michigan.
Der Kalender der WorldSBK Saison 1991
Nach Enna-Pergusa in Sizilien und Monza in Norditalien kamen diesmal die Strecken von Misano und Mugello zum ersten Mal für die Superbike WM zum Zug. Damit gab es auch erstmals zwei Events in Italien. Die Strecke von Manfeild in Neuseeland fehlte zum ersten Mal im Kalender, weshalb das Saisonfinale in Phillip Island (Australien) ausgetragen wurde. Statt in Jerez gastierte die seriennahe WM in Spanien diesmal auf der Strecke von Jarama, nahe der Hauptstadt Madrid. Zum ersten Mal seit Austragung der WSBK fehlte auch der Hungaroring in der Nähe von Budapest (Ungarn). Dafür probierte man es diesmal mit Anderstorp in Schweden. Hier waren von 1974 bis 1990 mehrmals die Fahrer der Prototypen-Weltmeisterschaft unterwegs gewesen.
Der Saisonstart in England
Der amtierende Weltmeister stieg genauso wie sein Vorgänger Fred Merkel (Honda) mit einem Fehltritt in die neue Saison. Raymond Roche blieb in der 10. Runde mit einem Motorschaden an seiner Werks-Ducati stehen und nur zwei Runden später erwischte es auch den US-Amerikaner mit analogem Problem. Dass sein Teamkollege Baldassare Monti im zehnten Umlauf stürzte, machte den ersten Lauf für seine Mannschaft zum Desaster.
Der Überraschungssieger aus den Vereinigten Staaten
Statt einem der Favoriten gewann für das Ducati Privatteam „Fast by Ferracci“ aus den USA Doug Polen vor Fabrizio Pirovano (Yamaha) und Terry Rymer (Yamaha). Hinter dem WM-Vierten des Vorjahres, Rob Phillis (Kawasaki) klassierten sich mit Rob McElnea, Brian Morrison, Niall Mackenzie und Ray Stringer vier Engländer. Der WM-Dritte von 1990 Stéphane Mertens (Ducati) war hingegen in der achten Runde gestürzt. Davor hatte der Belgier auf seiner Ducati 851 (die bereits 888 cm³ Hubraum hatte) noch mit 1:37,98 die schnellste Runde gefahren.
Das zweite Rennen in Donington
Als Sieger des ersten Laufs erwischte es zwei Runden vor Schluss des zweiten Rennens diesmal Doug Polen mit einem Triebwerksdefekt an seiner privaten Ducati 888. Mertens gewann vor Roche, Rob Phillis, Rymer und McElnea. Platz 9 holte sich ein gewisser Carl Fogarty auf Honda, der im ersten Rennen noch mit einem Problem an seinem Schaltgestänge ausgeschieden war. Damals konnte noch niemand ahnen, dass er schon bald zu einer prägenden Figur der Superbike WM werden sollte. Nebst Polen erwischte vor allem dessen Landsmann Fred Merkel einen rabenschwarzen Tag. Diesmal kam der Weltmeister von 1988 und 1989 nur 8 Runden weit, bevor seine Rumi Honda ihren Geist aufgab.
WM-Runde 2 in Jarama
Seit 1969 war auf dieser Strecke nordöstlich von Madrid schon oft die Motorrad-Weltmeisterschaft zu Gast gewesen. Nach 1990 in Jerez war die spanische WSBK Runde diesmal auf dem Circuito del Jarama eingeplant worden. Im ersten Lauf schockte Doug Polen die Konkurrenz erneut, als er mit 8 Sekunden Vorsprung auf den Australier Rob Phillis das Rennen überlegen gewann. Roche hingegen stürzte bereits in der ersten Runde und 5 Umgänge später machte es ihm auch Fred Merkel nach. Kurz nach dem Start hatte es zudem einen Massensturz gegeben, dem unter anderen auch Stéphane Mertens zum Opfer gefallen war. Das Podium komplettierte der Spanier Juan López Mella vor seinem Landsmann Daniel Amatriain (beide Honda), Pirovano, Monti und Terry Rymer. Der Deutsche Udo Mark holte sich auf Yamaha vor Carl Fogarty (Honda) den hervorragenden 8. Platz.
Das zweite Rennen in Spanien und Polens Bestätigung
Der Sieger des ersten Laufs doppelte souverän nach und triumphierte damit bereits zum 3. Mal in 4 Rennen. Doug Polen war damit WM-Leader, bevor es in Übersee-Runden weiterging. Stéphane Mertens war vor dem amtierenden Weltmeister und Ducati-Werksfahrer Roche zweiter geworden, der sich damit gleich zwei privaten Ducatis geschlagen geben musste. Die Top Ten wurden komplettiert von Mella, Pirovano, Amatriain, Mark, Fogarty, dem Finnen Jari Suhonen und mit Luis Carlos Maurel einem weiteren Spanier (beide Yamaha). Auch diesmal hatte es gleich in der ersten Runde mit Rob Phillis und Baldassare Monti zwei prominente Sturzopfer gegeben. Fred Merkel flog nur eine Runde später ebenfalls noch ab. Insgesamt verpassten noch weitere 7 Fahrer die Zielankunft, darunter auch Giancarlo Falappa auf der zweiten Werks-Ducati.
Der Boykott des kanadischen WM-Laufs in Mosport
Die brandgefährliche Strecke von Mosport in Kanada hatte bereits in den ersten Jahren zu einigen Diskussionen geführt. Wenn hier ein Fahrer an der falschen Stelle stürzte, waren schwerste Verletzungen oder gar tödliche Folgen zu befürchten. Daher kam es auf die Saison 1991 zum Boykott sämtlicher Weltklassefahrer, dem sich auch die besten US-Amerikaner wie Polen und Merken angeschlossen hatten. Mangels sportlichem Wert dieser Veranstaltung verzichten wir auf die Details der Resultat-Liste. Im ersten Rennen hatten nur 15 Fahrer das Ziel gesehen und Lauf 2 sah sogar nur 13 Piloten im Ziel.
Die eigentlich 3. WM-Runde in Brainerd
Die Strecke im Crow Wing County im US-amerikanischen Bundesstaat Minnesota war den Lokalmatadoren natürlich bestens bekannt. Fred Merkel hatte dort bereits Laufsiege in der AMA Superbike Meisterschaft errungen, jedoch im Vorjahr bei den WSBK Rennen mit Reifenproblemen gekämpft. Auch am Sonntag, dem 2. Juni 1991 sollte der kalifornische Sonnyboy wieder unzufrieden aus Brainerd abreisen. Im ersten Rennen reichte es ihm nur für Platz 6. Doug Polen besiegte auf seiner Ferrucci-Ducati seinen Landsmann Scott Russell (Kawasaki), der vor Mertens auf der zweitbesten und ebenfalls privaten Ducati Platz 2 holte.
Vierter wurde Rob Phillis (AUS, Kawasaki) vor Vize-Weltmeister Fabrizio Pirovano (ITA, Yamaha). Raymond Roche pausierte nach einem Sturz im 1. Qualifying verletzt, während sein Teamkollege Falappa Platz 7 holte. Carl Fogarty wurde im 1. Rennen elfter.
Lauf zwei im US-Rennen – erneuter Doppelsieg für Doug Polen
Das zweite Rennen war bis auf etwas knappere Abstände der ersten drei auf dem Podest eine Kopie des ersten Laufs. Während sein Landsmann Polen mit einem erneuten Doppelsieg triumphierte musste sich Merkel diesmal mit P4 zufriedengeben. Rob Phillis sah die Zielflagge diesmal als fünfter vor Pirovano und Monti. Fogarty wiederholte sein Resultat aus dem ersten Lauf und hinter ihm wurde sein Landsmann Niall Mackenzie zwölfter. Eine deutliche Verbesserung nach Rang 15 im 1. Rennen. Der nach seinem fürchterlichen Crash im Training von Spielberg 1990 nach 27 Knochenbrüchen wieder genesene Giancarlo Falappa fiel bei Rennhälfte aus.
Die Rückkehr nach Spielberg
Der italienische Draufgänger Giancarlo Falappa hatte gar keine guten Erinnerungen an den Österreich-Ring. Die viel zu nahe angebrachten Leitplanken hätten ihn im Vorjahr bei einem fatalen Crash beinahe das Leben gekostet. Dreißig Jahre später sollte der Kurs als Red Bull Ring in der MotoGP erneut zu Recht in Verruf geraten, als die Bikes zweier gestürzten Fahrer beinahe Valentino Rossi und seinen Teamkollegen erschlugen. Doch Sicherheit wurde allgemein damals noch recht kleingeschrieben und so kehrten die WSBK Helden auch 1991 wieder nach Spielberg zurück. Erst nach 1999 sollte die Strecke endgültig aus dem Kalender fliegen.
Das erste Rennen und der belgische Sieger
Nach seinem Sieg im 2. Rennen von Donington triumphierte im ersten Lauf auf dem Österreich-Ring zum zweiten Mal in der Saison Stéphane Mertens auf seiner privaten Ducati. Seriensieger Doug Polen wurde vor Raymond Roche zweiter. Erneut hatte damit der französische Werksfahrer auf seiner neuen Ducati 888 gegen zwei Privatfahrer, wovon der Belgier gar auf dem älteren 851-er Modell unterwegs war, den Kürzeren gezogen. Doch diesmal war es eine der knappsten Entscheidungen der Geschichte. Mit 4 Fahrern innerhalb von 1,198 Sekunden verpasste der Australier Phillis das Podium nur um rund zweieinhalb Zehntel. Zahlreiche Fahrer waren mit technischen Problemen ausgeschieden, darunter Fabrizio Pirovano und der Schweizer Andreas Hofmann. Lokalmatador Karl Truchsess war gestürzt, genauso wie ausgerechnet Falappa in der 3. Runde, der sich aber zum Glück dabei nicht erneut verletzte.
Das zweite Rennen und der Beginn einer fast unheimlichen Serie
Doug Polen war der Mann des Tages. Nach seinem nur um 0,27 Sekunden verpassten Sieg im ersten Lauf und gewann den zweiten gar noch knapper vor Mertens. Roche blieb erneut nur Rang 3 und Phillis kreuzte als undankbarer Vierter die Ziellinie mit lächerlichen 6,1 Zehnteln hinter dem Sieger. Pirovano wurde auf der besten Yamaha fünfter vor seinen beiden Landsleuten Davide Tardozzi und Giancarlo Falappa (beide Ducati). Dahinter lag Ex-Weltmeister Fred Merkel (Honda) vor Terry Rymer, Udo Mark, Jari Suhonen und dem Niederländer Jeffrey de Vries (alle Yamaha). Der Deutsche Peter Rubatto hatte es mit Rang 13 auf seiner Yamaha ebenfalls noch in die Punkteränge geschafft, nachdem er in Lauf 1 bereits einen Zähler geholt hatte.
Die Misano Premiere der Superbike WM mit Runde 6
Zum ersten Mal gastierte die seriennahe Weltmeisterschaft auch auf dem Autodromo di Santamonica bei Misano Adriatico. Kurioserweise war mit dem 8. August ein denkbar ungünstiges Datum mitten im Hochsommer dafür gewählt worden. Der Ausgang der beiden Rennen erlebte jedoch keine Überraschung. Der neue Überflieger Doug Polen triumphierte auch in Italien mit seinem bereits dritten Doppelsieg der Saison. Rob Phillis unterlag im ersten Rennen auf seiner Kawasaki um nur 0,748 Sekunden.
Im zweiten Lauf wurde Phillis von Weltmeister Roche nur hauchdünn auf Platz 3 verwiesen, der im ersten Rennen das Podium noch um einen Rang verpasst hatte. Kurios war die Klassierung von Virginio Ferrari auf einer Kawasaki. Der ehemalige 500 cm³ Star wurde im ersten Lauf mit P22 zweitletzter und im zweiten 23. und letzter der klassierten Fahrer.
Zum ersten Mal in Schweden für WM-Runde 7
In Schweden schien sich mit Barry Sheene der 500 cm³ Superstar der 1970-er Jahre besonders wohl zu fühlen. In Anderstorp und Karlskoga gewann der Engländer ab 1976 nicht weniger als sechsmal in Folge. Im vierten Jahr der Superbike WM gastierten nun auch die seriennahen Bikes zum ersten Mal in Anderstorp. Doch es sollte ein kurzes Gastspiel bleiben und nach einem Unterbruch 1992 fand im Jahr darauf bereits wieder die sogenannte Dernière statt und damit war es das. Der erste Lauf bei der Premiere von 1991 wurde wenig überraschend eine Beute von Doug Polen. Doch der Privatfahrer aus den USA musste bis zum Zielstrich mit Rob Phillis um den Sieg kämpfen. Der Kawasaki Pilot schenkte dem WM-Leader dabei keinen Meter. Ganze 0,31 Sekunden trennten die beiden am Ende, während Fabrizio Pirovano als Dritter bereits über 24 Sekunden später abgewunken wurde.
Die weiteren Platzierungen
Auf Rang 4 traf mit Carl Fogarty auf Honda ein Fahrer im Ziel ein, dessen Stern am WSBK Himmel schon bald noch viel weiter aufsteigen sollte. Nach zwei sechsten Plätzen bei seinem Heimrennen in Donington im Vorjahr war dieses Resultat seine bisherige Bestmarke. Hinter dem Engländer wurde der Finne Jari Suhonen auf der zweitbesten Yamaha vor Giancarlo Falappa Fünfter. Die Top Ten wurden komplettiert vom Engländer Terry Rymer (Yamaha), Ex-Weltmeister Fred Merkel (Honda), dem Franzosen Jean-Yves Mounier und Udo Mark (beide Yamaha). Pech hatte der Lokalmatador Christer Lindholm (Yamaha) gehabt, der aufgrund eines Batterieschadens ausgefallen war. Genauso der amtierende Weltmeister Raymond Roche. Der Franzose hatte mit einem Kettenschaden nicht einmal die erste Runde zustande gebracht und sah seine Felle in der Weltmeisterschaft immer weiter davonschwimmen.
Der zweite Lauf – ein weiterer Doppelsieg für den Überflieger aus den USA
Auf den ersten beiden Plätzen bot sich beim Zieleinlauf ein ähnliches Bild wie im ersten Rennen. Der Abstand war mit 2,96 Sekunden diesmal wesentlich größer. Auf Platz 3 traf mit Raymond Roche der Pechvogel des ersten Laufs mit 3,55 Sekunden Rückstand auf Sieger Doug Polen ein. Carl Fogarty auf der erneut besten Honda wiederholte mit P4 sein Resultat von Lauf 1, gefolgt vom Schweden Christer Lindholm, Fred Merkel (Honda), Jari Suhonen und Rob McElnea (beide Yamaha). Waren im ersten Lauf noch 8 Fahrer ausgefallen, erhöhte sich die Zahl im zweiten Rennen auf ganze dreizehn. Darunter der im ersten Durchgang bereits gestürzte Belgier Stéphane Mertens, diesmal aufgrund eines Kupplungs-Schadens. Auch die Italiener Piergiorgio Bontempi und Fabrizio Pirovano sahen die Zielflagge nicht. Letzterer war im ersten Lauf noch Dritter gewesen und war diesmal durch Sturz 3 Runden vor Schluss ausgefallen.
Bilanz der ersten Halbzeit von 1991
Mit Doug Polen schlug ein Fahrer im 4. Jahr der WorldSBK wie ein Komet in der Szene ein. Mit Ausnahme von zwei der ersten 12 bestrittenen Rennen hatte er sämtliche gewonnen und war nur einmal nicht ins Ziel gekommen, was jedoch auf einen Motorschaden zurückzuführen war. Dazu kam noch ein zweiter Platz in Spielberg (Österreich). Eine derart erdrückende Dominanz eines Fahrers hatte es in den ersten 3 Jahren der Superbike WM nie gegeben. Trotz einer definitiv starken Saison hatte Raymond Roche im Vorjahr „nur“ 8 Siege eingefahren, was der US-Boy 1991 bereits bei Jahres-Halbzeit überboten hatte. Mit 56 Punkten Vorsprung auf den amtierenden Weltmeister lag der „Fast by Ferracci“ Privatfahrer vor Rob Phillis (Kawasaki) in Führung, bevor die Saison in Japan ihre Fortsetzung fand. Ducati Werkspilot Roche hatte nicht einmal halb so viele Punkte wie Polen auf dem Konto.
Weiter siehe in Teil 8: http://www.motoracers.eu/wsbk-story-teil-8/
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