Der erste deutsche WM-Lauf auf der Solitude
Die Erwartungen der Fans, Teams und Piloten aus Deutschland vor dieser Premiere waren durchaus gering, aber die Hoffnungen dank vieler schneller Fahrer trotzdem sehr hoch. Insgeheim hofften daher viele, dass es zu Jubel Anlass geben könnte. Die Solitude Rennstrecke nahe Stuttgart hatte durchaus einiges zu bieten und die Kulisse des 11.453 km langen Kurses war absolut prächtig und WM-würdig. Bereits im Vorfeld war durchgesickert, dass vor allem DKW und NSU ihre Hausaufgaben gemacht hatten und sich trotz kurz nach dem Krieg sehr bescheidener Mittel mit einigem Aufwand auf dieses Event vorbereitet hatten. Immerhin sollen über 400-tausend Zuschauer an die Strecke gepilgert sein, um ihre Landsleute gegen die internationalen Topstars antreten zu sehen. Kaum denkbar danach, dass auch nur eine Person ihr kommen bereut haben soll. In sämtlichen Klassen holten deutsche Piloten WM-Punkte und zwei von ihnen wurden am 20. Juli 1952 zumindest bei Sportfans landesweit bekannt.
Das 125 cm³ Rennen – eine kometenhafte Karriere nahm ihren Anfang
In der Achtelliterklasse waren die deutschen Piloten lediglich Aussenseiter und galten gegen die vielen etablierten Werksfahrer aus dem Ausland selbst unter Fachleuten als absolut chancenlos. Vor allem hatte NSU durch die Trainingsunfälle von Hoffmann und Colombo ihre wichtigsten Aushängeschilder bereits vor dem Start verloren. Aber gegen die beiden in der WM führenden Ubbiali und Sandford wehrte sich nach dem Start mit Werner Haas plötzlich ein aufmüpfiger Nachwuchspilot. Als NSU Ersatzfahrer liess sich der junge Mann aus Augsburg einfach nicht von den beiden Topstars abhängen und kämpfte gegen sie mit dem Messer zwischen den Zähnen. Am Ende kreuzte er nach 10 Runden knapp vor dem amtierenden Weltmeister aus Italien die Zielflagge, während WM-Leader Sandford sich mit beinahe 14 Sekunden Rückstand mit Rang 3 begnügen musste. Mit Platz 5 hinter dem Italiener Angelo Copeta (wie Sandford auf MV Agusta) schaffe es Herbert Luttenberger, das Topresultat für NSU bei derem Heimrennen sogar noch zu unterstreichen. Für die Karriere des erst 22 Jahre jungen Haas bedeutete dies den Anfang einer fast unglaublichen Entwicklung.
Einer unglaublichen Leistung folgte die nächste Sensation
Natürlich war das Publikum nach dem Sieg von Haas bereits vollkommen aus dem Häuschen, aber es sollte noch besser für die unzähligen Fans und deren Helden kommen. Doch diesmal war es nicht NSU, obwohl der Engländer Bill Lomas den Moto-Guzzi Piloten mit seiner Rennmax im 250 cm³ Lauf absolut ebenbürtig war, bevor ihn ein Pleuellagerschaden aus dem Rennen warf. Doch dafür sprang für DKW Lokalmatador Rudi Felgenheier in die Bresche. Er profitierte dabei von einer Kollision zwischen den zwei Kampfhähnen Ruffo und Lorenzetti, welche auf ihren Werks Moto-Guzzi bereits deutlich in Führung lagen. In der vorletzten Runde rutschte letzterer beim Überholversuch aus, wobei er den Teamkollegen ebenfalls zu Sturz brachte, der sich dabei einen doppelten Unterschenkelbruch und Armverletzungen zuzog. Enrico Lorenzetti hingegen blieb unverletzt und der bislang dahinter auf P3 liegende Lomas blieb kurz danach mit Motorschaden liegen. Bill Lomas war nach den Unfällen der beiden Stammpiloten von AJS an NSU ausgeliehen worden und hätte ohne dieses Pech für das Werk aus dem schwäbischen Neckarsulm wohl den zweiten Sieg des Tages geholt. Für Bruno Ruffo war die Saison gelaufen und wie Geoff Duke nach seinem Unfall auf dem Schottenring, kehrte er 1952 nicht mehr an die Rennstrecken zurück.
Die doppelte Premiere nach dem Pech der Konkurrenten
Vor gleich vier seiner Landsleute fuhr nach dem Pech seiner Konkurrenten Rudolf „Rudi“ Felgenheier einen sensationellen Sieg mit über 50 Sekunden Vorsprung auf den Zweitplatzierten Thorn-Prikker auf seiner privaten Guzzi heraus. Hermann Gablenz rettete die Ehre für Horex mit Podiumsplatz drei, gefolgt von Altmeister Ewald Kluge auf der zweitbesten Werks-DKW und Gehring auf einer weiteren Moto-Guzzi. Einzig dessen Markenkollege Wheeler schafte mit Rang 6 als einziger Ausländer noch einen letzten WM-Punkt. Hinter Bruno Böhrer (Parilla) sahen Mit Mayer und dem jungen Hollaus zwei Österreicher die Zielflagge, wovon letzterer schon bald von sich reden machen sollte. Für DKW war es nach mehreren Europameisterschafts-Titeln vor dem Krieg der erste Sieg in der Weltmeisterschaft. In den 1930-er Jahren hatte diese Marke die mittleren Kategorien dominiert, was insbesondere Ewald Kluge zu verdanken war, dem Sieger der 250 cm³ TT im Jahr 1938 und zweifacher Europameister der 250er-Klasse 1938 und 1939. Der Altmeister holte ebenfalls seine ersten WM-Punkte, nachdem er auf der Solitude den 4. Platz belegte. Aber die bemerkenswerteste Tatsache war letztlich der erste GP-Sieg für einen Zweitaktmotor.
Nach sensationellem Auftakt weitere Achtungserfolge
Geradezu ein Massendesaster gab es im abschließenden Weltmeisterschaftslauf der 500-er Maschinen. Von 26 gestarteten Fahrern beendeten nur 11 das Rennen, welches über die Riesendistanz von 207,0 km nach 18 Runden führte. Mit Reginald Armstrong gewann ein Ire für Norton auf dem schwierigen Kurs westlich von Stuttgart gleich beide Rennen der zwei größten Kategorien bis 350 und 500 cm³. Allerdings fiel sein Sieg in beiden Fällen denkbar knapp, wenn nicht gar fragwürdig aus. Mit Ken Kavanagh war es ein Australier, der nur einen Wimpernschlag nach seinem Teamkollegen die Ziellinie kreuzte und in den Medien war sogleich von klar ersichtlicher Stallorder die Rede. In der Königsklasse komplettierte Syd Lawton für Norton das Podium, während sein englischer Landsmann Bill Lomas (AJS) ihm diesen Rang in der Kategorie bis 350 cm³ noch vor der Zielflagge wegschnappte. Dahinter holte Ewald Kluge für DKW die ersten beiden WM-Punkte in dieser Klasse, gefolgt von Ernie Ring. Während BMW werksseitig aufgrund ihres laut eigenen Aussagen noch nicht ausgereiften Motorrads fehlte, fuhr Hans Baltisberger auf seiner privaten 500-er BMW hinter Leslie Graham (MV Agusta) auf den hervorragenden sechsten Rang und holte damit seinen ersten WM-Punkt.
Die hohe Zahl einheimischer Pechvögel beim ersten GP von Deutschland
Nicht nur Ruffo, Lorenzetti (dieser eher aus eigener Schuld) und Lomas hatten nebst den bereits im Training schwer gestürzten Fahrern kein Glück, die Liste der Pechvögel war bei der Premiere auf der Solitude wesentlich länger. Altmeister H. P. Müller als Trainingsbester hatte diesmal im 125 cm³ Rennen ärgerliches Unheil, als er nach anfänglicher Führung auf P3 liegend mit Motorschaden auf seiner privaten FB-Mondial stehen blieb. Noch schlimmer erwischte es im selben Lauf Otto Daiker, welcher nach wenigen Kilometern schwer stürzte und mit einem Schädelbruch ins Spital eingeliefert werden musste, zum Glück aber überlebte und später wieder auf die Rennstrecken zurückkehrte. Bei den 250-ern hatte der aus dem bayerischen Ingolstadt angereiste Siegfried Wünsche (DKW) das Pech, bereits in der ersten Runde mit einem Motorschaden liegen zu bleiben. In der 350 cm³ Kategorie lag er trotz Verlust der linken Fußraste lange an 6. Stelle, bis er durch einen harmlosen Sturz ausschied. Karl Hofmann kam genau so schon beim Training zu Sturz wie Geschwindigkeits-Weltrekordmann Hermann-Böhm, der beim Abschlußtraining am Samstag in der Glemseck-Kurve einen gefährlich aussehenden Sturz hatte, aber mit leichten Prellungen davonkam. Auch BMW-Pilot Groß aus Bad Windsheim (BMW) stürzte im 500 cm³ Rennen, während Friedel Schön (Horex) das ärgerliche Pech hatte, an fünfter Stelle liegend, drei Runden vor Schluß wegen eines Motordefekts die Waffen strecken zu müssen.
Das Fazit nach dem Grand Prix von Deutschland
Es wurde den meisten Beobachtern aus dem In- und Ausland nun erst richtig klar, dass man die Zweirad Grand Prix Geschichte im mit deutscher Beteiligung in den Jahren 1949 – 1951 wohl hätte umgeschreiben müssen. Es war und sei für immer jedem selbst überlassen zu entscheiden, welchen Sinn die Verbannung deutscher Sportler in dieser Zeit überhaupt machen sollte. Deutschland lag sowieso in Trümmern und Faschismus, wie auch Diktaturen gab und wird es in vielen andern Ländern auch immer wieder geben. Stalinismus führte ebenso wie die Naziherrschaft zu Millionenopfern und Italiens Mussolini war nebst vielen anderen Staatsführern von damals und später nichts anderes als ein krimineller Schwerverbrecher. Trotzdem durften die Italiener teilnehmen und zusammen mit den Engländern sich in den ersten drei Weltmeisterschafts-Jahren untereinander die Siege und Titel aufteilen. Egal, die Motorsport-Geschichte von 1952 an sollte beweisen, wozu Piloten und Teams aus West- und Ostdeutschland alles fähig waren. Das Wochenende auf der Solitude wurde hierfür so etwas wie die Initialzündung.
Wo nicht anders erwähnt gilt bei allen Bildern (© MotoGP).
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