Ein trauriges Bild am Tag des Grand Prix von Argentinien mit der verwaisten Box des erfolgreichsten Teams der letzten 3 Jahrzehnte regt zum denken an. Nach zahlreichen Stürzen beendete Superstar Marc Marquez seit Saisonbeginn keine 3 Rennrunden. Ähnliche Situation für seinen neuen Teamkollegen und Weltmeister von 2020 Joan Mir, der sich bei seinem Crash im neu eingeführten Sprintrennen am Samstag verletzte und für den GP von Argentinien forfait geben musste. (© Repsol Honda).

Gedanken zur fragwürdigen Entwicklung im Zweiradsport

Wohin mit der MotoGP nach desaströsem Start in eine neue Zukunft, fragen sich derzeit bestimmt viele Fans des Zweiradsports. Was Veranstalter Dorna und die meisten Medien gerne verharmlosen ist für den Sport und seine Fans ein absolutes Desaster. Mit einem aus der WorldSBK entliehenen Format wollte man die Serie eigentlich aufwerten und damit für mehr Spektakel auch am Samstag sorgen. Aber wortwörtlich ging dabei offensichtlich bereits beim Saisonauftakt in Portimão der Schuss nach hinten los. Sieht man sich den Crash von Pol Espargaro und seinen fatalen Einschlag in den Reifenstapel an, wird man spontan an die früheren Jahre des Rennsports erinnert. Manche fragen sich danach auch, weshalb es eine sogenannte Safety-Commission der FIM gibt und was diese Leute überhaupt tun. Wir beobachteten solche Herren schon öfters in besseren Hotels und ersparen uns an dieser Stelle die Schilderung unserer Meinung über sie. Aufgrund übertriebener Risikobereitschaft fehlten bereits beim ersten GP nicht weniger als 4 Fahrer der Königsklasse am Start und in Argentinien waren es bereits deren fünf. Dies gibt definitiv zu denken.

Luftaufnahme des Autodromo do Algarve, nahe der Küstenstadt Portimão, mit hinter dem sogenannten VIP-Tower der vor dem Samstag für die Fahrer fast ungesicherten Kurve 10. Erst nach dem fatalen und mit seinen Folgen lebensbedrohenden Sturz von Pol Espargaro wurden dort sogenannte Airfences platziert, um gestürzte Fahrer vor schwereren Verletzungen zu sichern. Der Strahlemann aus Granollers, einem Nachbarort des Circuito de Cataluña nahe Barcelona, flog am Freitag jedoch in einen Reifenstapel. Sein Teamchef Herve Poncharal sprach tags darauf von einer baldigen Rückkehr des Katalanen. Die Wahrheit jedoch lautete, dass Pol erst eine Woche später überhaupt erst die Intensivstation des Spitals verlassen konnte (© MotoGP).

Der Sachsenring mit Vorbildfunktion für andere

Wir hatten gehofft, mit dem neuen Format des ersten Rennens am Samstag können sich finanziell nicht gut gestellte Fans eine günstige Gelegenheit für einen Rennbesuch nur am Samstag leisten. Vielerorts wird gerne vergessen, dass die wahren Fans des Rennsports nicht diejenigen sind, welche sich vor den Starts auf der Ziellinie als Selfie-Jäger betätigen. Vielmehr sind es diejenigen, welche sich oft nicht einmal den Grand Prix Besuch leisten können. Davon gibt es auch in Spanien, dem Land des Rechteinhabers Dorna mehr als genug. Wer nun jedoch nach günstigen Tickets für lediglich den Samstag sucht, wird dabei in der Regel bitter enttäuscht. Offenbar liegen demnach den meisten Veranstaltern samt Dorna nur die VIP-Gäste mit ihren mehrere Hundert Euro teuren Tickets wirklich am Herzen. Zum Glück für die Fans aus Deutschland und den nahen Nachbarländern gibt es jedoch mit dem Sachsenring eine löbliche Ausnahme. Für so wenig Geld wie dort mit einem Samstagsticket gab es seit Jahrzehnten in Europa kein so günstiges Angebot mehr, um sich die Königsklasse in einem Rennen live zu gönnen.

Sachsenring im Jahr 1955 mit dem Start zum Grand Prix – auf dem nebst der Zielkurve einzig heute noch existierenden Streckenteil. Mehr über die früheren Jahre des Motorrad-Rennsports siehe in unserer reich illustrierten und laufend wachsenden History. Wer als Fan noch nie ein Rennen an dieser historisch sehr bedeutsamen Strecke besucht hat, dem sei ein Nachholen dringendst ans Herz gelegt. Die sächsische Gastfreundschaft ist sprichwörtlich und man fühlt sich an der Strecke beinahe überall mitten im Geschehen und vor allem unglaublich nahe am Geschehen. Punkto Verpflegung fanden wir bisher nirgends auf der Welt bei unseren unzähligen Rennbesuchen eine derartige Vielfalt und Qualität, zu wahrhaft fairen Preisen. Vor allem steht man zudem nicht wie bei den meisten anderen Strecken endlos lange an, bis man bedient wird, aufgrund der hohen Zahl der Stände.

Die Sorge vieler Fans ist absolut berechtigt

Sieht man die vielen schweren Stürze und ihre Folgen, fragt man sich zu recht über den Sinn des neuen Formats. Doch man sollte dabei auch berücksichtigen, unter welchem unglaublichen Druck vor allem in der MotoGP die Fahrer stehen. Dies erklärt zumindest teilweise deren hohe Risikobereitschaft, welche vor allem im neu eingeführten Sprintrennen teils fast groteske Ausmaße mit sich brachte. Wenn man daran denkt, wie beispielsweise KTM aus Sicht vieler Beobachter ihre Eigengewächse seit kurzem regelrecht verheizt, beginnt man den Druck, der auf den Helden des Rennsports lastet, besser zu verstehen. Mit Remy Gardner, Miguel Oliveira und Raul Fernandez entledigten sie die Orangen auf Ende der Saison 2022 gleich dreier ihrer verdientesten Piloten, welche zuvor meist jahrelang sorgfältig aufgebaut wurden. Ein Jack Miller bekam nach WM-Rang 19 in der Saison 2015 und als achtzehnter 2016 auch in seiner dritten MotoGP Saison nochmals eine Chance, sich zu beweisen. So etwas ist heute undenkbar und man darf nicht aus den Augen lassen, dass für die meisten Leute an den Schalthebeln der Macht in der Königsklasse heute nur noch das Geschäft und der Profit zählt. Während vor 50 bis 60 Jahren im Motorrad-Rennsport die Mehrheit des Startfeldes noch aus Privatfahrern bestand, hat sich die Szene der Neuzeit komplett geändert.

Eine Honda 250 cm³ Werksmaschine mit 6 Zylindern – schon damals gab es mit höchstem technischen Aufwand geführte Kämpfe um Weltmeistertitel. Dagegen wirkt für manchen Betrachter die heutige Entwicklung mit den sogenannten „Ride-height-devices“ (einer Höhenverstellung für verbesserte Traktion) und elektronischen Mitteln wie Schlupfkontrolle beinahe lächerlich. High-sider gibt es trotzdem weiterhin und Probleme infolge defekter Mechaniker führen ebenfalls oft zu Stürzen. Genau deshalb gehören vor allem erfahrene Fahrer wie Honda Ass Marc Marquez zu den Kritikern dieser Entwicklung und sähen einiges davon gerne abgeschafft.

Wo lohnt sich ein Rennbesuch heute noch?

Aus Fan-Sicht kann diese Frage eigentlich sehr einfach beantwortet werden. Punkto Stimmung und echter Fan-Begeisterung, sowie Nähe zum Geschehen kann dem Sachsenring kaum eine andere Veranstaltung das Wasser reichen. Zudem ist hier ein sehr reichhaltiges Angebot bezüglich Rahmenprogramm und Verpflegung vorhanden, an welches aus unserer Erfahrung kein anderer MotoGP Grand Prix herankommt. Seit Valentino Rossis Rücktritt geht es mit den italienischen Klassikern wie Mugello und Misano, ähnlich wie seit einigen Jahren Spanien mit Jerez, Motorland Aragon und dem GP von Katalonien deutlich bergab. Assen in den Niederlanden ist hingegen, vor allem auch in der WorldSBK nach wie vor eine Reise wert. Allerdings muss mancher Besucher angesichts des wie in Mugello unglaublich hohen „Litterings“ vieler rücksichtsloser Idioten mehr als ein Auge zugedrückt werden. Mit einem Wort – Müllhochburgen trifft man den Nagel wohl am meisten auf den Kopf. Silverstone und der Red Bull Ring in der Steiermark sind zwar schön gelegen und auch bei vielen Fans beliebt, aber in der Nähe zu übernachten geht fast nur per Zelt oder Camper. Zudem fährt besonders die MotoGP dort mehrheitlich einen für heutige Zeiten im Prinzip viel zu hohen Speed. Bleiben bis auf die Überseerennen aus europäischer Sicht demnach vor allem Le Mans und Barcelona. Beides Strecken bieten viele Naturtribünen und spektakuläre Stellen, womit für alle Ticketkategorien viel geboten wird.

Sachsenring Kurve 6 im Jahr 2017 von uns an der Strecke fotografiert – Punkto Stimmung und Begeisterung selbst bei der Bevölkerung ist diese Veranstaltung kaum zu toppen. Mit neuen Veranstaltungsorten wie in Kasachstan und Indien dürfte sich Rechteinhaber Dorna hingegen nicht nur neue Freunde gemacht haben. Zahlreiche Fans, nicht nur aus Tschechien, vermissen den GP in Brünn hingegen immer mehr.

Wie es weitergeht – die Grand Prix von Texas und Jerez

Viele deutschen Fans hoffen auf die Rückkehr von Stefan Bradl als HRC Test- und Ersatzfahrer (für Joan Mir oder Marc Marquez), sowie seines bayerischen Kollegen Jonas Folger (neu bei KTM in selber Funktion engagiert) als Ersatz für den noch für lange Zeit fehlenden Pol Espargaro. Sollten Marc Marquez und Joan Mir aufgrund ihrer Verletzungen nicht alsbald wieder ins Geschehen eingreifen können, dürfte ihren WM-Ambitionen ein vorzeitiges Ende blühen. Erstgenannter gilt als Topfavorit für den Grand Prix in Austin / Texas, sollte er ab 14. April dort antreten können. Allerdings müsste er einen „Double Long Lap Penalty“ im nächsten Rennen antreten, was die Gefahr eines womöglich nächsten Rennsturzes des mehrfachen Weltmeisters natürlich drastisch erhöht. Spätestens für Jerez ist mit einem Wiedersehen von Dani Pedrosa (KTM) zu rechnen, welcher dort bereits im Vorfeld mit einer Wildcard gemeldet wurde. Das ehemalige Repsol Honda Ass ist immer noch in den Top Drei der dortigen Siegerliste.

Das Programm in mitteleuropäischer Zeit – neu sind vor allem in der MotoGP das Tissot-Sprintrennen und das dadurch entfallene FP4. Deshalb gilt es in der Königsklasse bereits am Freitag, sich für das Q2 (zweites Qualifying) zu klassieren. Damit ist im ersten und zweiten Qualifying (es gilt die insgesamt beste Zeit dieser beiden Trainings) für noch mehr Spannung gesorgt. Allerdings steigt damit auch der Druck auf die Fahrer, sich am ersten Tag in die Top Ten zu fahren, um nicht ins Q1 zu müssen.
Während in Texas Marc Marquez einsam die Siegerliste anführt, sieht dies für Jerez komplett anders aus. Mit Valentino Rossi (ITA, links, sieben Siege), Mick Doohan (AUS, rechts oben, 4) und Dani Pedrosa (SPA, rechts unten mit 3 Siegen) sind es ehemalige Topfahrer, welche die Spitze der Rangliste zieren. Als KTM Test- und Ersatzfahrer ist bei letzterem jedoch bei seiner Rückkehr nicht mit einem weiteren Triumph zu rechnen, um dadurch mit „Quick-Mick“ gleichzuziehen (© MotoGP).